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· Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

Erstes Urteil zum neuen Hinterbliebenengeld

| Mit dem LG Tübingen hat sich, soweit ersichtlich, erstmals ein Gericht mit der Frage beschäftigt, wie das Hinterbliebenengeld zu bemessen ist. Anlass war ein Verkehrsunfall, bei dem der Ehemann der Klägerin tödlich verletzt wurde. Weitere Kläger: vier volljährige Kinder und ein Bruder des Getöteten. |

 

Das Gericht hat der Witwe ein Hinterbliebenengeld von 12.000 EUR zugesprochen, jedem Kind 7.500 EUR und dem Bruder 5.000 EUR (LG Tübingen 17.5.19, 3 O 108/18, Abruf-Nr. 210342).

 

  • Die wichtigsten Aussagen der Entscheidung
  • Schmerzensgeld: Für die Zuerkennung eines Schmerzensgelds reichte es selbst bei der Ehefrau nicht, obgleich sie ärztliche Bescheinigungen über eine „abnorme Trauerreaktion gesichert, F43.2 G“ und über eine „schwere Trauerreaktion“ vorgelegt hatte. Auch dem Bruder blieb ein Schmerzensgeld versagt. Er hatte den Unfall und seine Folgen als Motorradfahrer persönlich miterlebt. Beide hätten zwar, so das LG, jedenfalls in Grundzügen einen möglichen Gesundheitsschaden dargelegt. Deshalb hätten sie ein Interesse an der begehrten Feststellung. Begründet sei der Feststellungsantrag indessen nicht. Künftige körperliche oder psychische Schädigungen seien nicht zu erwarten. Zudem sei mit der (Einmal-)Zahlung von Hinterbliebenengeld der Gesamtkomplex immaterieller Schaden erledigt.

 

  • Hinterbliebenengeld: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Hinterbliebenengeldes nach § 844 Abs. 3 S. 1 BGB bzw. § 10 Abs. 3 S. 1 StVG (in Kraft seit 22.7.17) lagen bei sämtlichen sechs Klägern vor. Auch bei dem Bruder hat das LG das erforderliche besondere persönliche Näheverhältnis bejaht, obwohl Geschwister in der Vermutungsregelung des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB bzw. § 10 Abs. 3 S. 2 StVG nicht genannt sind. So ganz überzeugen kann das Urteil in Bezug auf den Bruder nicht ‒ er war nicht der einzige Bruder des Verstorbenen, aber der einzige, der geklagt hatte.

 

  • Bemessung des Hinterbliebenengeldes: Als Richtschnur hat dem LG der Betrag von 10.000 EUR gedient (in Anlehnung an die Schmerzensgeld-Rechtsprechung bei Schockschäden). Unter gründlicher Auswertung der zahlreichen Stellungnahmen in der Literatur gelangt die Kammer zu einer Staffelung mit der Ehefrau an der Spitze. Die zugesprochenen Beträge können in Verhandlungen mit Versicherern eingebracht werden, wenn diese sich mit ihren Vorstellungen im Bereich 4.000 bis 5.000 EUR bewegen.

 

  • Verhältnis Schockschaden/Hinterbliebenengeld: Richtigerweise hat der Anwalt bei der Ehefrau und auch bei dem Bruder den Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgelds unter dem Aspekt „Schockschaden“ thematisiert. Bei der anwaltlichen Beratung von Hinterbliebenen sollte stets daran gedacht werden, ob die ‒ engeren ‒ Voraussetzungen für einen Schmerzensgeldanspruch wegen eines Schockschadens erfüllt sind. Im konkreten Fall hat es dem Gericht dafür nicht gereicht. Deshalb musste es nicht die interessante Frage entscheiden, ob neben einem Schmerzensgeld noch ein Hinterbliebenengeld zugesprochen werden kann.

 

  • Unbezifferter Klageantrag: Der Ehefrau einen Betrag von 12.000 EUR zuzusprechen, war für das LG mit § 308 Abs. 1 ZPO vereinbar. Der Antrag war auf ein „angemessenes“ Schmerzensgeld (nicht auf Hinterbliebenengeld) gerichtet und damit unbeziffert. Der Klägervertreter hatte lediglich eine Größenordnung (5.000 EUR) genannt, die das Gericht ‒ auch erheblich ‒ überschreiten kann. Insofern bestehen zwischen dem Hinterbliebenengeld und dem Schmerzensgeld prozessual keine Unterschiede; ein unbezifferter Antrag ist also zulässig.
 

Weiterführender Hinweis

  • Nachdrücklich zur Lektüre empfohlen wird das auch vom LG mehrfach zitierte Werk „Hinterbliebenengeld“ von Huber/Kadner Graziano/Luckey.
Quelle: Seite 248 | ID 46147149