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· Fachbeitrag · Selbstgenutzte Immobilie

Tilgungsleistungen: Vermögensbildung oder unterhaltsrelevante Abzugsposition?

von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Brandenburg/Berlin

| Zu den Faktoren, die die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der unterhaltspflichtigen Kinder bestimmen, gehört der Vorteil des mietfreien Wohnens (§ 100 BGB) in der eigenen Immobilie. In aller Regel ist diese aber finanziert. Wie also sind die Tilgungsaufwendungen unterhaltsrechtlich zu behandeln? Dienen sie doch der (einseitigen) Vermögensbildung der Kinder. Die salomonische Antwort lautet: Es kommt darauf an. Der BGH hat hier weitere Klarheit geschaffen und für den Abzug von Tilgungsleistungen eine bestimmte Schrittfolge entwickelt ( 18.1.17, XII ZB 118/16, Abruf-Nr. 192163 ). |

1. Unterhaltsrechtlicher Wohnvorteil als Ausgangsposition

Im Elternunterhaltsrecht ist für die Höhe des Wohnwerts (also der unter den gegebenen Verhältnissen ersparten Miete) nicht der am Markt objektiv erzielbare Mietzins für das von dem unterhaltspflichtigen Kind tatsächlich bewohnte Eigenheim anzusetzen. Vielmehr wird nur die individuelle Mietersparnis für den unterhaltsrechtlichen Wohnwertvorteil zugrunde gelegt (sog. angemessener Wohnvorteil). Die Höhe des angemessenen individuellen Wohnvorteils errechnet sich daher nach allg. A. wie folgt: Angemessene Wohnfläche × ortsübliche Vergleichsmiete für die konkret genutzte Wohnung.

 

In der Praxis wird die exakt zu bestimmende Höhe des angemessenen Wohnvorteils vor allem relevant, wenn das frühere Familienheim nach dem Auszug der eigenen Kinder für das zum Elternunterhalt verpflichtete Kind zu groß geworden ist.

 

PRAXISHINWEIS | Als Maßstab für die angemessene Wohnfläche ist nicht das Einkommen des unterhaltsverpflichteten Kindes heranzuziehen. Dieses bestimmt die Angemessenheit der von ihm genutzten Wohnfläche auch nicht selbst nach seinen persönlichen Wünschen und Vorstellungen. Vielmehr ist eine Orientierung am durchschnittlichen Wohnflächenbedarf der Bevölkerung vorzunehmen, wie er sich z. B. aus statistischen Jahrbüchern ergibt. Für eine zum Elternunterhalt verpflichtete Einzelperson kann ohne Weiteres eine Wohnungsgröße von 50 bis 60 m² als angemessene Wohnfläche angesetzt werden.

 

2. Zinsleistungen als Abzugsposition

Von dem angemessenen (individuellen) Wohnwert für die Nutzung einer eigenen Immobilie sind die von dem Unterhaltsverpflichteten geleisteten Zinszahlungen in Abzug zu bringen. Diese Gegenrechnung der tatsächlichen Zinsaufwendungen ist unproblematisch und war auch schon in der Vergangenheit allgemein anerkannt. Vereinfacht kann man sagen: Ohne die Zinsleistungen gäbe es den Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete nicht.

 

MERKE | Lebt das unterhaltsverpflichtete Kind bereits in einem lastenfreien Eigenheim, so spielen Zinsaufwendungen naturgemäß keine Rolle mehr. Auch fiktive Anrechnungen - etwa weil der Unterhaltspflichtige durch besondere Anstrengungen und mit persönlichen Einschränkungen eine vorzeitige Kredittilgung herbeigeführt hat - sind von vornherein ausgeschlossen.

 

3. Unterhaltsrechtliche Auswirkungen von Tilgungsleistungen

Zwischen Wohnvorteil, Tilgungsleistungen und Altersvorsorgebeiträge besteht ein Zusammenhang. Diese Verknüpfung und die sich daraus ergebende Schrittfolge für die unterhaltsrechtliche Berücksichtigung von Tilgungsleistungen lassen sich an folgenden Beispielen deutlich machen:

 

  • Ausgangsfall

Der alleinstehende S wird vom Sozialamt aus übergegangenem Recht auf Elternunterhalt für seine pflegebedürftige Mutter in Anspruch genommen. Er verfügt über ein unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 3.500 EUR (das entspricht brutto etwa 6.220 EUR). S lebt in einer Eigentumswohnung in Hamburg, für die ein angemessener Wohnwert von 60 m² x 12 EUR = 720 EUR anzusetzen ist.

 

Die für die Finanzierung des Eigenheims aufzubringenden monatlichen Annuitäten belaufen sich auf 500 EUR für die Zinsen und auf 100 EUR für die Tilgung. Diese Kreditverpflichtungen ist S bereits zu einer Zeit eingegangen, als er noch nicht mit seiner Inanspruchnahme auf Elternunterhalt gerechnet hat.

 

Vom angemessenen Wohnwert von 720 EUR für die Nutzung der Eigentumswohnung sind primär die von S geleisteten Zinszahlungen für die Immobilie in Abzug zu bringen. Es verbleibt dann immer noch ein Wohnwert von 720 EUR - 500 EUR = 220 EUR.

 

Da die Darlehensaufnahme dem Wohnbedürfnis des S und damit einem unterhaltsrechtlich grundsätzlich anzuerkennenden Zweck dient und die Annuitäten auch in einem angemessenen Verhältnis zu den von S erzielten Erwerbseinkünften stehen, sind auch seine Tilgungsleistungen für die Eigentumswohnung von dem angemessenen Wohnwert in Abzug zu bringen. Es verbleibt dann mit 720 EUR - 500 EUR - 100 EUR = 120 EUR immer noch ein positiver Wohnvorteil.

 

Dieser Wohnwert von 120 EUR ist dem unterhaltsrelevanten Einkommen des S von 3.500 EUR auf der einen Seite hinzuzurechnen. Auf der anderen Seite darf S eine sekundäre Altersvorsorge betreiben. Deshalb kann er nach den für den Elternunterhalt geltenden Regeln 5 Prozent seines Bruttoeinkommens für seine zusätzliche Altersvorsorge (in beliebiger Anlageform) verwenden. Das ergibt hier einen Betrag von 6.220 EUR x 5 Prozent = 311 EUR. Diese private Altersvorsorge ist, sofern sie von S tatsächlich vorgenommen wird, von seinem Einkommen abzuziehen. Im Ergebnis beläuft sich das unterhaltsrelevante Einkommen des S im Ausgangsfall damit auf 3.500 EUR + 120 EUR - 311 EUR = 3.309 EUR.

 

Die Tilgungsaufwendungen des S von 100 EUR dürfen dabei - so der BGH - entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung im Ausgangsfall nicht auf seinen Altersvorsorgebeitrag angerechnet werden, weil Zinsen und Tilgungsleistungen zusammen nicht die Höhe des angemessenen Wohnvorteils erreichen.

 

PRAXISHINWEIS | An der vollen Abzugsfähigkeit der Altersvorsorgeaufwendungen von 311 EUR würde sich auch nichts ändern, wenn S höhere Zins- und Tilgungsleistungen als im Ausgangsfall, nämlich 720 EUR, aufbringen würde und damit - wie bei einer Mietwohnung - kein restlicher Wohnwert als Einkommen des S anzusetzen wäre.

 
  • Abwandlung 1

Bei im Übrigen gleicher Lebenssituation beläuft sich die monatliche Kreditverpflichtung des S auf 800 EUR, wovon ein Anteil von 650 EUR auf die Zinsen und 150 EUR auf die Tilgung entfallen.

 

Auch in diesem Fall sind primär die von S geleisteten Zinszahlungen für seine Eigentumswohnung von dem angemessenen Wohnwert in Abzug zu bringen. Es verbleibt ein restlicher Wohnwert von (720 EUR - 650 EUR =) 70 EUR.

 

  • Diese Differenz zwischen Wohnwert und den gegengerechneten Zinsen wird dann in einem 1. Schritt durch die Tilgungsleistungen aufgefüllt.

 

  • In einem 2. Schritt sind die darüber hinausgehenden Tilgungsleistungen des S von 150 EUR - 70 EUR = 80 EUR nach der neuen Entscheidung des BGH auf das zulässige Altersvorsorgekontingent von 5 Prozent (das einem Betrag von 311 EUR entspricht - siehe oben unter a) anzurechnen.

 

Damit hat der BGH in dem in Rechtsprechung und Literatur zu dieser Frage bisher bestehenden Streit weitere Klarheit geschaffen.

 

Der noch nicht verbrauchte Tilgungsanteil von 80 EUR ist bis zur Grenze von 5 Prozent - die hier mit 311 EUR aber noch nicht erreicht wird - als zusätzliche private Altersvorsorge des S von seinem Einkommen abzuziehen. Auch der überschießende Tilgungsanteil von 80 EUR dient der eigenen Altersvorsorge des S. Denn er bildet damit sukzessive unbelastetes Eigentum, sodass er künftig ganz mietfrei wohnen kann und damit auch im eigenen Alter (teilweise) versorgt ist. Als Alternative könnte S später seine Wohnung auch verkaufen und dieses Vermögen für die eigene Altersversorgung verwenden.

 

PRAXISHINWEIS | Zwar kann das unterhaltsverpflichtete Kind, dessen Altersvorsorgekontingent bereits durch einen überschießenden Tilgungsanteil teilweise aufgebraucht wird, in dieser Höhe - anders als ein Mieter - nicht mehr frei über die Anlageform entscheiden. Diese teilweise Einschränkung seiner Dispositionsfreiheit stellt für den Immobilieneigentümer jedoch keine unzumutbare Benachteiligung dar. Denn durch die fortlaufende Bildung von unbelastetem Eigentum sorgt er in angemessener Weise für seinen Wohnbedarf im Alter vor.

 

Im Ergebnis kann S also noch 311 EUR - 80 EUR = 231 EUR für seine sekundäre Altersvorsorge verwenden und diesen tatsächlich aufgewendeten Betrag von seinem Einkommen abziehen. Das unterhaltsrelevante Einkommen des S verringert sich dadurch auf 3.500 EUR - 80 - 231 EUR = 3.189 EUR. Ein Wohnvorteil ist daneben (wegen der damit verrechneten Zinsen sowie des angerechneten anteiligen Tilgungsbetrages) nicht einkommenserhöhend anzusetzen.

 

  • Abwandlung 2

Bei im Übrigen gleicher Lebenssituation hat sich S neben den Zinszahlungen von 650 EUR zu einer höheren Tilgungsleistung von monatlich 400 EUR verpflichtet.

 

Wie in den vorstehenden Beispielen sind zunächst die Zinsen abzuziehen.

 

  • Anschließend sind in einem 1. Schritt die Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnvorteils in Abzug zu bringen. Deshalb entfallen von dem gesamten Tilgungsaufwand von 400 EUR zunächst 720 EUR - 650 EUR = 70 EUR auf den Wohnvorteil für die von S selbstgenutzte Eigentumswohnung.

 

  • Von den verbleibenden Tilgungsleistungen in Höhe von 400 EUR - 70 EUR = 330 EUR ist sodann in einem 2. Schritt ein Betrag von 311 EUR als sekundäre Altersversorgung vom Einkommen des S abzuziehen. Hierdurch wird das dem S zustehende Altersvorsorgekontingent von 5 Prozent seines Bruttoeinkommens (von etwa 6.220 EUR) vollständig ausgeschöpft.

 

  • Die restliche Tilgungsleistung des S von 330 EUR - 311 EUR = 19 EUR ist unterhaltsrechtlich weder als zusätzlicher Altersvorsorgebeitrag absetzbar noch als sonstige Belastung vom Einkommen des S abzuziehen. Die überschießenden 19 EUR fallen also (in einem 3. Schritt) „unter den Tisch“.

 

Im Ergebnis beläuft sich das unterhaltsrelevante Einkommen des S in Abwandlung 2 auf 3.500 EUR - 311 EUR = 3.189 EUR. Ein Wohnvorteil ist daneben - wie bei der Abwandlung 1 - nicht einkommenserhöhend einzusetzen.

 

Checkliste / So werden Tilgungsleistungen berücksichtigt

  • Angemessenen Wohnwert bestimmen.
  • Zinsen vom angemessenen Wohnwert abziehen.
  • Tilgungsleistungen abziehen.
    • Ist das Ergebnis 0 oder ein verbleibender positiver Wohnwert kann der volle Betrag für Altersvorsorge (5 %) vom Einkommen abgezogen werden.
    • Ist das Ergebnis negativ, wird der überschießende Tilgungsanteil auf die Altersvorsorge angerechnet.
    • Übersteigt der restliche Tilgungsanteil die Altersvorsorge (5 %), fällt der überschießende Anteil „unter den Tisch“ und wird nicht berücksichtigt.
 

FAZIT | Die von den Sozialhilfeträgen in der Vergangenheit vielfach geübte Praxis, Tilgungsleistungen für eine selbstgenutzte Immobilie stets auf die sekundären Altersvorsorgeaufwendungen anzurechnen, ist durch die neue Entscheidung des BGH einer differenzierten Handhabung zugeführt worden.

 
Quelle: Ausgabe 07 / 2017 | Seite 117 | ID 44714450