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· Fachbeitrag · Umsatzsteuer

Wer eine überhöht ausgewiesene USt berichtigen will, muss die Differenz zuvor erstatten

von Georg Nieskoven, Troisdorf

| Wer mehr als die nach Gesetz geschuldete Umsatzsteuer in Rechnung stellt, der schuldet auch den überhöhten Betrag. Eine spätere Korrektur ist jedoch nach § 14c Abs. 1 S. 2 UStG per Rechnungsberichtigung möglich. Allerdings hat nun der BFH (16.5.18, XI R 28/16) geurteilt, dass es eine ungeschriebene weitere Voraussetzung für eine solche USt-Korrektur beim FA gebe: Der Leistende muss dem Leistungsempfänger vorher den Differenzbetrag erstattet haben. |

1. Die ewige Korrigierbarkeit eines überhöhten Ausweises

Wer als Leistender für seine Leistungen Rechnungen mit USt-Ausweis erstellt, erkennt vielleicht erst Jahre später, dass die Umsatzsteuer zu hoch war (z. B. 19 % statt zutreffend 7 % USt oder fälschlich mit deutscher USt trotz ausländischem Leistungsort). Neben einer rechtlichen Fehleinschätzung von Anfang an kann sich ein überhöhter USt-Ausweis aber auch rückblickend durch eine erst viele Jahre später ergehende Rechtsprechung ergeben. In beiden Fällen gesteht § 14c Abs. 1 S. 2 UStG dem Leistenden eine spätere Korrektur des überhöhten USt-Differenzbetrags zu. Die zu viel abgeführte Umsatzsteuer kann er sich vom FA zurückholen.

 

Während steuerliche Rechtsfehlerkorrekturen üblicherweise nur nach den Vorschriften und Festsetzungsfristen der Abgabenordnung möglich sind, gilt bei § 14c Abs. 1 UStG für den Leistenden eine zeitlich unbegrenzte („ewige“) Korrekturmöglichkeit, da solche Rechnungskorrekturen nach § 14c Abs. 1 S. 2 UStG für den Leistenden nicht rückwirkend ins Ursprungsjahr, sondern ex nunc erst im Korrekturjahr wirken. Außerdem bleiben Korrekturen für den Leistenden selbst dann möglich, wenn die vom Leistungsempfänger aus dem überhöhten Steuerausweis spiegelbildlich überhöht geltend gemachte Vorsteuer im Ursprungsjahr vom FA verjährungsbedingt nicht mehr rückforderbar ist. Denn § 14c Abs. 1 UStG macht ‒ anders als § 14c Abs. 2 UStG ‒ die USt-Korrektur grundsätzlich (zu Ausnahmen s. u.) nicht davon abhängig, dass das FA die Vorsteuer beim Leistungsempfänger korrigieren kann.

 

Diese ewige Korrigierbarkeit des überhöhten USt-Ausweises beim Leistenden einerseits und die nur in den Grenzen der AO für das FA mögliche (rückwirkende) Korrektur des überhöhten Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger andererseits führte bislang häufig zu Steuerausfällen.

 

1.1 Relevanz für Freiberufler

Das Problem trifft auch Freiberufler immer mal wieder. So z. B. wenn es um die Frage geht, ob eine werkschaffende Leistung als begünstigte Urheberrechtsschutzeinräumung zu werten ist und die Leistung des Freiberuflers daher nach § 12 Abs. 2 Nr. 7c UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegt oder ob sie regelsatzbesteuert werden muss. Oder wenn fragwürdig ist, ob der Leistungsort einer rechtsberatenden Leistung im Inland (deutsche USt) oder nicht vielmehr wegen ausländischer Besteuerungsortsanknüpfung jenseits der Grenze anzusiedeln und daher ohne deutschen USt-Ausweis abzurechnen ist (vgl. zur Problemstellung/Abgrenzung BMF III C 3 - S 7117-a/16/10001, 5.12.17, BStBl I, 1658 und den diesbezüglich mehrfachen BMF-Eingaben der Bundessteuerberaterkammer unter Verweis auf die § 14c-Problematik, www.iww.de/s2074). Zudem: Tritt ein solcher Steuerausweisfehler bei wiederholt gleichartigen oder gar Massenumsätzen auf, so multipliziert sich der Steuerschaden systembedingt schnell auf hohe Volumina.

 

1.2 Beispiel zur Veranschaulichung

  • Sachverhalt

P ist als beratender Betriebswirt in der personalwirtschaftlichen Beratung für in- und ausländischen Großunternehmen tätig. Für in der Schweiz ansässige Konzerne hat er seine Beratungshonorare in den Jahren 2002 bis 2009 stets unter Ausweis von 16 % bzw. 19 % deutscher Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt, die den Leistungsempfängern regelmäßig vom BZSt (vor 2006: BfF) als Vorsteuer vergütet wurde. Der Gesamtbetrag der in Rechnung gestellten deutschen USt beläuft sich auf ca. 800.000 EUR.

 

Nach einem Wechsel des steuerlichen Beraters 2015 kommt der neue Steuerberater zu dem Ergebnis, die Leistungen des P seien angesichts zweier Entscheidungen des BFH (18.6.09, V R 57/07 und V R 34/08) nach § 3a Abs. 4 Nr. 3 i. V. mit Abs. 3 UStG am Unternehmenssitz des ausländischen Konzerns zu besteuernde Beratungsdienstleistung und daher der Ausweis deutscher USt unzutreffend gewesen. Auf Anraten seines neuen Steuerberaters korrigiert P daher seine Rechnungen durch schlichte Stornierung des bisherigen USt-Ausweises und fordert vom FA eine Erstattung der für die Jahre 2002  bis  2009 abgeführten USt.

 

Bisher konnte P den überhöhten USt-Ausweis durch Übermittlung von korrigierter Rechnungen an die Kunden berichtigen und damit eine Erstattung des USt-Volumens über 800.000 EUR beim FA beantragen. Dass der Vorsteuerabzug der Kunden wegen eingetretener Festsetzungsverjährung in den Ursprungsjahren vom FA nicht mehr zurückgefordert werden konnte, war für den Leistenden unbeachtlich. Zwar hatte das BMF (7.10.15, III C 2 - S 7282/13/10001, BStBl I 15, 782) verfügt, eine fiskalische USt-Erstattung nach Korrektur des überhöhten Steuerausweises i. S. von § 14c Abs. 1 UStG dürfe erst erfolgen, wenn der Leistende den sich aus der USt-Korrektur ergebenden Differenzbetrag dem Leistungsempfänger erstattet habe.

 

Allerdings war diese BMF-Ansicht umstritten und zudem hatte das BMF-Schreiben in ergänzenden Beispielen klargestellt, die Erstattung der USt-Differenz entfalle, wenn der Leistende seinen USt-Ausweis ‒ innerhalb eines unverändert bleibenden Bruttorechnungsbetrags ‒ korrigiere ‒ denn dann ergebe sich ja gar kein Erstattungsanspruch für den Leistungsempfänger. Daher waren solche gestalterischen USt-Korrektur- bzw. Erstattungsanträge auch nach Ergehen des BMF-Schreibens weiterhin gängig.

2. Die Entscheidung des BFH (16.5.18, XI R 28/16)

Im Sachverhalt ging es um die zunächst umsatzsteuerpflichtige Vermietung von Einrichtungen in Verbindung mit einem umsatzsteuerbefreiten Immobilien-Pachtvertrag. Unter Berufung auf die geänderte Rechtsprechung des BFH (20.8.09, V R 21/08) wollte die Klägerin die Vermietung der Einrichtungen als Nebenleistung zur Immobilienvermietung gleichfalls umsatzsteuerfrei behandelt wissen. Das FA lehnte die Umsatzsteuerkorrektur ab, da es an den Korrekturvoraussetzungen des § 14c UStG mangele, denn der USt-Differenzbetrag sei von der Klägerin nicht nach Rechnungskorrektur dem Leistungsempfänger erstattet worden. Das nach erfolglosem Einspruch angerufene FG gab der Klägerin Recht. Der BFH stützte die Sicht des FA.

 

2.1 Der Umsatzsteuerausweis war überhöht und wurde berichtigt

Der BFH bestätigt die Einstufung der Einrichtungsvermietung als Nebenleistung zur Immobilienvermietung und bejaht die Einordnung des bisherigen USt-Ausweises als überhöht, aber korrekturfähig i. S. von § 14c Abs. 1 S. 2 UStG. Die Klägerin habe den überhöhten Steuerausweis auch berichtigt, denn dafür bedürfe es lediglich der Richtigstellung des bisherigen Steuerausweises. Die Klägerin habe damit alle gesetzlichen Voraussetzungen für eine USt-Erstattung durch das FA erfüllt.

 

2.2 Aber: Die überhöhte Umsatzsteuer war nicht erstattet worden

Jedoch reicht dem BFH die Rechnungsberichtigung als lediglich formaler Akt gegenüber dem Kunden nicht. Zwar enthalte weder § 14c Abs. 1 UStG noch die MwStSystRL ein explizites Erfordernis für eine Erstattung der USt-Differenz. Aus BFH-Sicht ergibt sich jedoch aus dem Systemzusammenhang, dass eine USt-Erstattung des FA nach wirksamer Korrektur erst nach vorheriger Erstattung der USt-Differenz an den Leistungsempfänger erfolgen dürfe.

 

2.3 Der Systemzusammenhang nach BFH-Sicht

Der BFH sieht zum einen die Gefahr, dass der Leistende nach Erhalt der USt-Erstattung vom FA ohne deren Weiterleitung an den Leistungsempfänger ungerechtfertigt bereichert wäre.

 

Zum zweiten würde § 14c Abs. 1 S. 2 UStG auf die entsprechende Anwendbarkeit von § 17 Abs. 1 UStG verweisen. Und für diese Vorschrift gelte seit einer älteren Entscheidung des BFH (18.9.08, V R 56/06), dass § 17 UStG nicht schon im Zeitpunkt der Änderungsvereinbarung, sondern erst im Voranmeldungszeitraum der tatsächlichen Differenzrückzahlung wirke. Zwar greife § 17 UStG bei der Korrektur eines überhöhten Steuerausweises nicht unmittelbar, da bei einer USt-Korrektur i. S. von § 14c Abs. 1 S. 2 UStG in der Regel keine gleichzeitige Bemessungsgrundlagenänderung eintrete. Allerdings beruhe diese Rechtsprechung auf dem Gedanken, dass ab dem Zeitpunkt der vollständigen Vereinnahmung der vereinbarten Gegenleistung durch den Leistenden das Sollbesteuerungsprinzip ende und Korrekturen danach erst mit vollzogenem Zahlungsausgleich zwischen den Parteien einträten. Und zumindest dieses Prinzip gelte für Korrekturen nach § 14c Abs. 1 UStG gleichermaßen, denn auch dort habe der Leistende den (überhöhten) Steuerbetrag bereits vor dem Zeitpunkt der späteren Korrektur vereinnahmt.

 

Zum dritten würde die Verpflichtung des Fiskus zur USt-Erstattung bereits mit erfolgter Rechnungskorrektur trotz fehlendem Differenzausgleich an den Kunden einseitig zulasten des Leistungsempfängers gehen oder in der weiteren Folge ggf. sogar zur USt-Belastung für den Fiskus werden: Denn nach der Reemtsma-Rechtsprechung (EuGH 15.3.07, C-35/05) könne dem Leistungsempfänger bei erfolgloser zivilrechtlicher Reklamierung des USt-Differenzzahlungsanspruchs gegenüber dem Leistenden ein Direktanspruch auf USt-Differenzrückzahlung gegenüber dem Fiskus zustehen, sodass die Zahlungsverweigerung des Leistenden diesen bereichert lasse und das FA zusätzliche Ansprüche des Empfängers womöglich ausgleichen müsste.

3. Praktische Anwendungs- und Folgefragen

Mit dieser Entscheidung bestätigt der BFH die Verwaltungssicht (BMF 7.10.15, a. a. O.). Das Urteil wirft aber praktische Anwendungs- und Folgefragen auf:

 

3.1 Vereinnahmungsvorbehalt

Wie der BFH betont, steht seine verschärfte Sicht unter dem Vorbehalt, dass der Leistende die Gegenleistung bereits vereinnahmt hat. Denn nur im Umfang dieser Vereinnahmung kann die ungerechtfertigte Bereicherung vorliegen. Steht die Zahlung des Kunden (noch) anteilig aus, kann m. E. das USt-Differenzausgleichserfordernis für den ausstehenden Betrag nicht greifen.

 

3.2 Vorfinanzierungsproblematik

Während der Leistende aus der Rechnungsberichtigung des überhöhten Steuerausweises bislang USt-Profit schlagen konnte, muss er nach der BFH-Entscheidung künftig zur Erlangung des USt-Erstattungsanspruch gegenüber dem FA zuvor den USt-Differenzausgleich an den Leistungsempfänger leisten ‒ und muss damit sogar liquiditätsbezogen in Vorleistung treten, was ggf. einen Vorfinanzierungsbedarf bei ihm auslöst. Diesen Zeitverzug zwischen Differenzausgleichszahlung und Erstattung des FA hat jedoch auch der BFH erkannt und betont (Rz. 53) unter Verweis auf seine Entscheidung (BFH 12.10.16, XI R 43/14), der USt-Differenzausgleich könne zur Vermeidung dieser Vorfinanzierung auch im Wege einer Abtretung und Verrechnung erfolgen.

 

3.3 Sonderfälle i. S. § 14c Abs. 1 S. 3 UStG?

Fraglich (da vom BFH nicht thematisiert) ist die Anwendbarkeit des neuen Ausgleichserfordernisses in Fällen des überhöhten Steuerausweises, für die § 14c Abs. 1 S. 3 UStG die analoge Anwendung des Gefährdungsbeseitigungsverfahrens (§ 14c Abs. 2 UStG) vorschreibt. Dies sind Fälle, in denen der Leistende seine bisherige Option zur USt-Pflicht (§ 9 UStG) nachträglich widerruft oder sich sein bislang USt-pflichtig abgerechneter Verkauf einer unternehmerischen Einheit später als nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 1 Abs. 1a UStG) herausstellt. Zwar besteht hier das vom BFH thematisierte fiskalische Ausfallrisiko nicht, denn ein Rückerhalt der USt-Korrektur vom FA ist dem Leistenden in diesen Fällen nach § 14c Abs. 1 S. 3 UStG nur im Umfang der empfängerseitigen Vorsteuerrückzahlung ans FA möglich. Aber die vom BFH betonte Belastungsausgleichsproblematik zwischen den Leistungsaustauschsparteien besteht auch hier, denn der Vorsteuerrückforderung des FA sieht sich der Leistungsempfänger unverändert ausgesetzt, die er nur durch die Ausgleichszahlung des Leistenden neutralisieren kann.

 

PRAXISTIPP | Allerdings muss m.E. in diesen Sonderfällen das USt-Differenzausgleichserfordernis auf jenen Betrag beschränkt bleiben, den der Leistungsempfänger tatsächlich als Vorsteuerkorrektur ans FA zurückzahlt ‒ denn nur in dieser Teilbetragshöhe kann der Leistende nach § 14c Abs. 1 S. 3 UStG auch einen USt-Korrekturbetrag vom FA zurückerhalten, ist also für den restlichen USt-Korrekturanteil nicht ungerechtfertigt bereichert.

 

3.4 Steuerausweis nach § 14c Abs. 2 UStG?

Vom unrichtigen (überhöhten) Steuerausweis abzugrenzen ist der unberechtigte Steuerausweis i. S. von § 14c Abs. 2 UStG, für dessen Korrektur das BMF (7.10.15, a. a. O.) den USt-Differenzausgleich gerade nicht für erforderlich hält, da dort das besondere Gefährdungsbeseitigungsverfahren (§ 14c Abs. 2 S. 3ff UStG) einen fiskalischer USt-Ausfall ausschließt.

 

Die BFH-Begründung für das USt-Differenzausgleichserfordernis hat vor allem den gerechten Interessensausgleich zugunsten des Leistungsempfängers im Blick (Rz. 53). Auch stellt sich die dabei im Fokus stehende Problematik der empfängerseitigen nachträglichen Vorsteuerlücke auch beim unberechtigten Steuerausweis (z. B. soweit sich eine vermeintliche und USt-pflichtig abgerechnete Verzichts-Dienstleistung im Nachhinein als echter nicht-steuerbarer Schadenersatz herausstellt (Abschn. 14c.2. Abs. 2 Nr. 2 UStAE). Beides spricht dafür, dass es des Differenzausgleichs gleichermaßen auch bei § 14c Abs. 2 UStG bedarf. Allerdings muss dieses Erfordernis dabei systemlogisch ‒ wie bei § 14c Abs. 1 S. 3 UStG (s. o.) ‒ auf den Umfang des tatsächlich vom Leistungsempfänger ans FA zurückgezahlten Vorsteuerbetrags gedeckelt bleiben.

 

PRAXISTIPP | Es bleibt abzuwarten, ob das BMF die o. a. Einschätzung teilt, und insofern sein BMF-Schreiben vom 7.10.15 rechtsverschärfend auf die Fälle des § 14c Abs. 2 UStG ausdehnt.

 

3.5 Zivilrechtsprüfung/Bereicherung/unveränderte Bruttosumme?

Fraglich bleibt, ob die Forderung nach der Ausgleichszahlung auch dann gelten kann, wenn der Leistungsempfänger zivilrechtlich gar keinen Ausgleichsanspruch mehr gegenüber dem Leistenden hat. Das kann z. B. der Fall sei wenn:

 

  • die Ausgleichszahlung verjährt oder kraft Vertrags ausgeschlossen ist;
  • das FA die Vorsteuer nicht mehr vom Leistungsempfänger zurückfordern kann und also der Leistungsempfänger durch die Ausgleichszahlung ungerechtfertigt bereichert wäre;
  • der Leistende im Fall einer Bruttopreisvereinbarung die Rechnung (100) mit Umsatzsteuer (19) in eine Rechnung ohne Umsatzsteuer (119) umwandelt und sich somit keine Ausgleichszahlung ergibt.

 

In all diesen Fällen müsste das FA erst einmal die zivilrechtliche Anspruchsgrundlage für die Ausgleichszahlung prüfen. Doch das hatte der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung stets abgelehnt, da dies weder Aufgabe der Finanzverwaltung noch der Finanzgerichtsbarkeit sei (so z. B. BFH 10.12.09, XI R 7/08 und BFH XI R 23.1.13, 25/11).

 

Dagegen, dass sich der Leistende auf eine fehlende Anspruchsgrundlage des Leistungsempfängers berufen kann, spricht noch ein Argument. Auf diese Weise würde dem Leistenden ein USt-Profit über den endgültigen USt-Ausfall zulasten des Fiskus finanziert. Und der BFH (16.5.18, XI R 28/16, Rz. 53 ) hatte diese Fiskalkassenlücke als Rechtfertigung für die Ausgleichszahlung hervorgehoben. Dabei hatte er die vergleichbaren verkannten Steuerschuldnerschaftsübertragungsfälle im Auge, in denen rechtsirrtümlich mit USt-Ausweis abgerechnet wird und vorsteuerbezogen beim Empfänger wegen Festsetzungsverjährung nichts mehr korrigiert werden kann.

 

Zwar spricht für die Berufbarkeit des Leistenden auf eine nicht (mehr) existente zivilrechtliche Anspruchsgrundlage des Kunden auf Differenzausgleich, dass sonst das Steuerrecht eine Ausgleichszahlung an den Kunden verlangen würde, die zivilrechtlich gar nicht existiert. Gleichwohl dürfte in allen drei Sachverhaltsvarianten davon auszugehen sein, dass ein Leistender mit dieser Argumentation zur Vermeidung seines USt-Differenzausgleichserfordernisses beim FA kein Gehör finden wird. In den Fällen der Korrektur in der unveränderten Bruttosumme wird sich das FA dieser Argumentation des Leistenden allerdings vorerst kaum verwehren können, denn für diese Fälle schloss das BMF (7.10.15 a. a. O.) bislang ein USt-Differenzausgleichserfordernis ganz explizit aus (vgl. Abschn. 14c.1. Abs. 5 letzter Satz UStAE).

 

PRAXISTIPP | Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Finanzverwaltung angesichts der BFH-Argumentation diese Differenzierung nun zeitnah fallen lassen wird. Der BFH hatte die Bruttopreisproblematik ‒ obwohl sich die vergleichbare Frage auch im BFH-Sachverhalt angesichts der dortigen schlichten Stornierung des USt-Ausweises aufgedrängt hätte ‒ in keiner Weise thematisiert. Unter Verweis auf die vorgenannten Überlegungen dürfte das FA künftig auch in den im Eingangsbeispiel geschilderten Fällen (Rückforderung der USt nach Rechnungskorrekt‒ Vorsteuer vom Kunden verjährungsbedingt nicht mehr rückforderbar) die begehrte USt-Erstattung ablehnen. Dies gilt erst recht nach dem Beschluss das FG Berlin-Brandenburg (5.7.19, 7 V 7056/18), wonach ein Leistender Unternehmer mit seinem Rechnungs- und USt-Korrekturbegehren zumindest dann kein Gehör mehr finden, wenn er Rechnungskorrekturen bzw. USt-Erstattungsanträge erst nach Ablauf der Festsetzungsverjährung gestellt hat.

 

3.6 Vorsteuer-Seite/Reemtsma-Direktanspruch

Zu beachten ist, dass das Ausgleichserfordernis zwar die künftige Korrekturmöglichkeit des Leistenden verschlechtert oder zeitlich hinauszögert aber dies die steuerliche Beurteilung beim Leistungsempfänger nicht verbessert:

 

Entdeckt nämlich das FA beim Leistungsempfänger einen überhöhten Vorsteuerabzug i. S. von § 14c Abs. 1 UStG aus einem Eingangsrechnungs-USt-Ausweis, so wird es diese Vorsteuer(differenz) unverändert mit Rückwirkung im Ursprungsjahr (d. h. nach § 233a AO verzinst) zurückfordern und für diese Korrektur nicht erst den USt-Differenzausgleich des Leistenden abwarten; denn der Differenzausgleich ist nach BFH nur Vorbedingung für die USt-Korrektur des Leistenden ‒ mildert die empfängerseitige Vorsteuerkorrektur aber nicht ab. Im Sinne einer vorsteuerbezogenen Korrekturvorbedingung, Zeitverzögerung oder Zinsabmilderung hilft das BFH-Ausgleichspostulat dem Leistungsempfänger also im ersten Schritt nicht weiter.

 

Das Differenzausgleichserfordernis könnte dem Leistungsempfänger aber im zweiten Schritt zu einer deutlich verbesserten Situation beim sog. Reemtsma-Direktanspruch verhelfen.

 

Die Entscheidung des EuGH hat folgenden Fall im Auge: Ein Leistungsempfänger hat eine Eingangsrechnung mit überhöhtem USt-Ausweises zunächst voll beglichen. Der Fiskus verweigert unter Hinweis auf den überhöhten Steuerausweis den Vorsteuerabzug (anteilig) oder fordert einen bereits gewährten Vorsteuerabzug zurück. Daraufhin will der Leistungsempfänger eine Rechnungskorrektur und eine Rückzahlung des USt-Differenzbetrags, bleibt aber mit dieser Forderung t‒ wegen Insolvenz des Leistenden ‒ letztlich erfolglos. Der Leistungsempfänger kann nun nach Auffassung des EuGH seinen USt-Differenzanspruch unmittelbar gegenüber dem Fiskus geltend machen (Direktanspruch), soweit der Fiskus die damals vom Leistenden abgeführte USt immer noch in seiner fiskalischen Kasse hält.

 

Die damalige EuGH-Forderung, die Mitgliedsstaaten sollen nationale Verfahrensmöglichkeiten für einen solchen Direktanspruch vorsehen, hatten BMF wie Gesetzgeber bislang ignoriert und auch der BFH war bislang dagegen (z. B. BFH 11.10.07, V R 27/05 und BFH 10.12.08, XI R 57/06), da dies dem deutschen Insolvenzrecht widerspreche. Der BFH argumentiert: Auf diese Weise würde der Leistungsempfänger gewissermaßen „an der Insolvenzmasse vorbei“ seine Forderung vollständig (abgekürzter Zahlungsweg) vom FA befriedigt erhalten (möglicher Verstoß gegen das insolvenzrechtliche Gläubigergleichbehandlungsgebot, vgl. BFH 30.6.15, VII R 30/14). Richtigerweise sollte der Insolvenzverwalter des leistenden Unternehmens den USt-Korrekturanspruch gegenüber dem FA geltend machen, zur Masse ziehen und davon alle Gläubiger (auch den Leistungsempfänger) nur mit der Insolvenzquote anteilig befriedigen.

 

Mit der Besprechungsentscheidung könnte der XI. Senat diesen gordischen Knoten vielleicht gelockert haben: Denn nach dem Differenzausgleichserfordernis des BFH wird der Insolvenzverwalter eines Leistenden seine USt-Korrekturansprüche nach § 14c Abs. 1 S. 2 UStG künftig gegenüber dem FA nicht mehr erfolgreich zur Masse ziehen können, da er ‒ dem Gläubigergleichbehandlungsgebot verpflichtet ‒ dem Leistungsempfänger nicht zuvor den Differenzbetrag auszahlen kann. Damit könnte dieses in der fiskalischen Kasse lagernde USt-Korrekturguthaben künftig für einen Reemtsma-Direktanspruch des Leistungsempfängers zur Verfügung stehen. Die rechtliche Klärung durch BMF und Gerichte bleibt aber abzuwarten.

 

3.7 Keine Anwendungsregelung

Da es sich beim BFH-Urteil nicht um eine Änderung der Rechtsprechung handelt, greift kein Vertrauensschutz i. S. von § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO, d. h. die BFH-Entscheidung versperrt auch rückwirkend allen noch offenen Fällen eine Korrektur i. S. von § 14c Abs. 1 S. 2 UStG ohne vorherige Ausgleichszahlung. Auch von der Finanzverwaltung darf man keine Anwendungs- oder Übergangsregelungen (sondern allenfalls Rechtsverschärfungen) erwarten, denn bereits das Schreiben des BMF (7.10.15, a. a. O.) enthielt keine solche Regelungen.

Quelle: Seite 322 | ID 45556544