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· Fachbeitrag · Testament

Wechselbezüglichkeit: späteres einseitiges Testament kein eindeutiges Indiz

von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

| Nach Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments kann eine inhaltlich von diesem abweichende letztwillige Verfügung des überlebenden Ehegatten, die mit der Feststellung erstellt wurde, es sei im gemeinschaftlichen Testament nicht festgelegt worden, ob der Überlebende das Testament später noch ändern und über das Vermögen frei verfügen könne, nicht als Indiz gegen die Wechselbezüglichkeit gewertet werden. Dies hat das OLG Stuttgart aktuell entschieden. |

 

Sachverhalt

Die Erblasserin (E), deren Ehemann (M) vorverstorben ist, hat keine Abkömmlinge hinterlassen. E und M haben sich in einem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben des Zuerstversterbenden eingesetzt. Erben des Zuletztversterbenden sollen die Beteiligten zu 1 bis 3 jeweils zu 1/3 sein. Die Beteiligte zu 1) ist eine Nichte (N) der E, die Beteiligten zu 2) und 3) sind Neffen des M. Nach dem Tod des M hat die E in einem weiteren privatschriftlichen Testament die N als Alleinerbin eingesetzt. In ihrem gemeinschaftlichen Testament sei nicht festgelegt worden, ob der Überlebende das Testament später noch ändern und über das Vermögen frei verfügen könne. Es wurde ein Erbschein erteilt, der die Beteiligten je mit einem Erbteil von 1/3 als Erben der E ausweist. N hat erfolglos beantragt, den Erbschein einzuziehen. Dagegen wendet sie sich erfolglos mit ihrer Beschwerde.

 

  • 1. § 2361 BGB verdrängt § 48 Abs. 1 FamFG mit der Folge, dass nach Erteilung eines Erbscheins nur noch dessen Einziehung nicht aber die Abänderung des Beschlusses über seine Erteilung in Betracht kommt.
  • 2. Nach Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments kann eine inhaltlich von diesem abweichende letztwillige Verfügung des überlebenden Ehegatten, die mit der Feststellung erstellt wurde, es sei im gemeinschaftlichen Testament nicht festgelegt worden, ob der Überlebende das Testament später noch ändern und über das Vermögen frei verfügen könne, nicht als Indiz gegen die Wechselbezüglichkeit gewertet werden.
 

Entscheidungsgründe

Der Erbschein ist richtig. Denn die E war gem. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB gehindert, durch das privatschriftliche Testament die N als Alleinerbin einzusetzen. Die von M im gemeinschaftlichen Testament verfügte Einsetzung der E als Alleinerbin war wechselbezüglich i. S. d. § 2270 BGB mit der von der E verfügten Einsetzung der Neffen als Schlusserben zu je 1/3 des Nachlasses. Die E war insoweit gebunden.

 

Fehlt wie hier eine ausdrückliche Bestimmung zur Wechselbezüglichkeit, ist diese durch ‒ auch ergänzende ‒ Auslegung zu ermitteln (Burandt/Rojahn/Braun, Erbrecht, 2. Aufl., § 2270 Rn. 22). Erst wenn danach Zweifel verbleiben, ist § 2270 Abs. 2 BGB anwendbar (Burandt/Rojahn/Braun, a.a.O., § 2270, Rn. 29). Die gebotene Auslegung führt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, weder i. S. d. Annahme einer Wechselbezüglichkeit noch i. S. ihrer Verneinung.

 

Da die E in etwa einen gleichen Anteil am Gesamtvermögen hatte, sprechen die Vermögensverhältnisse nicht gegen eine Bindung der E. Nur bei einem erheblichen Vermögensunterschied ist i. d. R. nicht davon auszugehen, dass sich der Vermögendere für den Fall des Überlebens binden wollte. Auch die tatsächlichen Verhältnisse lassen keinen sicheren Rückschluss auf eine Nichtbindung zu.

 

Eine fehlende Wechselbezüglichkeit kann auch nicht im Hinblick darauf festgestellt werden, dass die E 22 Jahre nach der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments anderweitig verfügt hat (MüKo/Musielak, BGB, 7. Aufl., § 2270 BGB, Rn. 7). Eine einseitige Äußerung des Überlebenden weit im Nachhinein ist nicht ausreichend, um im Wege der Auslegung eine Wechselbezüglichkeit, für die es auf die Zeit der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments ankommt, mit der erforderlichen Sicherheit zu verneinen (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 12, 1977).

 

Umgekehrt kann eine Wechselbezüglichkeit hier auch nicht durch Auslegung positiv festgestellt werden. Daher greift hier die Zweifelregel des § 2270 Abs. 2 BGB. In dem gemeinschaftlichen Testament wurde, wie in § 2270 Abs. 2 BGB vorausgesetzt, dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist. Denn die begünstigten Beteiligten zu 2 und 3 sind Neffen des M.

 

Wenn sich kinderlose Ehegatten gegenseitig zu Erben einsetzen und bestimmen, dass nach dem Tod des Längerlebenden der beiderseitige Nachlass zum Teil an Verwandte des Mannes und zum Teil an Verwandte der Frau fallen soll, ist im Zweifel davon auszugehen, dass die gegenseitigen Erbeinsetzungen und die zugunsten der Verwandten des anderen Ehegatten getroffenen Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander stehen (Palandt/Weidlich, BGB, 78, § 2270 BGB, Rn. 11 m.w.N.). Die Bindung besteht aber nur, soweit die jeweilige Verfügung des Ehegatten zugunsten seiner eigenen Verwandten in Rede steht. Denn regelmäßig fehlt das Interesse des anderen Teils an einer wechselbezüglichen Bindung gem. § 2270 BGB (vgl. BGH NJW 61, 120 = MDR 61, 129). Dass hier die Verteilung nicht hälftig erfolgt ist, sondern Verwandte des M zusammen 2/3 und die der F 1/3 erben sollten, ändert an diesen Grundsätzen nichts.

 

Relevanz für die Praxis

Zeitlich ist die Einziehung erst ab der Erteilung des Erbscheins möglich. Dann verdrängt die Einziehung aber die Abänderungsmöglichkeit gem. § 48  FamFG als Spezialregelung (MüKo/Grziwotz, BGB, a.a.O., § 2361 Rn. 1, § 2353 Rn. 128). Ein Antrag auf Aufhebung des Erbscheins ist wegen der Spezialregelung des § 2361 BGB nicht möglich.

Quelle: Ausgabe 08 / 2019 | Seite 133 | ID 45874671