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· Fachbeitrag · Betreuungsverfahren

Anhörung und Beschwerderecht zur Betreuung

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA FamR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

| Kann in Coronazeiten auf eine persönliche Anhörung in Betreuungsverfahren verzichtet werden ‒ und was gilt, wenn der Betroffene nicht zum Anhörungstermin erscheint? Mit diesen und weiteren Fragen zum Beschwerderecht hat sich jüngst der BGH befasst. |

 

Auch in Zeiten der Coronapandemie kann in einem Betreuungsverfahren nur unter den engen Voraussetzungen des § 278 Abs. 4 i. V. m. § 34 Abs. 2 FamFG und damit lediglich ausnahmsweise von der gemäß § 278 Abs. 1 S. 1 FamFG erforderlichen persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden. Aus dem den anhörenden Richtern und sonstigen an der Anhörung zu beteiligenden Personen zu gewährenden Gesundheitsschutz folgen ebenfalls keine weitergehenden Möglichkeiten, von der persönlichen Anhörung abzusehen.

 

Sachverhalt

Für den im Jahre 1945 geborenen Betroffenen wurde mit seinem Einverständnis eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Organisation der ambulanten Versorgung, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen des übertragenen Aufgabenkreises eingerichtet. Zum Betreuer wurde ein guter Freund des Betroffenen aus einer gemeinsamen Inhaftierung in einer Justizvollzugsanstalt bestellt.

 

Sodann wurde unter Erweiterung des Aufgabenkreises ein Berufsbetreuer eingesetzt und der vorherige Betreuer entlassen. Hiergegen hat dieser sowie der Betroffene Beschwerde eingelegt. Letzterer hat seine Beschwerde jedoch wieder zurückgenommen. Nach seiner erneuten Anhörung und Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das LG die Betreuung um einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge erweitert. Dagegen haben der Betroffene und der frühere Betreuer Beschwerde eingelegt.

 

Das LG hat sodann einen weiteren Anhörungstermin bestimmt, zu dem der Betroffene und der frühere Betreuer unter Hinweis auf die Coronapandemie nicht erschienen sind. Im Ergebnis hat das LG die Beschwerde dann zurückgewiesen.

 

  • Leitsatz des Bearbeiters

Der Betroffene ist auch dann berechtigt, mit der Rechtsbeschwerde die Zurückweisung der gegen die Erweiterung des Aufgabenkreises und die Bestellung eines weiteren Betreuers gerichteten Beschwerde eines anderen Verfahrensbeteiligten anzugreifen, wenn er selbst seine Beschwerde zurückgenommen hatte.

 

Entscheidungsgründe

Der BGH (Beschluss 14.10.20, XII ZB 235/20, Abruf-Nr. 218956) hat der Rechtsbeschwerde stattgegeben.

 

Die Rechtsbeschwerde sei auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, soweit die Zurückweisung der gegen den amtsgerichtlichen Beschluss gerichteten Beschwerde des früheren Betreuers angegriffen ist.

 

Denn mit dieser Entscheidung habe das Amtsgericht nicht nur einen teilweisen Betreuerwechsel vorgenommen, sondern auch den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis erweitert. Der Beschluss, mit dem der Aufgabenkreis der Betreuung geändert und ein weiterer Betreuer bestellt wird, beeinträchtige den Betroffenen ebenso in seinen Rechten wie die Aufrechterhaltung dieser Entscheidung in der Beschwerdeinstanz. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Betroffene seine eigene Beschwerde zurückgenommen hatte. Denn ist der Beschluss durch einen anderen Verfahrensbeteiligten als Vertrauensperson im Sinne des § 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zulässig angefochten, sei der Betroffene nicht etwa zur Rechtswahrung mit Blick auf eine eventuelle Rechtsbeschwerde gehalten, selbst eine Beschwerde einzulegen.

 

Beachten Sie | Soweit sie mit der Rechtsbeschwerde angegriffen ist, hält die Beschwerdeentscheidung schon der Rüge nicht stand: Das LG habe nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen dürfen.

 

Die persönliche Anhörung sichere zum einen den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör. Zum anderen solle durch sie auch sichergestellt werden, dass sich das Gericht vor der Entscheidung einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft, durch den es in die Lage versetzt wird, das eingeholte Sachverständigengutachten zu würdigen. Diese Zwecke könne die Anhörung des Betroffenen regelmäßig nur dann erfüllen, wenn das Sachverständigengutachten dem Gericht zum Zeitpunkt der Anhörung vorliegt. Zudem muss es dem Betroffenen rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen werden. Zu keinem anderen Ergebnis führe der pauschale Hinweis des LG auf die Coronapandemie, der ein Absehen von der persönlichen Anhörung ebenfalls nicht rechtfertigen könne.

 

Nach § 34 Abs. 2 FamFG könne die persönliche Anhörung des Betroffenen nur ausnahmsweise unterbleiben, wenn von ihr erhebliche Nachteile für die Gesundheit zu besorgen sind. Das Unterbleiben der Anhörung könne daher nur aus Gründen des Gesundheitsschutzes im Einzelfall gerechtfertigt sein, insbesondere wenn der Betroffene nachweislich mit dem Coronavirus infiziert und ausreichender Infektionsschutz nicht möglich ist. Eine nur abstrakte Gefahr reiche dafür nicht aus.

 

Relevanz für die Praxis

Der BGH hebt zutreffend den kaum zu überschätzenden Stellenwert der Anhörung des Betroffenen hervor. Daran ändern auch die aus der derzeitigen Coronapandemie resultierenden Gefahren nichts. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betroffenen ist erforderlich, um dem erkennenden Richter eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen.

 

Beachten Sie | Werden im Laufe des Verfahrens wesentliche neue Erkenntnisse wie etwa durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens gewonnen, müssen diese zum Gegenstand der Anhörung gemacht werden.

 

Sowohl das Gericht als auch der Betroffene müssen für eine ordnungsgemäße Anhörung die sachverständigen Ausführungen kennen und damit auch bewerten können. Das Gericht kann die Anhörung nur dann sachgerecht durchführen, wenn alle Beteiligten die vorherige Gelegenheit zur angemessenen Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten hatten. Wird das Gutachten im Laufe des Verfahrens eingeholt, ist ggf. eine erneute Anhörung durchzuführen.

 

MERKE | Von diesem Grundsatz kann nur eine Ausnahme gemacht werden, wenn konkrete Gesundheitsgefährdungen aus der Anhörung resultieren. Eine nur abstrakte Ansteckungsgefahr reicht hierfür nicht. Andernfalls würde der gesetzgeberische Wille in sein Gegenteil verkehrt, da eine Anhörung stets mit Gefahren aus der Coronapandemie unterbleiben könnte. Dies käme einer Umkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses gleich und ist daher abzulehnen.

 

Zustimmung findet auch der weitere Schwerpunkt der Entscheidung. Führt eine Vertrauensperson des Betroffenen die Beschwerde gegen eine Betreuungsverfügung, braucht der Betroffene nicht selbst noch gesondert Beschwerde einzulegen. Solange eine Beeinträchtigung des Rechtskreises des Betroffenen verbleibt, ist über das Rechtsmittel der Vertrauensperson auch zu befinden.

 

PRAXISTIPP | Nur der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Betreuerauswahl vorliegend wohl die Geeignetheit des ursprünglichen Betreuers verkannt haben dürfte. Ein zahlreich vorbestrafter Intensivtäter dürfte nicht die erforderliche Eignung haben, zuverlässig die Angelegenheiten des Betroffenen zu regeln.

 
Quelle: Ausgabe 01 / 2021 | Seite 5 | ID 47011983