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· Fachbeitrag · Zeitablauf

Zu lange gewartet: Auch der Anspruch auf Elternunterhalt kann verjähren oder verwirkt sein

| Zeitablauf kann ‒ unabhängig vom Willen der Beteiligten ‒ per Gesetz die Rechtslage verändern und Rechte und Ansprüche „entkräften“. Dem Zeitablauf kommt im Bereich des Elternunterhalts eine besondere Bedeutung zu. Ansprüche von Eltern können zwar bestehen, sind aber nicht durchsetzbar, weil sie entweder verjährt oder verwirkt sind. |

1. Verjährung

Alle Unterhaltsansprüche ‒ also auch die der Eltern ‒ verjähren seit dem 1.1.02 in drei Jahren (§ 195 BGB). Bis zum 31.12.01 waren es noch vier Jahre.

 

Die Verjährungsfrist beginnt dabei nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntnis erlangen können. Die Verjährung wird vor allem von dem Gedanken des Schuldnerschutzes und des Rechtsfriedens (sowie der Rechtssicherheit) getragen.

 

Die Verjährung führt nicht zum Erlöschen des Unterhaltsanspruchs. Sie begründet gemäß § 214 Abs. 1 BGB nur ein Leistungsverweigerungsrecht. Als Einrede muss die Verjährung vom Unterhaltsschuldner im Rechtsstreit erhoben werden. Nur dann ist sie zu beachten. Auf die Einrede kann ‒ auch konkludent ‒ verzichtet werden, indem der Unterhaltspflichtige sie schlicht nicht erhebt. Das zum Elternunterhalt verpflichtete Kind kann die Verjährungseinrede gemäß §§ 412, 404 BGB auch gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend machen. Vorausgesetzt es liegt der gesetzliche Anspruchsübergang nach § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII vor.

 

Beachten Sie | Die Einrede der Verjährung spielt in der unterhaltsrechtlichen Praxis eine nur untergeordnete Rolle. Anders liegt der Fall bei der Verwirkung. Zwar gilt der Grundsatz: Je kürzer die Verjährungsfrist, umso seltener ist an sich Raum für eine Verwirkung. Beim Elternunterhalt sieht die Sache jedoch anders aus. Die durch Zeitablauf eintretende Verwirkung gewinnt hier große praktische Relevanz.

2. Verwirkung

Die Verwirkung gehört aus der Sicht des unterhaltspflichtigen Kinds zu seinen wichtigsten Verteidigungsstrategien. Denn häufig sind die Sozialhilfeträger aus Personal- oder anderen Gründen nicht in der Lage, die übergegangenen Unterhaltsansprüche von Eltern zeitnah geltend zu machen bzw. durchzusetzen.

 

Teilweise fehlt es beim Sozialhilfeträger auch an einem hinreichenden Problembewusstsein in diesem Zusammenhang, sodass er nicht genügend auf zügige Bearbeitung achtet. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt eine Verwirkung von Unterhaltsansprüchen in Betracht, wenn diese Voraussetzungen vorliegen:

 

  • Zeitmoment: Der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre und

 

  • Umstandsmoment: Der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde.

 

  • Beispiel

Mit Schreiben vom 20.1.16 teilt der Sozialhilfeträger S der T im Rahmen einer Rechtswahrungsanzeige mit, dass er seit 1.1.16 Sozialhilfe für ihre in einem Pflegeheim untergebrachte hilfsbedürftige Mutter leistet. Er fordert T zur Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf. Nachdem sie Auskunft erteilt hat, beziffert S die Unterhaltsforderung auf monatlich 550 EUR. Auf die dagegen gerichteten Einwände der T nimmt S mit Schreiben vom 2.3.16 eine neue korrigierte Unterhaltsberechnung vor, die zu einem etwas geringeren übergegangenen Unterhaltsanspruch von monatlich 500 EUR gelangt. Mit ihrem bei S am 1.4.16 eingegangenen Schreiben legt T eine eigene Berechnung vor, mit der sie zu einem Elternunterhaltsanspruch von höchstens monatlich 15 EUR gelangt, tatsächlich bestehe jedoch bei ihr Leistungsunfähigkeit. Darauf erwidert S nicht mehr. Erst mit einem Schreiben vom 30.6.17 (zugegangen am 1.7.17) kommt S auf die Sache zurück und fordert die T ab 1.1.16 zur Zahlung eines rückständigen sowie laufenden Unterhalts für ihre Mutter in Höhe von monatlich 500 EUR auf.

 

a) Zeitmoment

Für die Verwirklichung des Zeitmoments ist es erforderlich, dass der Anspruch längere Zeit nicht geltend gemacht wird. Eine pauschale Bestimmung dieses Zeitraums ist dabei nicht möglich. Die für die Verwirkung erforderliche Zeitspanne richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Geltendmachungsfristen generell festzulegen ist mit Sinn und Zweck der Verwirkung nicht zu vereinbaren. Denn: Sie ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB). Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang vor allem

  • Art und Bedeutung des Anspruchs,
  • Intensität des vom Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestands und
  • Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten.

 

Bei Unterhaltsansprüchen dürfen nach der Rechtsprechung des BGH an das Zeitmoment keine strengen Anforderungen gestellt werden. Von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, ist eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen zu erwarten, dass er sich zeitnah um deren Durchsetzung bemüht. Unternimmt er nichts, erweckt er damit in der Regel den Eindruck, gar nicht bedürftig zu sein. Ferner ist zu beachten, dass Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen können, die auch die Leistungsfähigkeit für den laufenden Unterhalt gefährden.

 

Außerdem sind nach einem längeren Zeitraum oft die der Unterhaltsberechnung zugrunde liegenden Einkommensverhältnisse nur schwer aufklärbar. Das Zeitmoment ist daher in der Regel bereits für Zeitabschnitte, die mehr als ein Jahr vor einem erneuten Tätigwerden zurückliegen, zu bejahen (BGH 15.9.10, XII ZR 148/09, Abruf-Nr. 103615). Das Gesetz schenkt bei Unterhaltsrückständen für eine mehr als ein Jahr zurückliegende Zeit dem Schuldnerschutz besondere Beachtung, wie die Jahresgrenze in § 1585b Abs. 3 BGB beim nachehelichen Unterhalt, in § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB beim Sonderbedarf des Kindes und in § 238 Abs. 3 S. 4 FamFG im Abänderungsverfahren zeigen. Diesem generellen Rechtsgedanken ist auch bei der Bemessung des Zeitmoments für die Verwirkung Rechnung zu tragen (BGH, a.a.O.).

 

Diese rechtlichen Überlegungen gelten in gleicher Weise, wenn Ansprüche aus übergegangenem Recht geltend gemacht werden, da sich durch den gesetzlichen Forderungsübergang Umfang, Inhalt und Natur des Anspruchs nicht verändern. Deshalb fordert die Rechtsprechung auch von Sozialhilfeträgern, sich zu bemühen, Unterhaltsansprüche zeitnah durchzusetzen.

 

Lösung: Im Beispiel hat S nach Eingang der eigenen Unterhaltsberechnung der T am 1.4.16 seine Unterhaltsforderung erst mit am 1.7.17 zugegangenem Schreiben weiterverfolgt. Durch das über einjährige Abwarten des S mit einer Reaktion auf das Schreiben der T ist deshalb das Zeitmoment erfüllt, soweit die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die mehr als ein Jahr zurückliegen. Gerechnet wird hier ab dem Zeitpunkt des erneuten Tätigwerdens des S. Stichtag ist damit der 1.7.17, an dem T Kenntnis von der Aufrechterhaltung der Forderungen des S erlangt hat. Folglich kann angenommen werden, dass das Zeitmoment für die bis zum 30.6.16 entstandenen Elternunterhaltsansprüche erfüllt ist.

 

PRAXISHINWEIS | Das Argument des Sozialhilfeträgers, er verfüge nicht über die personellen Ressourcen, um übergegangene Ansprüche auf Elternunterhalt rechtzeitig geltend machen zu können, greift nicht. Der Anwalt des unterhaltspflichtigen Kindes sollte dem entgegen halten, dass es sich um Umstände handelt, die in den alleinigen Verantwortungsbereich des Sozialhilfeträgers fallen. Auch musste die T hier nicht etwa von sich aus in der Zwischenzeit bei S nachfragen, ob sie noch mit ihrer rückwirkenden Inanspruchnahme zu rechnen hat.

 

Das Zeitmoment kann auch in einem rechtshängigen gerichtlichen Unterhaltsverfahren erfüllt werden, wenn das Verfahren nur mit Verzögerungen betrieben wird. Das kann z. B. der Fall sein, wenn der Sozialhilfeträger den übergegangenen Unterhaltsanspruch im Wege eines Stufenantrags verfolgt und er den Anspruch auf Elternunterhalt erst mehr als ein Jahr nach der letzten Auskunftserteilung durch das unterhaltspflichtige Kind beziffert.

 

PRAXISHINWEIS | Aus der Sicht des Anwalts des unterhaltspflichtigen Kindes, dem Verzögerungen zugutekommen, ist es vorteilhaft, die Frage der Auskunftserteilung der Korrespondenz zwischen dem Mandanten selbst und dem Sozial-hilfeträger zu überlassen (und als Anwalt noch nicht in Erscheinung zu treten).

Das nimmt eher mehr als weniger Zeit in Anspruch. Nach der anschließenden Anwaltsbestellung empfiehlt es sich, ggf. die Schlüssigkeit des Anspruchs infrage zu stellen, insbesondere die vom Sozialhilfeträger vorgenommene Unterhaltsberechnung in Zweifel zu ziehen oder auf der genauen Aufklärung einer Mithaftung von etwaigen Geschwistern zu insistieren. Hierdurch gerät der vielfach personell unterbesetzte Sozialhilfeträger in zeitliche Bedrängnis, sodass es schnell zu „verwirkungsfördernden“ Verzögerungen kommen kann.

 

b) Umstandsmoment

Das neben dem Zeitmoment notwendige Umstandsmoment bedeutet, es müssen besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer sich der Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben darauf verlassen kann, vom Berechtigten nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Im Bereich des Elternunterhalts gelten für das Umstandsmoment geringere Anforderungen als etwa beim Kindesunterhalt. Deshalb bedarf es hier nicht konkreter „Vertrauensinvestitionen“ des unterhaltspflichtigen Kindes. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob besondere Nachteile durch seine spätere Inanspruchnahme entstehen. Vielmehr führt bereits die fehlende Geltendmachung eines Teils des Elternunterhaltsanspruchs zu einem gewissen Vertrauensschutz.

 

Lösung: Im Beispiel kann man sagen, dass das über einjährige Zuwarten des S mit einer Reaktion auf die bei ihm seit 1.4.16 vorliegende Unterhaltsberechnung der T bei dieser die nachvollziehbare Erwartung entstehen ließ, S akzeptiere ihre Berechnung und verfolge die Unterhaltsforderungen nicht weiter.

 

PRAXISHINWEIS | Das Umstandsmoment hätte S hier leicht dadurch verhindern können, dass er der T eine (oder mehrere) Sachstandsmitteilung zugesandt und darin zum Ausdruck gebracht hätte, die eigene Unterhaltsberechnung der T noch prüfen und anschließend wieder auf die Sache zurückkommen zu wollen.

 

Aus behördlicher Sicht empfiehlt sich auch in anderen Fällen regelmäßig(e) ‒ mindestens einmal jährlich(e) ‒ klarzustellen, dass an rückständigen und laufenden Unterhaltsforderungen ungeachtet der eingetretenen zeitlichen Verzögerungen in jedem Fall festgehalten werde. Das gilt erst recht, wenn in einem Gerichtsverfahren ‒ wie in der Praxis häufig ‒ lediglich für einen bestimmten zurückliegenden Zeitraum Elternunterhaltsansprüche geltend gemacht werden. Dieses gerichtliche Tätigwerden erstreckt sich unter dem Gesichtspunkt des Zeitmoments nicht auf (die andere Zeiträume betreffenden) Elternunterhaltsforderungen, die vom Sozialhilfeträger noch nicht anhängig gemacht wurden.

 

c) Rechtswirkungen

Anders als die Verjährungseinrede begründet der Einwand der Verwirkung eine inhaltliche Begrenzung des Rechts. Es handelt sich um eine rechtsvernichtende Einwendung, die im gerichtlichen Verfahren von Amts wegen zu berücksichtigen ist, soweit entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte vorgetragen werden oder erkennbar sind. Im Fall des Streits trägt das unterhaltspflichtige Kind die Beweislast für die Voraussetzungen der Verwirkung. Dem Sozialhilfeträger obliegt allerdings eine sekundäre Darlegungslast, wann und wie er den Anspruch auf Elternunterhalt gegenüber dem unterhaltspflichtigen Kind geltend gemacht hat.

 

PRAXISHINWEIS | Auch Unterhaltsnachforderungen sind auf Verwirkung zu prüfen. Das wird z. B. relevant, wenn der Sozialhilfeträger mit dem unterhaltspflichtigen Kind Verhandlungen über einen bestimmten Zahlbetrag führt, den er nachträglich „nach oben“ korrigieren will. Zwar ist eine Korrekturmöglichkeit nicht generell ausgeschlossen. Geht es aber in den Verhandlungen nur darum, ob eine streitige Position abzugsfähig ist, darf das Kind darauf vertrauen, dass es nicht nachträglich mit einer höheren Unterhaltsforderung konfrontiert wird.

 

Im Beispiel kann S im Ergebnis für die Zeit bis zum 30.6.16 von T keinen Elternunterhalt beanspruchen, denn für diesen Zeitabschnitt ist mit Blick auf das zu bejahende Zeit- und Umstandsmoment Verwirkung eingetreten.

 

MERKE | Der Verwirkung unterliegt nur der für einen bestimmten Zeitraum entstandene Unterhaltsanspruch. Durch die zeitweilige Nichtgeltendmachung kann deshalb nicht die Leistungspflicht des Schuldners generell verwirkt werden. Die (noch) nicht verwirkten rückständigen Unterhaltsansprüche können deshalb vom Sozialhilfeträger weiterhin geltend gemacht werden.

 

d) Verwirkung von rückständigen titulierten Unterhaltsansprüche

Bei titulierten Ansprüchen bleibt es für das Zeitmoment bei den dargestellten Anforderungen. Beim Umstandsmoment ist ein strengerer Maßstab anzulegen.

 

 

FAZIT | Der Verwirkungseinwand ist ein wirksames Mittel, um rückständige Elternunterhaltsansprüche aus bloßen zeitlichen Gründen zu Fall zu bringen. Sowohl für den Anwalt des Kindes, als auch für den Sozialhilfeträger empfiehlt es sich daher in diesem Zusammenhang, geeignete Verteidigungsstrategien zu entwickeln bzw. geeignete anspruchserhaltende Maßnahmen zu ergreifen.

 
Quelle: Sonderausgabe 02 / 2017 | Seite 55 | ID 44963806