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· Fachbeitrag · Freiheitsentzug

Das gilt zu freiheitsentziehenden Maßnahmen im häuslichen Bereich

| Freiheitsentziehende Maßnahmen sind genehmigungspflichtig, wenn sich der Betroffene in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält. Wird im häuslichen Bereich gepflegt, gilt die Genehmigungspflicht nicht, so jüngst das AG Garmisch-Partenkirchen. Trotzdem können Angehörige bei ungerechtfertigten Maßnahmen schnell aktiv werden. |

 

Sachverhalt

Eine demenzkranke 96-Jährige wurde in ihrer Eigentumswohnung von einer 24-Stunden-Pflegekraft ambulant versorgt. Die Pflegekraft bewohnte eine abgeschlossene, räumlich getrennte Wohnung im selben Gebäude, die auch der Betroffenen gehörte. Nach Rücksprache mit dem beruflichen Betreuer wurden nachts und phasenweise auch tagsüber durchgehende Bettgitter an beiden Bettseiten hochgestellt.

 

Solche freiheitsentziehenden Maßnahmen sind nach dem Wortlaut des § 1906 Abs. 4 BGB nur genehmigungspflichtig, wenn sich der Betroffene „in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung“ aufhält. Für den häuslichen Bereich gilt keine Genehmigungspflicht. Die Regelung ist umstritten: Warum ist die Maßnahme in einer professionellen Einrichtung genehmigungspflichtig, während sie es bei laienhafter Familienpflege nicht ist?

 

Entscheidungsgründe

Das AG Garmisch-Partenkirchen hält am Wortlaut des Gesetzes fest (28.5.19, A XVII 9/18, rkr., Abruf-Nr. 211643). Dieser sei bei allen jüngeren Überarbeitungen des § 1906 BGB beibehalten worden.

 

Eine „Einrichtung“ i. S. d. § 1906 Abs. 4 BGB sei ein äußerer räumlicher Rahmen, in dem Versorgungsleistungen angeboten werden, so das AG. Die Grundkonstruktion ist so angelegt, dass mehrere Personen mindestens nacheinander versorgt werden. Scheidet eine Person als Leistungsempfänger aus, tritt in der Regel eine andere an dessen Stelle. Die Norm ist anzuwenden, wenn ein solcher „institutioneller Rahmen“ vorliegt.

 

Auf die Versorgung im privaten Umfeld trifft dies nicht zu. Insbesondere nicht, wenn der Betroffene seit vielen Jahren seine Privatwohnung bewohnt und zunehmend pflegebedürftig wird, sodass unterstützende Maßnahmen ergriffen werden. Der Kerngedanke einer Institution, dass z. B. nach dem Tod des Betroffenen dessen Platz in der Wohnung von einer anderen Person eingenommen wird, ist nicht erfüllt. So unterscheidet sich die Versorgungssituation grundlegend. Den Begriff der „Einrichtung“ so weit auszulegen, dass er für alle Situationen gilt, in denen professionell ambulant gepflegt wird, überschreitet die gesetzgeberischen Vorgaben. Wenn keinerlei „Einrichtungscharakter“ zu erkennen ist und langjährig in einer Privatwohnung gepflegt wird, gibt es keinen Spielraum für eine derartige Auslegung.

 

Relevanz für die Praxis

Der Fall könnte bei vielen Betreuten den Eindruck erwecken, dass sie bei häuslicher Pflege „ungeschützter“ vor freiheitsentziehenden Maßnahmen sind, als wenn sie in einer Einrichtung leben würden. Dieser Eindruck ist jedoch falsch und sollte daheim Gepflegten auch erklärt werden.

 

 

Auch hier zeigt sich, wie wichtig eine Vorsorgevollmacht bzw. Betreuungsverfügung ist, mit der bereits die Auswahl des Betreuers bestimmt werden kann. Auf diese Weise lässt sich vorausschauend ein zuverlässiger und gewünschter Betreuer wählen. Auch können mehrere Betreuer für unterschiedliche Aufgabenbereiche bestimmt werden. Ein Betreuer darf nicht schalten und walten wie er will. Das Gericht hat klare Aufklärungspflichten, wenn es darauf hingewiesen wird, dass im Rahmen einer Betreuung ungerechtfertigte freiheitsentziehende Maßnahmen vollzogen werden (SR 19, 57).

 

Weiterführende Hinweise

  • Länger als 30 Minuten fixieren? Dann muss Richter zustimmen, SR 18, 165
  • Arbeitshilfe: Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung: Rechtlich sicher ins Alter, Abruf-Nr. 44038160
  • Werdenfelser Weg: Effektiv überflüssige freiheitsentziehende Maßnahmen vermeiden, SR 18, 15
Quelle: Ausgabe 11 / 2019 | Seite 188 | ID 46134811