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· Fachbeitrag · Heimunterbringung

Heimvertrag kann wegen des Verhaltens des Betreuers gekündigt werden

von RA Thomas Stein, FA Familien- und Erbrecht, Limburg

| Ein Heimvertrag kann vom Heimbetreiber gekündigt werden, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt. Das OLG Frankfurt a. M. hatte jetzt über die Frage zu entscheiden, ob als wichtiger Grund für eine solche Kündigung auch das Verhalten der Betreuerin der Heimbewohnerin bewertet werden kann. Das OLG hat die Frage bejaht. |

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist ein als gemeinnützig anerkannter Rechtsträger, der unter anderem Klienten in stationären Wohneinrichtungen (Heimen) betreut und für ihre Pflege sorgt. Die Beklagte ist bei der Klägerin auf der Grundlage eines Heimvertrags untergebracht. Sie wird in Folge ihrer geistigen und körperlichen Behinderung bei hohem Pflegebedarf betreut und versorgt. Gerichtlich bestellte Betreuerin der Beklagten ist ihre eigene Mutter.

 

Die Mutter und die Klägerin gerieten in Konflikt. Die Klägerin beurteilt die Betreuerin als feindselig und völlig unkooperativ. Verschärft wird die Situation nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme dadurch, dass der Lebensgefährte der Mutter sich in unzumutbarer Weise respektlos verhalten habe. Er sei beleidigend geworden und habe Mitarbeiter der Klägerin bewusst angerempelt. Insgesamt habe das Verhalten des Lebensgefährten sich unzumutbar belastend ausgewirkt.

 

Die Klägerin hat die Vorfälle zum Anlass genommen, den Heimvertrag mit der Beklagten fristlos zu kündigen. Die Beklagte hat dem widersprochen. Daraufhin ist von der Klägerin Klage auf Herausgabe des von der Beklagten bewohnten Zimmers erhoben worden. Das LG hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Berufung zum OLG Frankfurt a. M. eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

Das OLG hat der Berufung stattgegeben (29.5.19, 2 U 121/18, Abruf-Nr. 211375). Es hat sein Urteil im Wesentlichen auf das Argument gestützt, die Beklagte müsse sich das Verhalten ihrer Mutter als Betreuerin über § 278 BGB zurechnen lassen. Die Mutter habe auch nicht ausreichend mäßigend auf ihren Lebenspartner eingewirkt.

 

  • Die rechtliche Grundlage für Heimverträge ist das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG). Dieses sieht in § 12 WBVG zwingend vor, dass der Unternehmer, also das Heim, den (Heim-) Vertrag nur aus wichtigem Grund kündigen kann. Nach § 12 Abs. 1 S. 3 WBVG wird als wichtiger Grund angeführt, dass der Verbraucher (Heiminsasse) seine vertraglichen Pflichten schuldhaft so gröblich verletzt, dass dem Unternehmer (Heimträger) die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen hat das OLG Frankfurt a. M. als erfüllt angesehen.

 

  • Der Sachverhalt macht evident, dass die geistig und körperlich schwerbehinderte Beklagte selbst keine vertraglichen Pflichten schuldhaft oder gar gröblich verletzt hat. Das OLG weist in diesem Zusammenhang ‒ dogmatisch durchaus zutreffend ‒ darauf hin, dass auch das Verhalten des gerichtlich bestellten Betreuers über § 278 BGB der betreuten Person zuzurechnen ist (so auch ausdrücklich beispielsweise Palandt-Weidenkaff, 78. Auflage 2019, § 12 WBVG Rn. 4).

 

  • Die Beklagte hatte im Verfahren unter anderem geltend gemacht, die fristlose Kündigung ihr gegenüber sei unverhältnismäßig. Mit diesem Argument setzt sich das OLG Frankfurt nicht explizit auseinander. Es wägt aber in seinen Entscheidungsgründen die beiderseitigen Interessen ab ‒ im Ergebnis zulasten der Beklagten.

 

Relevanz für die Praxis

Tragendes Argument der Entscheidung ist, dass sich die Beklagte das Verhalten ihrer Betreuerin wie dasjenige eines Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen muss. Dies entspricht der herrschenden Lehre in Rechtsprechung und Literatur. § 278 BGB schreibt ausdrücklich vor, dass sich ein Schuldner (hier die Beklagte) ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und von Personen, derer er sich zur Erfüllung von Verbindlichkeiten bedient, in gleichem Umfang wie eigenes Schulden zuzurechnen lassen hat. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Schuldner gegenüber seinen Gläubigern für seinen Geschäfts- und Gefahrenkreis verantwortlich ist. Zu diesem gehören auch die von ihm eingesetzten Hilfspersonen (z. B. BGB NJW 96, 465).

 

 

Man wird berechtigterweise die Frage aufwerfen dürfen, ob dieser Rechtsgedanke wirklich für eine geistig und körperlich behinderte, in einem Heim deswegen untergebrachte Person zutrifft. Im Gegensatz zu einem Geschäftsherrn im Vertragsverhältnis wählt eine betreute Person ihren Betreuer in aller Regel nicht selbst aus. Er wird vielmehr gerichtlich bestellt. Die Einflussmöglichkeiten betreuter Personen sind in der Praxis gerade bei geistiger Behinderung sehr begrenzt.

 

Natürlich hat das OLG Frankfurt den Wortlaut des § 278 BGB und die herrschende Meinung auf seiner Seite. Es hätte aber gerade mit Blick auf eine jüngst ergangene Entscheidung des BVerfG, in der frühere Rechtsprechung dieses Gerichtes nur fortgeschrieben worden ist, über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein anderes Abwägungsergebnis finden können, wahrscheinlich sogar müssen.

 

Das BVerfG hat sich in Fortschreibung früherer, eigener Rechtsprechung erst kürzlich mit einem Fall beschäftigt, bei dem es um eine ernst zu nehmende Suizidgefährdung bei einer drohenden Zwangsräumung auf der Grundlage eines Zwangsversteigerungsverfahrens ging (NZFam 19, 530 ff. mit Anmerkung Stein).

 

Ähnlich wie im hier besprochenen Fall muss nach der Entscheidung des BVerfG zwischen den wechselseitigen Interessen der Parteien abgewogen werden. Dabei geht das BVerfG aber einen Schritt weiter als das OLG Frankfurt a. M. Es verlangt nämlich von den Fachgerichten, darauf hinzuwirken, dass die mit solchen Fällen befassten Gerichte und Behörden ihrerseits konkret Schutzmaßnahmen ergriffen oder die Notwendigkeit solcher Maßnahmen endgültig verneint haben (BVerfG a. a. O. S. 532 Rn. 25).

 

  • Übertragen auf das OLG Frankfurt a. M. kann dies nur bedeuten, dass die dortige Klägerin zunächst auf die Möglichkeit zu verweisen gewesen wäre, beim Betreuungsgericht zu beantragen, die Betreuerin auszuwechseln. Nach dem Sachverhalt wäre dies wohl auch zu erwirken gewesen.
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  • Zwar hat der Fall die Besonderheit, dass das Betreuerinnenamt hier von der Mutter der Beklagten bekleidet wird. Allerdings bringt die Entscheidung auch nicht ansatzweise zum Ausdruck, dass die Beklagte gerade auf die eigene Mutter in besonderem Umfange als Betreuerin angewiesen gewesen wäre. Somit hätte es sich nach den Feststellungen des OLG Frankfurt a. M. gerade aufgedrängt, die Betreuerin auszuwechseln.

 

  • Dem offenbar noch unzumutbareren Verhalten des Lebenspartners der Mutter hätte die Klägerin mit einem Hausverbot begegnen können. Ein solches ist zwar nur als Ultima Ratio zulässig (siehe SR 16, 208). Das geschilderte Verhalten des Lebenspartners wäre aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für ein wirksames Hausverbot ausreichend gewesen.

 

Im Ergebnis erstaunt, dass weder das erstinstanzliche LG, noch das zweitinstanzliche OLG Frankfurt a. M. derartige Erwägungen auch nur andeutungsweise ins Feld geführt haben. Das OLG hat die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung zum BGH verneint. Dagegen hat die Beklagte Prozesskostenhilfe beantragt, um eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen zu können. Insoweit bleibt der Fortgang des Falls abzuwarten.

 

Weiterführende Hinweise

  • Heimvertrag: So machen Sie Gewährleistungsansprüche geltende, Drasdo SR 19, 122
Quelle: Ausgabe 10 / 2019 | Seite 168 | ID 46138909