· Fachbeitrag · Vertragsarztrecht
BSG: Praxisbesonderheiten auch für qualifikationsbezogene Zusatzvolumina (QZV) möglich
von RA, FA MedR Christian Pinnow, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, db-law.de
| Das Bundessozialgericht (BSG) hat durch eine Vielzahl von Entscheidungen einen klaren Rahmen für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten und die daraus folgende Erhöhungen von Regelleistungsvolumina (RLV) abgesteckt. Da aber die Honorarverteilungsregelungen der einzelnen KVen neben die RLV auch qualifikationsbezogene Zusatzvolumina (QZV) gestellt haben, stellte sich lange Zeit die Frage, ob im Falle von Praxisbesonderheiten auch die QZV erhöht werden können. Diese Frage ist nun vom BSG bejaht worden (Urteil vom 13.05.2020, Az. B 6 KA 10/19 R). |
Praxisbesonderheiten bei RLV und QZV vor dem BSG-Urteil
Für den Bereich der RLV ist klar, dass diese erhöht werden können, wenn eine Praxis im Vergleich zur Fachgruppe eine besondere Leistungsstruktur oder Patientenklientel aufweist. Diese Besonderheiten müssen bei der Behandlung eines Patienten im Durchschnitt mit mehr Leistungen verbunden sein als bei der Behandlung eines Patienten in einer „durchschnittlichen“ Praxis.
Anerkennung von Praxisbesonderheiten bei RLV
Die RLV-Erhöhungen erfolgen dann wegen des Vorliegens von Praxisbesonderheiten. Diese liegen immer dann vor, wenn die Praxis
- eine im Leistungsangebot zum Ausdruck kommende Spezialisierung und
- eine von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung
aufweist, die messbaren Einfluss auf den Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl hat.
Bislang keine Anerkennung von Praxisbesonderheiten bei QZV
Nach der Systematik der Honorarverteilungsmaßstäbe (HVM) werden von den RLV die fachgruppentypischen Leistungen erfasst. Für eine Vielzahl von qualitätsgesicherten Leistungen sehen die HVM zusätzlich unterschiedlichste QZV vor, die das RLV ergänzen. Sie werden ‒ vergleichbar mit den RLV ‒ als Produkt einer QZV-relevanten Fallzahl und eines QZV-Fallwertes gebildet. Die QZV-Fallzahl kann entweder die RLV-Fallzahl sein oder die Leistungsfallzahl. Letztere ist die Anzahl der Fälle, bei denen im Bezugszeitraum die QZV-relevante Leistung erbracht wurde.
Trotz dieser Differenzierung gibt es Praxen, deren ganz besonderer Praxiszuschnitt weiterhin nicht adäquat abgebildet wird und deren Leistungen nicht ausreichend vergütet werden. Vertragsärzte, die daher eine Erhöhung der QZV wegen des Vorliegens von Praxisbesonderheiten geltend machen wollten, wurden bislang von KVen regelmäßig abgewiesen. Argument: Die QZV erfasse fachliche Spezialisierungen abschließend. Das BSG sieht es anders!
Das BSG-Urteil und die Konsequenzen
Im Fall ging es um eine BAG mit drei Orthopäden und einem Unfallchirurgen. Die Ärzte hatten Akupunkturleistungen (EBM-Nrn. 30790 und 30791) mit entsprechender Abrechnungsgenehmigung nach ihrer Auffassung im Vergleich zu den Fachgruppenkollegen überdurchschnittlich häufig erbracht.
Das BSG hat entschieden, dass Praxisbesonderheiten grundsätzlich nicht nur bei RLV-Leistungen, sondern auch bei QZV-Leistungen möglich sind! Allerdings muss für eine Anerkennung von Praxisbesonderheiten hinsichtlich der QZV-Leistungen eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein:
- Voraussetzung für eine Erhöhung des QZV ist
- ein besonderer Versorgungsauftrag oder
- eine besondere, für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung.
- Die Praxisbesonderheit muss gerade im Vergleich zum Durchschnitt der Fachgruppenkollegen vorliegen, denen ebenfalls das QZV zuerkannt wurde.
- Aus der Praxisbesonderheit muss ein zusätzlicher Behandlungsbedarf der QZV-Leistungen resultieren.
- Die Praxis muss weiter darlegen, dass die von ihr mit solchen speziellen Leistungen zu versorgende Patientenschaft in ihrem Zuschnitt signifikant vom Durchschnitt der Fachkollegen abweicht,
- die gleichermaßen qualifiziert sind und
- denen ebenfalls ein solches QZV zuerkannt worden war.
- Zudem muss im Bereich des Zusatzbudgets ein Leistungsbedarf bestehen, der deutlich über den Bedarf dieser Fachkollegen hinausgeht (mögliche Indizien dafür sind hohe Überweisungsanteile sowie eine im Verhältnis zur Fachgruppe überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit).
Werden die QZV mit der Leistungsfallzahl gebildet, so reicht es für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten nicht aus, lediglich mehr Patienten als die Vergleichsgruppe zu behandeln. Eine QZV-Erhöhung kann in diesen Fällen damit begründet werden, dass die besondere Praxisausrichtung zu besonders hohen Fallwerten führt. Anders ausgedrückt: Im Vergleich zum relevanten Teil der Fachgruppe werden aus fachlichen Gründen besonders viele Leistungen pro Fall erbracht.
Im konkreten Fall konnten die klagenden Ärzte diese Besonderheit im Übrigen nicht darstellen. Das BSG war der Auffassung, dass bei den Akupunktur-Leistungen eine besondere Homogenität bestehe. Eine ganz besondere Praxissituation dafür sei nahezu nicht vorstellbar.
FAZIT | Für Arztpraxen gibt es die gute Nachricht, dass auch für QZV-Leistungen die Anerkennung von Praxisbesonderheiten möglich ist! Bei QZV, die mit der Leistungsfallzahl ermittelt werden, ist jedoch eine ganz besondere Darstellung der fachlichen Besonderheit der Praxis und der daraus folgenden untypischen Abrechnung notwendig. Werden die QZV hingegen mit der RLV-Fallzahl berechnet, so kann bereits eine überdurchschnittliche Menge von Leistungsfällen als Begründung für eine Praxisbesonderheit gelten! |