· Fachbeitrag · Unternehmensnachfolge
Nach dem Betriebsübergang ‒ die „wichtigsten“ Rechte und Pflichten des Erwerbers
von Dr. Guido Mareck, stellv. Direktor des Arbeitsgerichts Dortmund
| Ein Betrieb wurde übernommen. Der Erwerber ist glücklich, der Veräußerer auch. Doch für den Erwerber fängt die Arbeit jetzt erst richtig an. Neben der Produktion stellt sich die Frage, was bei Kündigungen, Aufhebungsverträgen und Befristungen nach einem Betriebsübergang im neuen Betrieb gilt? Muss er die im alten Betrieb des Veräußerers geltenden Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen und den eventuell dort im Amt befindlichen Betriebsrat übernehmen? Diese Fragen und die Voraussetzungen einer möglichen Veränderungssperre beleuchtet der folgende Beitrag. |
1. Kündigungsverbot wegen des Betriebsübergangs
Low-Performer, also leistungsschwache Arbeitnehmer, Praktikanten, befristet oder in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer sowie Leih-Arbeitnehmer treffen nach einem Betriebsübergang Überlegungen des Erwerbers, die sich mit dem Thema Personalabbau beschäftigen, oft zuerst. Hier setzt aber § 613a Abs. 4 S. 1 BGB den Möglichkeiten des Erwerbers zur Beendigung dieser Arbeitsverhältnisse durch Beendigungskündigung enge Grenzen. Nach dieser Norm sind „Kündigungen wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils“ unwirksam.
Aus diesem Grund ist eine klare Abgrenzung notwendig: Erfolgt eine konkrete Kündigung wegen des Betriebsübergangs und ist dieser der tragende Grund für die Kündigung? Oder erfolgt die Kündigung zwar im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsübergang, aber aus anderen Gründen und ist damit nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial gerechtfertigt? Das bedeutet, dass das Kündigungsverbot wegen des Betriebsübergangs nicht den Ausspruch aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigter Kündigungen verbietet, selbst wenn diese im engen zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betriebsübergang stehen. Hauptanwendungsfall ist in der Praxis die betriebsbedingte Erwerberkündigung nach erfolgtem Betriebsübergang.
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Der Betriebserwerber nimmt nach dem Betriebsübergang Sanierungsmaßnahmen vor bzw. er setzt ein Sanierungskonzept um. Durch diese Maßnahmen entfallen Arbeitsplätze. |
Zwar stehen die hierauf beruhenden betriebsbedingten Beendigungskündigungen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsübergang, erfolgen aber nicht „wegen“ des Betriebsübergangs, sodass die soziale Rechtfertigung dieser Kündigungen aus betriebsbedingten Gründen ohne Rücksicht auf das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG unter Einbeziehung der Kriterien der ordnungsgemäßen Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG zu prüfen ist.
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Eine andere in der betrieblichen Praxis häufige Form der betriebsbedingten Kündigung in zeitlichem Zusammenhang mit einem erfolgten Betriebsübergang, die nicht bereits am dargestellten Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB scheitert, ist die sogenannte „Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts“. Hier kündigt der Betriebsveräußerer, also der alte Betriebsinhaber, einem Teil seiner Belegschaft vor dem Übergang des Betriebs. |
Diese Kündigungen erfolgen auf Grundlage eines vom potenziellen Betriebserwerber, also dem neuen Betriebsinhaber, vorgegebenen Konzepts, nach dem bestimmte Arbeitsplätze nach dem Betriebsübergang nicht mehr vorgesehen sind. Ein solches Erwerberkonzept muss aber nach der Rechtsprechung bestimmte, greifbare Formen angenommen haben, um Grundlage einer sozial gerechtfertigten, betriebsbedingten Kündigung sein zu können.
Es ist hierbei hervorzuheben, dass insbesondere die Rechtsprechung des BAG im Kündigungsschutzprozess den Nachweis eines konkreten zur Betriebssanierung geeigneten Erwerberkonzepts fordert, das zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung(en) vorliegen und zwischen Veräußerer und Erwerber des Betriebs abgesprochen sein muss.
Darüber hinaus muss die Umsetzung dieses Konzepts im Vorfeld des Betriebsübergangs durch den Betriebsveräußerer zum Wegfall bestimmter Arbeitsplätze und damit Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten führen (hierzu grundlegend: BAG 20.3.03, 8 AZR 97/02). Auch bei dieser Fallkonstellation sind die Anforderungen an die Sozialauswahl, die sich aus § 1 Abs. 3 KSchG ergeben, zu beachten.
PRAXISTIPP | Im Fall der geplanten Eingliederung des Veräußererbetriebs in den Betrieb des Erwerbers sind auch die bei diesem beschäftigten Arbeitnehmer mit einzubeziehen. |
2. Was gilt bei Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen für den Veräußerer und den Erwerber?
Grundsätzlich steht es vor dem Betriebsübergang dem Veräußerer und nach dem Übergang dem Erwerber des Betriebs frei, mit bestimmten Arbeitnehmern einen Aufhebungsvertrag oder nach schon erfolgter Arbeitgeberkündigung einen Abwicklungsvertrag zu schließen. Ein solcher Vertragsschluss muss aber auch aufseiten des Arbeitnehmers freiwillig erfolgen und darf nicht zur Umgehung der sich unter anderem aus § 613a BGB ergebenden gesetzlichen Schutzwirkungen zugunsten der Arbeitnehmer führen.
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Unzulässig | Zulässig |
Eine solche Unzulässigkeit des Aufhebungsvertrags ist beispielsweise anzunehmen, wenn der Betriebserwerber einen oder mehrere Arbeitnehmer zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags oder zu einer Eigenkündigung mit dem vorgeschobenen Versprechen veranlasst, ihn oder sie nach Abschluss des Betriebsübergangs (unter Umständen auch zu neuen, geänderten Arbeitsvertragsbedingungen) wieder neu einzustellen (so: BAG 21.5.08, 8 AZR 481/07; BAG 23.9.10, 8 AZR 567/09). | Generell zulässig sind hingegen Aufhebungsverträge, die in Zusammenhang mit der Überführung bestimmter Arbeitnehmer in eine sogenannte Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft stehen (BAG 23.11.06, 8 AZR 349/06). |
Wie jeder andere Vertrag sind auch Aufhebungs- und Abwicklungsverträge und deren einzelne Klauseln nach § 305 ff. BGB der Überprüfung nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen unterworfen. Dies bedeutet unter anderem, dass die Formulierungen hinreichend bestimmt und verständlich nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB sein müssen und den Arbeitnehmer nicht unangemessen nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB benachteiligen dürfen. Darüber hinaus kann sich aus der vertraglichen Regelung selbst oder aus einem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag ein Widerrufsvorbehalt für den Arbeitnehmer ergeben. Der Arbeitnehmer kann bei Abschluss des Vertrags einem Inhalts- oder Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB unterlegen sein, der wie eine arglistige Täuschung oder Drohung des Arbeitgebers als anderer Vertragspartei gem. § 123 Abs. 1 BGB zur Anfechtung des Vertrags berechtigen würde.
3. Was geschieht mit dem Betriebsrat und den Betriebsvereinbarungen nach dem Betriebsübergang?
Hier sind im Wesentlichen drei Fallkonstellationen zu unterscheiden:
- 1. Geht ein Betrieb vollständig und unverändert auf einen neuen Inhaber (den Betriebserwerber) über, so bleibt der im alten Betrieb bestehende Betriebsrat unverändert im Amt und auch die dort bestehenden Betriebsvereinbarungen behalten ihre Gültigkeit. Sie können aber, sofern die jeweilige Betriebsvereinbarung selbst nicht eine andere Regelung vorsieht, nach § 77 Abs. 5 BetrVG vom Erwerber als neuem Betriebsinhaber mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Dann muss der Erwerber mit dem Betriebsrat gegebenenfalls neu über eine Betriebsvereinbarung verhandeln.
- 2. Wird der veräußerte Betrieb in den Erwerberbetrieb unter Verlust der Betriebsidentität eingegliedert oder aufgelöst, führt dies zum Untergang des Betriebsrats des ursprünglichen Veräußererbetriebs und zum Ende des Mandats der Betriebsratsmitglieder. Die alten Betriebsvereinbarungen verlieren in einem solchen Fall als kollektivrechtliche Normen ihre Gültigkeit und werden nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in individualrechtliche arbeitsvertragliche Normen transformiert und damit der einjährigen Veränderungssperre nach dem Betriebsübergang unterworfen.
- Das bedeutet, dass der Erwerber die transformierten Normen nicht innerhalb dieser Sperrfrist zum Nachteil des oder der betroffenen Arbeitnehmer ändern darf.
- Dies gilt aber nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nicht, wenn im Erwerberbetrieb die Rechte und Pflichten, die in der alten Betriebsvereinbarung des Veräußererbetriebs geregelt sind, regelungsidentisch durch eine Betriebsvereinbarung des Erwerberbetriebs geregelt werden, die auch nach dem Betriebsübergang abgeschlossen werden kann. In diesem Fall löst die Betriebsvereinbarung des Erwerberbetriebs diejenige des Veräußererbetriebs ohne Rücksicht auf Günstigkeit und Sperrfrist mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber ab.
- 3. Wird nur ein Betriebsteil auf den Erwerber übertragen, so verbleiben der Betriebsrat selbst und die abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen im ursprünglichen Betrieb des Veräußerers. Der Betriebsrat des Veräußererbetriebs nimmt überdies bis zur Wahl eines neuen Betriebsrats im übertragenen Betriebsteil ein sogenanntes Übergangsmandat nach § 21a Abs. 1 BetrVG wahr. Er führt daher für die Übergangszeit bis zur Neuwahl die laufenden Geschäfte des Betriebsrats weiter und bestellt insbesondere den Wahlvorstand für eine etwaige Neuwahl des Betriebsrats.
PRAXISTIPP | Generell gilt darüber hinaus, dass der Betriebsübergang selbst keine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG ist und damit per se nicht zum Abschluss eines Sozialplans nach §§ 112, 112a BetrVG verpflichtet. Personalabbau, Spaltung und Zusammenlegung von Betrieben oder Betriebsteilen, die mit dem Betriebsübergang einhergehen, können jedoch durchaus sozialplanpflichtige Betriebsänderungen sein. Hier kommt es für die Frage, ob eine Pflicht zur Verhandlung und Aufstellung eines Sozialplans im Betrieb des Veräußerers oder des Erwerbers besteht, auf den Einzelfall an. Im Zweifel wird der Betrieb zuständig sein, in dem die sozialplanpflichtige Maßnahme im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang ausgelöst worden ist.
Ähnliches wie bei Betriebsvereinbarungen gilt nach § 613a Abs. 1 S. 2 und 3 BGB auch für Tarifverträge. Bei gleicher Tarifgebundenheit des Veräußerers und des Erwerbers gilt derselbe Tarifvertrag vor und nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses. Gilt im Erwerberbetrieb ein anderer Tarifvertrag, an den auch der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis übergegangen ist, gebunden ist, werden dessen Regelungen Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Gilt im Erwerberbetrieb kein Tarifvertrag oder nur ein solcher, an den der Arbeitnehmer nicht gebunden ist, werden die Regeln des alten Tarifvertrags (aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer) in das neue übergegangene Arbeitsverhältnis „transformiert“. Es gilt dann vorbehaltlich einer anderen Vereinbarung die einjährige Veränderungssperre nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB. |