· Fachbeitrag · Stiftungssitz
„Bedenke in allem vorher Zeit und Ort“ ‒ ein Plädoyer für die freie Wahl des Stiftungssitzes
von RA Berthold Theuffel-Werhahn, FAStR/FAHGR, Leiter des Bereichs Stiftungsberatung, PricewaterhouseCoopers GmbH, Kassel
| Nicht nur die Verlegung von Satzungs- oder Verwaltungssitz nach Anerkennung einer rechtsfähigen Stiftung stellt Stiftungen, Gremien und Aufsichtsbehörden vor Herausforderungen. Ähnliches gilt für den Stifter schon bei der Planung der Stiftungserrichtung. |
1. Satzungssitz versus Verwaltungssitz
Angenommen, eine (bereits als rechtsfähig anerkannte) Stiftung verlegt zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebenszyklus ihren Verwaltungssitz, sodass Satzungssitz und Verwaltungssitz auseinanderfallen. Satzungssitz ist dabei der Sitz der Stiftung, der vom Stifter im Stiftungsgeschäft und/oder der Satzung festgelegt wurde.
Beachten Sie | Der Satzungssitz wird auch als „statutarischer Sitz“ oder als „Rechtssitz“ bezeichnet (Mecking, ZStV 04, 199, 201). Der Satzungssitz einer Stiftung entscheidet unter anderem darüber, durch welches Landesstiftungsgesetz das Anerkennungsverfahren geregelt wird und welche Aufsichtsbehörde örtlich zuständig ist (Erman/Werner, BGB, 14. Aufl., § 81 Rn. 11).
|
Das Stiftungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen gilt für rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts, die ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen haben, § 1 StiftG NRW. Gemeint ist damit allein der Satzungssitz, vgl. Heuel, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Nordrhein-Westfalen, StiftG NRW, Stand: 12/08, § 1 Erl. 4. |
Beachten Sie | Der Satzungssitz bestimmt darüber hinaus auch den Gerichtsstand der Stiftung (§ 17 ZPO).
Im Gegensatz zum Satzungssitz hängt der Verwaltungssitz nicht von rechtlichen, sondern von tatsächlichen Verhältnissen ab. Er bestimmt sich nach dem Ort des Mittelpunktes der geschäftlichen Oberleitung, an dem der maßgebliche Wille für die Geschäftsführung gebildet wird, wobei es auf die Entscheidungsträger der Stiftung und nicht auf untergeordnete Verwaltungseinheiten ankommt (Mecking, ZStV 04, 199, 201).
Satzungs- und Verwaltungssitz können zum Beispiel divergieren, weil der Stifter aus Bundesland A stammt, in dem die Stiftung errichtet wurde, ein künftiger ‒ nach Ableben des Stifters bestellter ‒ Stiftungsvorstand aber im Bundesland B lebt und die Stiftung von dort verwaltet. Unterstellt wird dabei, dass die Stiftung keine eigenen Räumlichkeiten am Satzungssitz unterhält, aus denen heraus die Geschäfte der Stiftung geführt werden.
Eine ähnliche Konstellation wie die zuvor beschriebene liegt vor, wenn ein Stifter eine Stiftung errichtet, dies aber nicht an seinem Wohnort tun möchte oder dort, wo der Stiftungsvorstand residieren oder die Stiftung ihre satzungsgemäßen Zwecke voraussichtlich verfolgen wird, sondern an einem davon abweichenden Ort. Hierfür können ganz unterschiedliche Gründe in Betracht kommen, z. B., weil sich bereits im Anerkennungsverfahren erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Stifter und der Anerkennungsbehörde, die „an sich“ für ihn zuständig wäre, abzeichnen und die den Stifter zum „Exil“ seiner Stiftung „zwingen“. Denkbar wäre auch, dass dem Stifter von vornherein ein anderes Landesstiftungsrecht geeigneter erscheint.
Checkliste / Punkte, die für ein anderes Landesstiftungsrecht sprechen |
|
Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen es möglicherweise haben kann, wenn ein Bezug zu dem vom Stifter gewählten Satzungssitz für die zu errichtende Stiftung, z. B. durch
- einen regionalen Förderschwerpunkt,
- den Sitz des verbundenen Unternehmens,
- den Sitz der Verwaltung oder Ähnliches,
von Anfang an fehlt und erst nach erfolgter Anerkennung für die Anerkennungsbehörde zutage tritt. Auf den Punkt gebracht: Könnte die Anerkennungsbehörde die Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig widerrufen oder auf anderem Wege, bewusst untechnisch formuliert, „zurücknehmen“?
2. „Freie Wahl“ des Satzungssitzes
Grundsätzlich kann der Stifter nach h. M. bei der Bestimmung des Sitzes im Inland frei entscheiden, vgl. Bockamp/Tesfaiesus, ZStV 08, 124, 126; Erman/Werner BGB § 81 Rn. 11; Mecking, ZStV 04, 199, 200. Gleichwohl meinen einige, dass ein rein fiktiver Sitz ohne jeden Bezug zur Stiftungstätigkeit unzulässig sei (Palandt/Ellenberger, 77. Aufl. BGB § 81 Rn. 6).
Beachten Sie | Nur „in der Regel“ wird der Satzungssitz der Ort sein, an dem die Verwaltung der Stiftung geführt werden soll (RegE, BT-Drs. 14/8765, 10; Hof, in: von Campenhausen/Richter, § 6 Rn. 152). Der Sitz kann aber vom Stifter auch abweichend von dieser allgemeinen Regel bestimmt werden, vgl. Mecking, ZStV 04, 199, 200. So ist anerkannt, dass Satzungs- und Verwaltungssitz auseinanderfallen können, vgl. Erman/Werner, BGB § 81 Rn. 11; Palandt/Ellenberger, BGB, § 81 Rn. 6. Eine Verknüpfung zwischen Satzungs- und Verwaltungssitz ist, obwohl sie dem Gesetzgeber zugrunde gelegen haben könnte (RegE, BT-Drs. 14/8765, 10), jedenfalls nicht gesetzlich geregelt.
Sofern als Beleg für eine derartige gesetzgeberische Absicht in diesem Zusammenhang auf die Regelung in § 83 S. 3 BGB hingewiesen wird, wonach als Sitz der Stiftung der Ort gilt, an welchem die Verwaltung geführt wird, steht dieses Argument auf tönernen Füßen, heißt es doch ebenfalls in der Vorschrift: „wenn nicht ein anderes bestimmt ist“ (Bockamp/Tesfaiesus, ZStV 08, 124, 126).
Gegen eine Absicht des Gesetzgebers, den Satzungssitz an den Verwaltungssitz oder auch nur an einen anderen Bezug zur Stiftungstätigkeit zu knüpfen, spricht ferner die Regelung in § 83 S. 4 BGB, wonach im Zweifel der letzte Wohnsitz des Stifters im Inland als Sitz gilt. Denn dies könnte also auch der Fall sein, wenn es am letzten Wohnsitz des Stifters keinen anderen Bezug zu der Stiftung gäbe (Bockamp/Tesfaiesus, ZStV 08, 124, 126).
Beachten Sie | Der von einigen für erforderlich gehaltene „Bezug zur Stiftungstätigkeit“ kann unter Umständen auch dadurch hergestellt werden, dass sich die satzungsmäßigen Zwecke (zumindest aus der Sicht des Stifters, auf den es maßgeblich ankommt) effizienter oder besser in dem gewählten Bundesland erfüllen lassen. Teilweise wird „forum shopping“ sogar ausdrücklich empfohlen oder zumindest geduldet, vgl. Froning, in: Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 5. Aufl., § 50 Rn. 24; Schlüter/Stolte, Stiftungsrecht, Kap. 5 Rn. 25.
3. Wahl des Satzungssitzes und der Stifterfreiheit
Keine gesetzliche Vorschrift verbietet „forum shopping“ oder verlangt eine (anfängliche) Identität zwischen Verwaltungs- und Satzungssitz. „Forum shopping“ löst keinen Mangel des Stiftungsgeschäfts aus. Selbst wenn ‒ entgegen hier vertretener Auffassung ‒ in einem bereits vor oder bei Errichtung der Stiftung bestehenden Widerspruch zwischen Verwaltungs- und Satzungssitz ein Mangel des Stiftungsgeschäfts gesehen werden können sollte, führt dies nicht zur Nichtigkeit der öffentlich-rechtlichen Anerkennung der Stiftung gemäß § 44 Abs. 2 oder Abs. 1 VwVfG. Ebenso wenig kann die Anerkennung der Stiftung durch die Anerkennungsbehörde gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG wieder zurückgenommen oder die Stiftung gemäß § 87 BGB aufgehoben werden.
Beachten Sie | Weder die Aufsichtsbehörde am Satzungssitz noch ‒ umso weniger ‒ die Aufsichtsbehörde des Verwaltungssitzes können mit den Aufsichtsinstrumenten der Landesstiftungsgesetze (Beanstandung, Durchsetzung von Weisungen und Anordnungen mit Zwangsmitteln, Ersatzvornahme usw.) eine Verlegung des Satzungssitzes an den Verwaltungssitz oder umgekehrt des Verwaltungssitzes zum Satzungssitz hin von der Stiftung und/oder deren Organen erzwingen.
Es sollte sich nach alledem die Auffassung durchsetzen, dass der Stifter grundsätzlich berechtigt ist, den Satzungssitz und damit das einschlägige Landesstiftungsregime ebenso wie die Zuständigkeit einer bestimmten Anerkennungs- und Aufsichtsbehörde (im Inland) frei zu wählen, und zwar ausdrücklich unabhängig vom Verwaltungssitz oder anderen Bezügen zur Stiftungstätigkeit, wie hier: Erman/Werner, BGB § 81 Rn. 11; Götz/Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung, Rn. 193; Herberger/Martinek/Rüßmann/Morsch, jurisPK, § 80 BGB Rn. 35.
Solange sich die Landesstiftungsregime ‒ trotz eines Trends zur Harmonisierung ‒ noch voneinander unterscheiden, mag der Stifter sich für das objektiv oder nur aus seiner Sicht für die Stiftung sinnvollste entscheiden dürfen.
Auch das Interesse des Stifters, sich die stiftungsfreundlichste und entgegenkommendste Stiftungsbehörde auszusuchen, ist anzuerkennen. Die Verwaltungspraxis der Anerkennungs-, Aufsichts- und Finanzbehörden in den einzelnen Ländern unterscheidet sich mitunter massiv, vgl. Erman/Werner, BGB § 81 Rn. 11. Jedenfalls teilweise resultieren Verweigerungen und Ablehnungen bei den Behörden eher aus einer fehlenden Sachkompetenz oder mangelnder Kooperationsbereitschaft und gründen weniger auf der geltenden Rechtslage, frei nach dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht“ bzw. „Das haben wir noch nie so gemacht“.
Ein mit dieser Ignoranz konfrontierter Stifter könnte nun entweder den Rechtsweg beschreiten, was sein Stiftungsprojekt bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung möglicherweise um Jahre verzögerte und der Stifter ‒ meist in fortgeschrittenem Alter ‒ deswegen befürchten müsste, den Ausgang aus biologischen Gründen nicht mehr erleben zu können. Abgesehen davon, dass ein gegen die Stiftungsbehörde geführter Rechtsstreit kaum zu einem vertrauensvollen Klima für die Zukunft beiträgt.
Alternativ kommt für den Stifter daher oft nur ein örtliches Ausweichen mit seinem Stiftungsprojekt in Betracht, vgl. Erman/Werner, BGB § 81 Rn. 11. Zu Recht sieht Werner allein in dem Konkurrenzprinzip einen Ausweg, was die freie Wahl des Satzungssitzes ohne sachlichen Bezug erfordert. Eine Konkurrenz unter den Bundesländern bei der Förderung einer möglichst fruchtbaren Stiftungskultur im jeweiligen Bundesland ist ausdrücklich zu begrüßen, vgl. Hertel, ZRP 00, 387, 390. Diese Einschätzung teilen übrigens auch Vertreter einzelner Bundesländer, vgl. Nachweis bei Hertel, ZRP 00, 387 Fn. 9.
FAZIT | Allein die freie Wahl des Satzungssitzes wird schließlich der grundrechtlich geschützten Stifterfreiheit gerecht. Denn aufgrund dieser steht dem Stifter nicht nur das Recht zu, überhaupt eine Stiftung zu errichten, sondern diese auch nach seinen Vorstellungen im Rahmen der geltenden Gesetze sowie der zwingenden Wesensmerkmale und Strukturprinzipien der juristischen Person „Stiftung“ inhaltlich frei auszugestalten, vgl. Schwake, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts V, § 79 Rn. 12. Dies schließt die Wahl des Satzungssitzes und ‒ in Konsequenz daraus ‒ des anzuwendenden Landesstiftungsrechts sein, vgl. Bockamp/Tesfaiesus, ZStV 08, 124, 126; Erman/Werner, BGB § 81 Rn. 11. Schon deshalb geht der gelegentlich in diesem Zusammenhang verwendete Begriff eines „Rechtsmissbrauchs“ (vgl. Mecking, ZStV 04, 199, 201) fehl. |
Weiterführender Hinweis
- Zu Stiftungsreform und Sitz, Theuffel-Werhahn, SB 18, 141 (in dieser Ausgabe)