Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Erbrecht

Erbschein bei unklaren Umständen

| Wenn die Testierfähigkeit des Erblassers zweifelhaft ist, fordert das Grundbuchamt zu Recht einen Erbschein. Dies gilt auch, wenn ein Erbvertrag unklar oder eine Erbausschlagung widersprüchlich ist. Dann müssen die Umstände genauer aufgeklärt werden. |

 

Sachverhalt

Bruder B hatte mit seiner Schwester S einen notariellen Erbvertrag errichtet. B war als Eigentümer von Grundbesitz eingetragen. Für den Fall, dass der Überlebende der beiden keine entgegenstehenden Verfügungen von Todes mehr treffen sollte, setzten die Geschwister den Schlusserben L ein. Nachdem B verstorben war, erklärte S mit notarieller Urkunde, dass sie die Erbschaft ausschlage, damit sie dem L zufalle.

 

Die Urkunde wurde mit einem ergänzenden Formblattschreiben eingereicht, das von S und L unterzeichnet war. Darin wurde neben der Ausschlagung außerdem „als Vertreter“ beantragt, das Grundbuch zu berichtigen und die Spalte „Ich benötige einen Erbschein“ angekreuzt. L erklärte, die Erbschaft anzunehmen und beantragte, das Grundbuch zu berichtigen. Das Grundbuchamt verlangte einen Erbschein, da es zweifelhaft sei, dass der Erblasser testierfähig war. Die Erbfolge ergebe sich auch nicht direkt aus dem Erbvertrag, sondern erst, wenn die Wirksamkeit der Ausschlagung geklärt sei.

 

L legte Atteste und ein Privatgutachten vor, wonach „sehr viel mehr für als gegen die Annahme“ spräche, dass der Betroffene testierfähig war, als er unterschrieb. Das OLG München wies die Beschwerde des L ab.

 

  • 1. Begehrt derjenige, dem bei wirksamer Ausschlagung der Nachlass zufiele, die Berichtigung des Grundbuchs, hat das Grundbuchamt trotz Vorliegens öffentlicher Urkunden einen Erbschein zu verlangen, wenn weitere Ermittlungen dazu erforderlich sind, ob die Ausschlagung wirksam erklärt ist.
  • 2. Ist ein Ersatzerbe für den Fall benannt, dass der Überlebende keine entgegenstehenden Verfügungen von Todes wegen trifft, so ist vor Anwendung gesetzlicher Auslegungsregeln zunächst zu klären, ob dies nach dem Willen des Erblassers auch dann gelten solle, wenn der Überlebende die Erbschaft ausschlägt.
 

Entscheidungsgründe

Das Grundbuchamt prüft Urkunden oder tatsächliche Umstände, wenn ein Eintrag zu berichtigen ist. Ist es zweifelhaft oder unklar, was der Erblasser genau wollte oder ob er wirksam einen Erben eingesetzt hat, muss das Grundbuchamt einen Erbschein verlangen (§ 35 Abs. 1 GBO). Es sind allerdings begründete und konkrete Zweifel notwendig, die sich z. B. auf ärztliche Gutachten oder Atteste stützen und die einen verlangten Erbschein rechtfertigen. Allein eine schwere geistige Erkrankung oder dass ein Betreuer bestellt wird bedeutet nicht, dass ein Erblasser testierunfähig ist. Ob allein deswegen ein Erbschein erforderlich war, musste das OLG aber nicht entscheiden. Die Gründe dafür:

 

  • Bereits die Erbausschlagung war widersprüchlich: Die S hatte erklärt, das Erbe auszuschlagen, und gleichzeitig die Berichtigung im Grundbuch sowie einen Erbschein beantragt. In einem solchen Antrag kann jedoch die Annahme der Erbschaft zu sehen sein. Nach § 1943 BGB kann eine Erbschaft nicht mehr ausgeschlagen werden, wenn sie angenommen wurde.

 

  • Der Erbvertrag enthielt Unklarheiten: Es war auslegungsbedürftig, ob mit der „Schlusserbeneinsetzung“ eventuell gemeint ist, dass der L als Nacherbe des Erstversterbenden und Ersatzerbe des Letztversterbenden eingesetzt wird. Und ob dies auch gilt, wenn der Überlebende (hier: die S) das Erbe ausschlägt. Der Erbvertrag erklärt nur, dass der L Erbe des Letztversterbenden werden soll, wenn der Überlebende kein entgegenstehendes Testament errichtet. Das Grundbuchamt kann dies nicht auslegen.

 

Relevanz für die Praxis

Ist die erbrechtliche Lage nicht eindeutig und zweifelsfrei, wird und darf das Grundbuchamt einen Erbschein verlangen. Im Erbscheinverfahren können, z. B. durch Zeugen, Sachverständige oder ärztliche Gutachten, genauere Erkenntnisse gewonnen werden, ob eine Testierfähigkeit vorlag. Dies auch wenn es darum geht, das Ausmaß psychischer Krankheiten zu beurteilen.

 

Das Nachlassgericht hat dabei Amtsaufklärungspflichten, wenn es die Testierfähigkeit überprüft. Solche Ermittlungen kann das Grundbuchamt nicht leisten. Dasselbe gilt, wenn ein Erbvertrag den Willen des Erblassers nicht eindeutig erkennen lässt oder wenn eine Erbausschlagung widersprüchlich erscheint. Dann ist der Wille der Vertragsparteien genau zu ermitteln, denn die Urkunde selbst bietet dem Grundbuchamt dafür keine oder nur unzureichend Anhaltspunkte.

 

PRAXISHINWEIS | Gerade bei unterschiedlich verlaufenden, langfristigen Krankheitsverläufen (v. a. psychische/neurologischen) kann es sinnvoll sein, dass sich erkrankte oder betreute Personen ihre Testierfähigkeit von einem Facharzt bestätigen lassen, wenn sie eine erbrechtliche Verfügung treffen wollen. Der zeitliche Abstand zwischen dem Attest und der Verfügung sollte dabei so kurz wie möglich sein.

 

Weiterführende Hinweise

  • Erbvertrag mit Rücktrittsrecht als Erbnachweis, SR 16, 27
  • Erbrechtsstreitigkeiten durch privatschriftliche Verträge beilegen, SR 15, 176
Quelle: Ausgabe 04 / 2016 | Seite 58 | ID 43965245