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· Fachbeitrag · Adoption

Volljährigenadoption ‒ ein Ausweg aus der Unterhaltspflicht gegenüber Eltern?

von RiOLG a. D. Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Berlin/Brandenburg

| Teilweise wird von Kindern, die eine gestörte oder keine persönliche Beziehung zu ihren leiblichen Eltern haben, u. a. die Erwachsenenadoption als Ausweg in Betracht gezogen, um sich hierdurch ihrer Unterhaltspflicht gegenüber den leiblichen Eltern zu entziehen. Es stellt sich die Frage, ob eine Volljährigenadoption durch einen Dritten eine geeignete Strategie darstellt, insbesondere wenn Verfehlungen der Eltern gegenüber ihrem unterhaltspflichtigen Kind während seiner Kindheit im Raum stehen. |

1. Einfache Adoption

Im Ausgangspunkt ist zwischen der sog. einfachen Annahme Volljähriger mit „schwachen“ Wirkungen und der sog. Volladoption mit „starken“ Wirkungen zu unterscheiden.

 

  • Beispiel

Die 35-jährige T beantragt die Adoption durch den Lebensgefährten L ihrer Mutter M, zu dem sie ein vertrauensvolles und inniges Verhältnis entwickelt hat. L und M leben seit 15 Jahren zusammen. T macht geltend, sie wolle durch die Adoption die rechtlichen Beziehungen zu ihrem leiblichen Vater V beenden, der sich nach der Trennung ihrer Eltern (mit 4 Jahren der T) aus der persönlichen Beziehung zu ihr vollständig verabschiedet, mit ihr keinen Umgang gepflegt und trotz Leistungsfähigkeit nicht einmal in einem bescheidenen Umfang zu ihrem Lebensunterhalt beigetragen habe. Ihre materiellen Bedürfnisse seien allein von M erfüllt worden, in deren Haushalt sie bis zur Aufnahme ihres Studiums mit 19 Jahren gelebt habe. T hofft, durch die beantragte Adoption zugleich von etwaigen künftigen Unterhaltspflichten gegenüber V, den sie emotional ablehnt, befreit zu werden. Frage: Bestehen die Erwartungen der T zu Recht?

 

Gemäß § 1755 Abs. 1 BGB führt die Adoption eines Minderjährigen dazu, dass das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinen Eltern sowie die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten erlöschen. Durch die Adoption büßt das Kind alle in die Zukunft gerichteten Ansprüche, auch zukünftige Erb- und Pflichtteilsrechte ein. Umgekehrt erlöschen eigene Verpflichtungen zur Unterhaltszahlungen gegenüber den leiblichen Eltern. Vor diesem Hintergrund gehen insbesondere juristische Laien von der Vorstellung und Hoffnung aus, dass diese Rechtsfolgen auch bei der Erwachsenenadoption eintreten. Solche Erwartungen erweisen sich jedoch in dieser Pauschalität als falsch.

 

Die Annahme Volljähriger richtet sich nach den §§ 1767 ff. BGB. Nach § 1767 Abs. 1 HS 1 BGB kann ein Volljähriger als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist. § 1767 Abs. 1 HS 2 BGB bestimmt, dass die sittliche Rechtfertigung der Annahme eines Volljährigen als Kind insbesondere dann anzunehmen ist, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist. Anderenfalls muss bei objektiver Betrachtung bestehender Bindungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten das Entstehen einer solchen Beziehung für die Zukunft zu erwarten sein. Das Erfordernis der sittlichen Rechtfertigung in § 1767 Abs. 1 BGB beruht darauf, dass die Herstellung familienrechtlicher Beziehungen nicht der freien Disposition der Beteiligten überlassen bleiben soll.

 

Allerdings unterscheidet sich die soziale Bedeutung der Annahme eines Volljährigen von derjenigen eines minderjährigen Kindes. Letztere liegt in der Übernahme der elterlichen Verantwortung für Minderjährige, deren Eltern dazu nicht bereit oder nicht in der Lage sind, durch dritte Personen. Dadurch können sie in einer Familie aufwachsen, die grundsätzlich die beste Voraussetzung für eine kindgerechte und gedeihliche Entwicklung bietet. Dementsprechend gilt für minderjährige Kinder der Grundsatz der Volladoption (§§ 1754, 1755 BGB): Das Kind wird vollständig aus seinem bisherigen Familienverband herausgelöst und in den neuen eingefügt. Bei der Adoption eines Volljährigen dagegen geht es in erster Linie um den Wunsch der Beteiligten, ein zwischen dem Annehmenden und dem als Kind anzunehmenden Volljährigen ein tatsächlich bestehendes Familienverhältnis, das die Qualität einer Eltern-Kind-Beziehung aufweist, rechtlich zu verfestigen. Dafür bedarf es jedoch nicht zwingend des Eintritts der Wirkungen der Minderjährigenadoption.

 

§ 1770 BGB sieht deshalb eine Beschränkung der Adoptionswirkungen bei der Annahme eines Volljährigen vor. Nach § 1770 Abs. 2 BGB werden Rechte und Pflichten des volljährigen Kindes, die durch das bestehende Verwandtschaftsverhältnis begründet wurden, durch die Adoption grundsätzlich nicht berührt. Im Gegensatz zur Minderjährigenadoption (§§ 1754, 1755 BGB) bleiben die gegenseitigen Unterhaltspflichten bestehen. Im Beispiel trügen also die Hoffnungen der T, denn die Volljährigenadoption führt im Vergleich zur Minderjährigenadoption im personalen Bereich regelmäßig keine Veränderungen herbei. Die gegenseitigen Unterhaltspflichten zwischen V und T bleiben also grundsätzlich bestehen.

 

PRAXISTIPP | Die rechtlichen Auswirkungen der Volljährigenadoption liegen im Wesentlichen auf vermögensrechtlichem Gebiet (insbesondere dem Erbrecht). Gerade hier können aber die Beteiligten mithilfe der ihnen eingeräumten Vertrags- und Testierfreiheit ihre Wunschvorstellungen weitgehend auch ohne Adoption umsetzen. In der Praxis wird die Volljährigenadoption in erster Linie dort interessant, wo sie Wirkungen entfaltet, welche die Beteiligten ohne die Adoption nicht erreichen könnten. So erhält etwa der adoptierte Volljährige gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG die günstige Erbschaftssteuerklasse I mit einem Freibetrag von 400.000 EUR. Ohne die Adoption würde für ihn als Familienfremden die Erbschaftssteuerklasse III mit einem Freibetrag von nur 20.000 EUR gelten. Ferner erhält er den (wohlklingenden) Familiennamen des Annehmenden, den er im Wege eines öffentlich-rechtlichen Namensänderungsverfahrens (§ 3 Abs. 1 NamÄndG) nicht erhalten würde.

 

Im Ergebnis ist im Beispiel für T die Erwachsenenadoption als Ausweg aus einer etwaigen zukünftigen Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem ungeliebten Vater V versperrt. Soweit T dem V eine langjährige Kontakt- und Beziehungslosigkeit oder eine gröbliche Vernachlässigung seiner Unterhaltsverpflichtung ihr gegenüber zum Vorwurf macht, lassen sich etwaige Verfehlungen des leiblichen Elternteils nur über den Verwirkungseinwand gemäß § 1611 BGB beurteilen und lösen. Dieser kann zu einem Wegfall der Unterhaltsverpflichtung des Kindes führen.

2. Volladoption

Zwar ist die Volljährigenadoption gemäß § 1770 BGB grundsätzlich als Annahme mit schwachen Wirkungen ausgestaltet. § 1772 Abs. 1 BGB lässt aber unter bestimmten Bedingungen die Volladoption eines Volljährigen zu mit den vorstehend aufgezeigten Wirkungen der Minderjährigenadoption gemäß §§ 1754, 1755 BGB.

 

  • Abwandlung des Ausgangsfalls

Die volljährigen T beantragt die Annahme als Kind durch S, der mit ihrer Mutter M in 2. Ehe verheiratet ist. T lebt seit ihrem 4. Lebensjahr im gemeinsamen Haushalt von S und M. T und S beantragen die Adoption der T durch S mit den rechtlichen Wirkungen einer Minderjährigenannahme (Volladoption entsprechend § 1755 BGB). Der leiblichen Vater V der T ist wegen eines vor langer Zeit erlittenen Schlaganfalls seit vielen Jahren arbeitsunfähig. Er ist mit der Adoption seiner erwachsenen ehelichen Tochter T mit den Wirkungen einer Minderjährigenadoption nicht einverstanden. Als Begründung macht er geltend, eine solche gefährdet seine Interessen. Durch die Volljährigenadoption verliere er seinen grundsätzlich bestehenden Anspruch auf Elternunterhalt gegenüber T. Seine fehlenden Kindesunterhaltszahlungen an T beruhten allein auf seiner tatsächlichen Leistungsunfähigkeit infolge einer unverschuldeten Erkrankung und nicht auf einer vorwerfbaren Leistungsunwilligkeit. T und S beantragen beim Familiengericht (§§ 1768 Abs. 1 BGB, 186 Nr. 1 FamFG) den Ausspruch einer Annahme der T als Kind des S mit den Wirkungen der Minderjährigenadoption. Frage: Mit welcher Erfolgsaussicht?

 

Die Annahme eines Volljährigen mit den vollen Wirkungen der Minderjährigenadoption gemäß § 1772 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 1754, 1755 BGB ist eine eng auszulegende Ausnahmeregelung. Auch wenn die Voraussetzungen einer Volladoption gemäß § 1772 Abs. 1 S. 1b und c hier vorliegen, weil T bereits mit 4 Jahren in die Familie des annehmenden Stiefvaters S aufgenommen wurde bzw. T das Kind der Ehefrau M des S ist, kann eine Volljährigenadoption gemäß § 1772 Abs. 1 S. 2 ausgeschlossen sein. Danach muss eine Adoption der T mit den Wirkungen der Minderjährigenadoption unterbleiben, wenn überwiegende Interessen ihres leiblichen Vaters V entgegenstehen. Es stellt sich die Frage, ob dies nur ideelle oder auch materielle Interessen sein können.

 

Im Rahmen des § 1772 Abs. 1 S. 2 BGB ist eine umfassende Abwägung sämtlicher Interessen des Annehmenden, des Anzunehmenden und des leiblichen Elternteils vorzunehmen. Die Interessen der leiblichen Eltern, die sowohl ideeller als auch materieller Natur sein können, müssen überwiegen; eine Gleichwertigkeit reicht nicht aus. Zweifel gehen zulasten der leiblichen Eltern. Die Abwägung muss dem Erfordernis der sittlichen Rechtfertigung, die Voraussetzung für jede Volljährigenadoption ist, Rechnung tragen. Maßstab ist dabei der Zweck der Volladoption: Das Kind, dessen Verbindung zur leiblichen Verwandtschaft faktisch oder rechtlich abgebrochen wird, soll eine vollwertige Ersatzfamilie erhalten, die ihm auch künftig eine ungestörte Entwicklung sichert. Im Falle einer Stiefvateradoption ändert sich allerdings an der tatsächlichen Situation im Regelfall wenig, da dem Kind nicht erst durch die Adoption die Möglichkeit gegeben wird, in einer Familie aufzuwachsen, die ihm gute Chancen für seine Entwicklung bietet.

 

Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer ungestörten Entwicklung haben die Interessen der T im Beispiel kein starkes Gewicht, zumal T nicht mehr im Haushalt ihres Stiefvaters lebt. Demgegenüber können einer Volladoption mit ihren „starken“ Wirkungen die wechselseitigen Unterhaltsverpflichtungen von T und V entgegenstehen. Hier kommt es auch darauf an, ob und inwieweit der leibliche Vater V in der Vergangenheit Kindesunterhalt für T gezahlt hat bzw. aus welchen Gründen von ihm kein oder ein zu geringer Barunterhalt geleistet wurde und warum dieser durch M als gesetzliche Vertreterin während der Minderjährigkeit der T nicht (in voller Höhe) gerichtlich geltend gemacht worden ist. In der vorzunehmenden Gesamtabwägung stellt der Umstand, dass im Beispiel V als leiblicher Vater der T im Fall einer antragsgemäßen Entscheidung des Familiengerichts über die beantragte Volljährigenadoption seine gesetzlichen Unterhaltsansprüche gegenüber seiner Tochter verlieren würde, obwohl er auf diese angewiesen sein könnte, einen gewichtigen Grund dar, von dem Ausspruch einer Annahme mit den Wirkungen der Minderjährigenadoption abzusehen.

 

Die in Rede stehende Unterhaltsverpflichtung der von S anzunehmenden T gegenüber ihrem leiblichen Vater muss dabei zum Zeitpunkt des Adoptionsantrags nicht schon konkret bestehen oder sich zumindest abzeichnen. Für die gebotene Interessenabwägung genügt eine entsprechende Möglichkeit. Im Ergebnis kann das Abschneiden von etwaigen Unterhaltsansprüchen durch die Volladoption eine solche ausschließen.

 

PRAXISTIPP | Zur Wahrung ihrer Interessen nach § 1772 Abs. 1 S. 2 BGB sind die leiblichen Eltern des anzunehmenden Volljährigen an dem Adoptionsverfahren, mit dem eine Volladoption erstrebt wird, stets zu beteiligen, § 188 Abs. 1 Nr. 1 b FamFG.

 

Sofern im Beispiel bei einer Gesamtabwägung den unterhaltsrechtlichen Interessen des leiblichen Vaters Vorrang vor denjenigen der T eingeräumt und der Antrag von T und S auf Volladoption zurückgewiesen werden müsste, bliebe ihnen nur die Möglichkeit, eine einfache Adoption mit den schwächeren Wirkungen der Volljährigenadoption gemäß § 1770 BGB (hilfsweise) zu beantragen. Bei einer solchen Adoption würde sich jedoch ‒ wie vorstehend dargestellt ‒ an der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung der T gegenüber ihrem leiblichen Vater V nichts ändern.

 

FAZIT | Die Volljährigenadoption erweist sich für das Kind regelmäßig nicht als geeignete Strategie, um sich seiner gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung gegenüber den leiblichen Eltern zu entziehen.

 
Quelle: Ausgabe 05 / 2018 | Seite 83 | ID 45199039