· Fachbeitrag · Vertragsarztrecht
Praxisbesonderheiten ‒ Wann ist eine Leistung fachgruppentypisch?
von Rechtsanwalt, Fachanwalt für MedR Christian Pinnow, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Düsseldorf, www.db-law.de
| Schon seit 2009 regeln die Honorarverteilungsvorschriften der KVen die Anwendung von Regelleistungsvolumina (RLV) und von qualifikationsbezogenen Zusatzvolumina (QZV) als leistungsmengenbegrenzende Maßnahmen. Seit Bestehen dieser Regelungen wird vor Gerichten darum gestritten, unter welchen Voraussetzungen Praxisbesonderheiten vorliegen. Die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit hat inzwischen einen für viele Fälle gut handhabbaren Prüfungskatalog herausgearbeitet. Dieses Thema griff zuletzt das Sozialgericht (SG) Marburg auf (Urteil vom 16.08.2017, Az. S 12 KA 599/16). |
Hintergrund
Auch heute werden die RLV/QZV in vielen KV-Bezirken noch angewendet. In Fällen, in denen eine besondere Praxisausrichtung dazu führt, dass die pauschal ermittelten RLV/QZV eine Praxis nicht ausreichend abbilden, kann eine Erhöhung der Budgets im Einzelfall gewährt werden. Unter welchen Voraussetzungen ein Antrag auf Anerkennung von Praxisbesonderheiten Erfolg haben kann, fasst das SG Marburg mithilfe bisher zum Thema ergangener Sozialgerichtsurteile zusammen. Hiernach hat die Erhöhung von RLV/QZV Aussicht auf Erfolg,
- wenn der Arzt geltend machen kann, dass er in seinen Behandlungsfällen mehr Leistungen erbringt, als der Durchschnitt der Fachgruppe. Anders gewendet: Der Fallwert in Punkten pro behandeltem Patienten muss erheblich größer als der Fachgruppendurchschnitt sein. Geklärt ist,
- dass die unbudgetierten angeforderten Leistungsmengen der Praxis mit den entsprechenden Werten der Fachgruppe verglichen werden müssen.
- Sodann ist gefordert, dass die festgestellte Fallwertüberschreitung auf eine Spezialisierung der Praxis zurückzuführen ist. Es muss sich also um spezielle Leistungen handeln, die nicht fachgruppentypisch sind.
- Das BSG hat noch zur alten Rechtslage regelmäßig entschieden, dass sich eine fachgruppenuntypische Leistung dadurch auszeichnet, dass sie eine besondere (Zusatz-)Qualifikation bzw. eine besondere Praxisausstattung erfordert und nicht nur einzelnen Fachgruppen vorbehalten ist.
- Später hat das BSG auch entschieden, dass ein Arzt daneben auch die Voraussetzung zu erfüllen hat, dass weniger als 50 Prozent der zur eigenen Fachgruppe gehörenden Ärzte die spezielle Leistung erbringen.
Diese Kriterien sind auch auf die Systematik der RLV/QZV übertragen worden und inzwischen gefestigte Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit.
Das aktuelle Urteil
Das SG Marburg hat nun mit seinem Urteil auch eine der wenigen verbleibenden Unklarheiten beseitigt. So war zu entscheiden, welcher Zeitraum für die Beurteilung, wie viele der Fachgruppenkollegen diese Leistung erbringen, heranzuziehen ist. Das Gericht hat entschieden, dass die letzten vier Quartale vor der Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) maßgeblich sein sollen. Auf diese Weise
- kann ein besserer Überblick über die tatsächliche Verteilung der Leistungserbringung in der Fachgruppe erlangt werden
- und Ausreißerquartale, die das Gesamtbild verfälschen könnten, werden ebenfalls berücksichtigt.
Kriterien zur Anerkennung von Praxisbesonderheiten
Insgesamt lassen sich folgende Kriterien herausarbeiten, die zur Anerkennung von Praxisbesonderheiten in den KV-Bezirken führen, die noch weiter auf der Grundlage von RLV und QZV vergüten:
- Der individuelle Fallwert der Praxis vor Budgetierungen muss den Fallwert der Fachgruppe um mehr als 30 Prozent überschreiten.
- Dies muss auf spezielle Leistungen zurückzuführen sein, die für eine Fachgruppe untypisch sind. Dies ist der Fall,
- wenn es sich um eine nicht nur der Fachgruppe allein zur Abrechnung vorbehaltene Leistung handelt,
- die eine spezielle Qualifikation oder Praxisausstattung erfordert und
- zudem von weniger als der Hälfte der Fachgruppenmitglieder erbracht wird.
- Solche speziellen Leistungen, die dem Grunde nach geeignet sind, Praxisbesonderheiten auszumachen, müssen einen Anteil an der Gesamtleistungsmenge der Praxis von mindestens 20 Prozent ausmachen.
Liegen diese Voraussetzungen vor, sind in der Regel Praxisbesonderheiten anzuerkennen und die RLV/QZV zu erhöhen. Noch nicht abschließend entschieden ist, ob auch Leistungen, die in einem EBM-Abschnitt nur einer Fachgruppe vorbehalten sind, Praxisbesonderheiten ausmachen können. Jedenfalls für Leistungen, die einer besonderen Praxisausstattung bedürfen und von einem nur kleinen, aber leider nicht bezifferten Teil der Fachgruppe erbracht werden, können nach Ansicht des SG Marburg durchaus auch Praxisbesonderheiten ausmachen (Urteil vom 23.11.2011, Az. S 11 KA 414/10).
FAZIT | Wenn also die zugewiesenen RLV/QZV regelmäßig von einer Arztpraxis überschritten werden, lohnt es sich, die Abrechnungsunterlagen darauf zu überprüfen, auf welche Leistungen im Vergleich zur Fachgruppe ein überdurchschnittlicher Punktumsatz zurückzuführen ist. In der Folge ist dann zu überlegen, ob auch diesen Leistungen beruhend Praxisbesonderheiten und Budgeterhöhungen geltend gemacht werden können. |