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· Fachbeitrag · Betreuungsverfahren

Säumnis: Keine Wiedereinsetzung nach Zustellung an ersten von mehreren Verfahrensbevollmächtigten

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA FamR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

| Der Zwölfte Senat bestätigt seine Rechtsprechung zur Erforderlichkeit der Zustellung an den Verfahrensbevollmächtigten (siehe bereits BGH 29.4.10, V ZB 202/09) und setzt diese auch konsequent für den Fall fort, dass mehrere Verfahrensbevollmächtigte bestellt sind. Soweit ein Verfahrensbevollmächtigter in der jeweiligen Instanz über eine umfassende Zustellungsbefugnis verfügt, muss die Zustellung auch an ihn erfolgen. |

 

Sachverhalt

Für den Betroffenen wurde gegen dessen erklärten Willen eine Betreuung eingerichtet. Das betreuungsgerichtliche Verfahren ist auf die Beschwerde und spätere Rechtsbeschwerde des Betroffenen bereits einmal durch die Instanzen gelaufen. Nachdem der BGH die Beschwerdeentscheidung aufgehoben und zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung zurückverwiesen hatte, musste nunmehr über die erneute Rechtsbeschwerde entschieden werden, nachdem das LG auch mit seiner zweiten Entscheidung die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen hatte.

 

Beachten Sie | Der Betroffene hatte zwei Verfahrensbevollmächtigte beauftragt, die sich beim LG jeweils als vollständig zustellungsbevollmächtigt legitimiert haben. Der Beschwerdebeschluss des LG wurde an die beiden Verfahrensbevollmächtigten am 17. bzw. am 30.7.20 zugestellt.

 

Der Betroffene hat am Montag, den 31.8.20, Rechtsbeschwerde eingelegt. Nachdem er einen richterlichen Hinweis des Senats auf eine mögliche Fristversäumung erhalten hatte, hat der Betroffene zudem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er ist der Ansicht, dass die Rechtsmittelfrist nur durch eine Zustellung an ihn persönlich in Lauf gesetzt worden wäre, sodass die Zustellungen an seine Verfahrensbevollmächtigten für die Berechnung der Rechtsmittelfrist unbeachtlich seien.

 

Die Zustellung hat auch im Betreuungsverfahren an den für den Rechtszug bestellten Verfahrensbevollmächtigten und nicht an den Betroffenen selbst zu erfolgen. Eine an den anwaltlich vertretenen Betroffenen vorgenommene Zustellung ist wirkungslos und setzt Fristen nicht in Lauf. Haben sich für einen Beteiligten mehrere Verfahrensbevollmächtigte mit umfassender Zustellungsvollmacht bestellt, so ist die zeitlich erste Zustellung an den ersten von ihnen ausschlaggebend für den Beginn des Laufs von verfahrensrechtlichen Fristen.

(Abruf-Nr. 220810)

 

Entscheidungsgründe

Der Zwölfte Senat hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen (BGH 13.1.21, XII ZB 386/20, Abruf-Nr. 220810). Der Betroffene habe sein Rechtsmittel verfristet eingelegt. Da kein Wiedereinsetzungsgrund vorliege, sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen.

 

Die Rechtsbeschwerde hätte nach § 71 Abs. 1 S. 1 FamFG binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses eingelegt werden müssen. Vorliegend habe die Rechtsmittelfrist aufgrund der Zustellung an den ersten der beiden Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen am 18.7.20 zu laufen begonnen und somit am 17.8.20 geendet.

 

Dies folge aus § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO, der zwingend die Zustellung an den Verfahrensbevollmächtigten erfordere. Die hier gegenständliche Beschwerdeentscheidung sei als anfechtbarer Beschluss zum Zwecke der Bekanntgabe gemäß § 41 Abs. 1 S. 2 FamFG zwar dem hier Betroffenen zuzustellen. Solange ein Verfahrensbevollmächtigter mit umfassender Zustellungsbefugnis in der jeweiligen Instanz legitimiert ist, habe die Zustellung jedoch zwingend an diesen zu erfolgen. Eine an den anwaltlich vertretenen Betroffenen vorgenommene Zustellung sei daher wirkungslos und setze keine Fristen in Lauf. Dies gelte auch in Betreuungssachen. Soweit der Betroffene meint, die Zustellung habe jedenfalls für den vorliegenden Fall auch an ihn persönlich erfolgen müssen, sei dies unzutreffend.

 

MERKE | Für die zwingende rechtliche Wirkung des § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO kommt es nicht auf die Umstände des Einzelfalls an. Entscheidend ist einzig die Frage, ob es eine umfassende Zustellungsbevollmächtigung an den Rechtsanwalt gab.

 

Der Einwand des Betroffenen, die beiden von ihm im Beschwerdeverfahren mandatierten Verfahrensbevollmächtigten hätten mit unterschiedlicher Zielrichtung agiert und das Landgericht hätte daher nicht erkennen können, welcher Rechtsanwalt die wirklichen Interessen des Betroffenen vertrete, sei daher unbeachtlich.

 

 

Dies gilt auch, wenn sich für einen Beteiligten mehrere Verfahrensbevollmächtigte bestellt haben. Wegen der Einzelvertretungsbefugnis nach § 11 S. 5 FamFG und § 84 S. 1 ZPO genüge dann die Zustellung an einen von ihnen. Maßgeblich für die Verfahrensfrist ist also die zeitlich erste Zustellung.

 

Beachten Sie | Da der Betroffene sich das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen müsse, komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist nicht in Betracht. Es sei daher auch unerheblich, wann der Rechtsanwalt den Betroffenen von der landgerichtlichen Entscheidung in Kenntnis gesetzt hat.

 

Relevanz für die Praxis

Die Entscheidungsgründe folgen zwingend aus § 172 Abs. 1 ZPO, der durch die entsprechenden Verweisungsnormen auch im Betreuungsverfahren ohne Einschränkung anzuwenden ist. Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber keinen Zweifel daran gelassen, dass die Zustellung an den Verfahrensbevollmächtigten im Falle einer umfassenden Zustellbefugnis zwingend zu erfolgen hat.

 

MERKE | Der Sinn und Zweck dieser Norm liegt in der Förderung des gerichtlichen Verfahrens. Der Verfahrensbevollmächtigte führt das Verfahren, sodass alle schriftsätzlich eingeführten Informationen, damit auch gerichtliche Hinweise und Entscheidungen, diesem unmittelbar zur Verfügung zu stellen sind. Dies stärkt nicht nur seine Rolle, sondern trägt auch zum gesicherten und ordnungsgemäßen Fortgang des Verfahrens bei, was wiederum im Interesse aller Beteiligten liegt. Hat ein Verfahrensbevollmächtigter seine Zustellungsvollmacht dem Gericht mitgeteilt, kommt es folglich auch im Betreuungsverfahren für den Lauf einer Frist auf die Zustellung an diesen und nicht an den Betroffenen an.

 

Folgerichtig wird diese Rechtsprechungslinie auch auf den Fall angewendet, in welchem der Betroffene mehrere Verfahrensbevollmächtigte hat. Liegen dem Gericht mehrere umfassende Zustellungsbevollmächtigungen vor, beginnt der Fristlauf mit der ordnungsgemäßen ersten Zustellung an einen der Verfahrensbevollmächtigten. Eine Zustellung an alle Bevollmächtigten oder den Betroffenen selbst ist nicht erforderlich. Dies ist konsequent. Soweit und solange sich ein Verfahrensbevollmächtigter als zustellungsbefugt ausgewiesen hat, ist er auch so zu behandeln. Aus der umfassenden Zustellungsbevollmächtigung folgt eben diese, sodass auch die Rechtswirkungen einer erfolgten Zustellung unmittelbar eintreten.

 

Beachten Sie | Dass zugleich auch weitere Verfahrensbevollmächtigte bestellt sind, ist ohne Belang. Ist die Zustellung an einen ersten Verfahrensbevollmächtigten erfolgt, werden auch entsprechende Fristen in Lauf gesetzt.

 

Folgerichtig war im vorliegenden Fall auch kein Wiedereinsetzungsgrund erkennbar. Der erste Verfahrensbevollmächtigte hatte die Frist versäumt. Das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten ist dem Betroffenen zuzurechnen. Ob bzw. wann die interne Kommunikation zwischen dem Betroffenen und diesem Bevollmächtigten stattgefunden hat, ist dafür nicht maßgeblich.

Quelle: Ausgabe 03 / 2021 | Seite 46 | ID 47147522