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· Fachbeitrag · Kontobevollmächtigung

Barabhebungen durch Vertrauensperson

| Wenn Menschen im Alter oder auch bei Krankheit der Weg zur Bank nur noch schwer oder gar nicht mehr möglich ist, wenden sie sich meist an eine Vertrauensperson. So kommt es häufig vor, dass sie diesen Personen eine Kontovollmacht ausstellen oder auch direkt eine EC-Karte nebst PIN aushändigen. Dabei ist Vorsicht geboten, wie der Fall des OLG Koblenz zeigt. Hier kam erst nach dem Tod der Kontoinhaberin heraus, dass es bei der Verwendung der EC-Karte nicht mit rechten Dingen zuging. |

Sachverhalt

Die Erblasserin hatte der Beklagten, die mit ihr in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis stand, ihre EC-Karte nebst PIN anvertraut. Ab April 2016 erfolgten Barabhebungen mit der EC-Karte vom Konto der Erblasserin, wobei sich die Kontoentnahmen ab Ende Juni 2016 häuften ‒ und damit zu einem Zeitpunkt, an dem sich der gesundheitliche Zustand der Erblasserin verschlechterte. Seitdem befand sich die EC-Karte permanent im Besitz der Beklagten.

 

Die Beklagte hatte vom Konto der Erblasserin im Zeitraum von April bis Dezember 2016 insgesamt 44.600 EUR und nach dem Tod der Erblasserin am 18.12.16 weitere 1.000 EUR abgehoben. Hinzu kam eine Überweisung i. H. v. 5.000 EUR, welche die Beklagte an sich selbst vorgenommen hat. Von dem Gesamtbetrag von 50.600 EUR hat die Beklagte insgesamt 12.850 EUR nicht an die Erblasserin herausgegeben, sondern für sich selbst vereinnahmt.

 

Die Erbengemeinschaft forderte nach dem Tod der Erblasserin von der Beklagten die Herausgabe der erlangten Geldbeträge, die nicht nachweislich an die Erblasserin herausgegeben oder für diese verwendet worden waren. Das LG Mainz (3 O 193/17) hat der Klage stattgegeben. Das OLG Koblenz hat diese Entscheidung mit seinem Hinweisbeschluss bestätigt.

 

  • Leitsätze OLG Koblenz, Beschluss 10.6.20, 12 U 7/20
  • 1. Vom Vorliegen eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses kann nicht ausgegangen werden, wenn eine spätere Erblasserin einer Vertrauensperson, die in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis zu ihr steht, EC-Karte nebst PIN übergibt und die von der Vertrauensperson hierdurch erlangte Verfügungsbefugnis ganz erhebliche Vermögenswerte der Erblasserin (mehr als 50.000 EUR Kontoguthaben) umfasst.
  •  
  • 2. Verschlechtert sich der Gesundheitszustand der späteren Erblasserin kurz vor deren Tod erheblich und häufen sich gleichzeitig in diesem Zeitraum Barabhebungen von deren Konto, ist die Vertrauensperson, die über die EC-Karte nebst PIN verfügt, darlegungs- und beweisbelastet dafür, welche dieser Abhebungen nicht durch sie erfolgt sind und welche Beträge sie an die spätere Erblasserin weitergegeben hat.
 

Entscheidungsgründe

Das OLG hat in seiner Entscheidung zum einen das Rechtsverhältnis zwischen der Erblasserin und der Beklagten eingeordnet und zum anderen geklärt, welche Rechenschaftspflicht sich hieraus insbesondere im Hinblick auf Kontoentnahmen ergibt.

 

Auftragsverhältnis gemäß § 662 BGB

Zunächst musste das OLG Koblenz klären, ob es sich bei dem Verhältnis zwischen der Erblasserin und der Beklagten um einen Auftrag oder um ein Gefälligkeitsverhältnis handelte. Das OLG teilt die Auffassung der Vorinstanz, dass hier ein (konkludentes) Auftragsverhältnis i. S. v. §§ 662 ff. BGB bestand.

 

Mit der Übergabe der EC-Karte nebst PIN hatte die Erblasserin der Beklagten konkludent eine Bankvollmacht erteilt, die eine Verfügungsbefugnis der Beklagten über ganz erhebliche Vermögenswerte der Erblasserin umfasste.

 

MERKE | Als Vertrag setzt der Auftrag einen Rechtsbindungswillen voraus, der bei bloßen gesellschaftlichen, konventionellen oder freundschaftlichen Zusagen und schlichten Gefälligkeiten des täglichen Lebens fehlt. Dass zwischen den Parteien von einer Bitte oder einer Gefälligkeit die Rede ist, spreche hingegen nicht notwendig gegen den Rechtsbindungswillen. Entscheidend seien vielmehr die Umstände des Einzelfalls (BGHZ 21, 102).

 

Daher geht das OLG von dem Vorliegen eines Rechtsbindungswillens aufseiten der Beklagten aus. Aufgrund der erheblichen Vermögenswerte, hinsichtlich derer die Erblasserin die Beklagte befugt hatte, könne nicht mehr von einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis ausgegangen werden. Vielmehr war für die Beklagte erkennbar, dass mit diesen Vermögenswerten wesentliche Interessen der Erblasserin auf dem Spiel standen. Dies lässt auf einen Rechtsbindungswillen der Parteien und damit auf ein Auftragsverhältnis schließen.

 

Beachten Sie | Angesichts dieser erheblichen Vermögenswerte hatte die Verwaltung der Gelder durch die Beklagte für die Erblasserin eine derart hohe wirtschaftliche Bedeutung, dass von dem Vorliegen eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses unter keinem Gesichtspunkt mehr ausgegangen werden konnte.

 

Auskunft- und Rechnungspflicht: Beklagte beweisbelastet

Die Beklagte hatte von der EC-Karte umfänglich Gebrauch gemacht. Nach Abzug der für die Erblasserin verwendeten Gelder ergibt sich in Bestätigung der Vorinstanz folglich auch für das OLG eine (Mindest-)Zahlungsverpflichtung aufseiten der Beklagten in Höhe von 12.850 EUR.

 

Insgesamt hat die Beklagte nicht darlegen können, inwieweit es bezüglich dieser Gelder zu weiteren Herausgaben oder Verwendungen für die Erblasserin gekommen sein soll.

 

MERKE | Die Beweislast für die Richtigkeit der Rechnung trifft hierbei den Beauftragten. Dies gilt vor allem für den Verbleib der Einnahmen und dafür, dass er über nicht mehr vorhandene Vermögenswerte nach Weisungen oder im Interesse des Auftraggebers verfügt hat (Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 666 Rn. 4).

 

Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte hier auch nicht von einem endgültigen (konkludenten) Verzicht der Erblasserin auf eine Rechnungslegung ausgegangen werden. Nach der Überzeugung des OLG verbietet sich eine solche Annahme bereits angesichts des Umfangs und der wirtschaftlichen Bedeutung der von der Beklagten getätigten Transaktionen. Ein solcher Verzicht hätte vorliegend ausdrücklich von der Erblasserin erklärt werden müssen. Dass dies geschehen ist, wurde von der Beklagten nicht dargelegt.

 

Mit dem LG ist der Senat schließlich auch der Überzeugung, dass die Beklagte bezüglich der nach dem Tod der Erblasserin getätigten Überweisung i. H. v. 5.000 EUR zur Herausgabe des entsprechenden Betrags an die Erbengemeinschaft verpflichtet ist. Ein Recht zum Behaltendürfen sei von der Beklagten nicht bewiesen worden. Insbesondere habe sie keinen Beweis für ihre Behauptung erbringen können, der entsprechende Betrag sei ihr von Seiten der Klägerin geschenkt worden. Ihr Vortrag hierzu war nicht konsistent, wie schon das LG feststellte: Erst sollte das Geld ein Weihnachtsgeschenk der Erblasserin gewesen sein, dann führte die Beklagte an, den Betrag hätte sie als Entschädigung für kleinere „Macken“ an ihrem Auto erhalten.

Relevanz für die Praxis

Die Umstände des vorliegenden Falles lassen recht schnell erkennen, dass die Beklagte zumindest nicht vollständig ordnungsgemäß gehandelt hat. Allerdings zeigt die Entscheidung auch auf, dass solchermaßen Beauftragte damit rechnen müssen, zur Rechnungslegung aufgefordert zu werden. Dies kann auch für den ordnungsgemäß handelnden Beauftragten relevant werden, der sich plötzlich mit vermeintlichen Ansprüchen seines Auftraggebers oder dessen Erben auseinandersetzen muss.

 

Gerade derjenige, der für Familienangehörige oder Freunde tätig wird, vergisst allzu leicht, Rechnungen, Belege etc. aufzubewahren und für eine spätere Rechnungslegung die Geldverwendung nachweisbar zu machen.

 

PRAXISTIPP | Zwar ist gerade bei besonderen Vertrauensverhältnissen trotz wirtschaftlicher Bedeutung der Angelegenheit im Einzelfall auch die Einordnung als Gefälligkeitsverhältnis möglich (vgl. etwa zur Rechenschaftspflicht von Ehegatten BGH 5.7.00, XII ZR 26/98, NJW 00, 3199). Bei nicht unerheblichen Vermögenswerten wird aber im Zweifel auch dann ein Auftrag mit Rechtsbindungswillen anzunehmen sein. Jedenfalls wenn konkrete Tatsachen den Verdacht für ein unredliches Handeln nahelegen und berechtigte Zweifel (nachträglich) entstehen, können Ansprüche geltend gemacht werden, mit der Folge, dass der Beauftragte die Beweislast trägt.

 

 

 

Beachten Sie | Vor allem bei der Beratung und Gestaltung von Konto- und Vorsorgevollmachten sollten die Beteiligten über ihre jeweiligen Risiken aufgeklärt werden:

 

  • Der Kontoinhaber über die Frage, wie er die Tätigkeiten des Bevollmächtigten prüfen und einem Missbrauch der Kontovollmacht und seiner EC-Karte vorbeugen kann, ggf. auch durch den Einsatz von mehreren Bevollmächtigten und einem „Vier-Augen-Prinzip“ bei wirtschaftlich erheblichen Angelegenheiten.
  • Der Bevollmächtigte, wie er seiner ‒ ggf. auch erst durch Erben nachträglich verlangten ‒ Rechenschaftspflicht nachkommen und eine Rechnungslegung ordentlich vorbereiten kann.

 

PRAXISTIPP | Sinnvoll für alle Beteiligten ist es, das Auftragsrecht ausdrücklich zu regeln. Auf die Rechnungslegung sollte jedoch nur bei Tätigkeiten mit einem geringen wirtschaftlichen Wert verzichtet werden. Im Übrigen sollte der Auftraggeber dafür Sorge tragen, alle Besorgungen zu dokumentieren und damit nachweisbar zu machen. Bei Barbeträgen empfiehlt es sich, dass der Auftraggeber diese schriftlich quittiert und die Belege vom Beauftragten dann auch aufbewahrt werden.

 

Weiterführende Hinweise

  • Bevor es einen neuen Betreuer bestellt, muss das Gericht umfassend prüfen, SR 19, 150
  • Bei Auftragsrecht besteht Rechnungslegungspflicht, SR 18, 97
  • Vorsorgevollmacht und Auskunftsansprüche, SR 18, 63
Quelle: Ausgabe 09 / 2021 | Seite 155 | ID 47574084