· Fachbeitrag · Sanierungs- und Insolvenzrecht
Neue Aufgaben und Pflichten des Steuerberaters in der Krise des Mandanten (Rechtsstand 1.1.21)
von Prof. Dr. Jan Roth, Köln
| Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) hat nicht nur für Unternehmer Änderungen mit sich gebracht, es hat auch Einfluss auf die tägliche Arbeit der Steuerberater. Auf zwei wichtige Aspekte geht der folgende Beitrag ein, nämlich erstens die in § 102 StaRUG statuierte Pflicht des Steuerberaters, bei der Erstellung eines Jahresabschlusses auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes hinzuweisen und zweitens die neue Freistellung des Geschäftsführers von der steuerlichen Haftung unter der Voraussetzung rechtzeitiger Insolvenzantragstellung (§ 15b Abs. 8 InsO). |
1. Hinweispflicht des steuerlichen Beraters
Der Gesetzgeber hat in dem zum 1.1.21 in Kraft getretenen § 102 StaRUG die jüngere Rechtsprechung des BGH (26.1.17, IX ZR 285/14) gesetzlich normiert, nach der Steuerberater bei der Jahresabschlusserstellung für einen Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes hinweisen müssen.
1.1 Zeitliche Vorverlagerung der Beraterpflichten
Die jetzt gesetzlich geregelte Hinweispflicht ist inhaltlich allerdings keineswegs identisch mit den durch den BGH aufgestellten Anforderungen. Insbesondere führt sie zu einer anderen Art der Haftungsbegründung und vor allem setzt sie bereits im Krisenstadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit ein.
Damit ist eine deutliche Vorverlagerung der krisenbezogenen Verpflichtungen des Steuerberaters verbunden, denn drohende Zahlungsunfähigkeit ist nach dem ebenfalls zum 1.1.21 in Kraft getretenen § 18 Abs. 2 S. 2 InsO dann anzunehmen, wenn vermutet werden kann, dass der Schuldner innerhalb eines Prognosezeitraums von 24 Monaten seine fälligen Verbindlichkeiten voraussichtlich nicht mehr im Zeitpunkt der Fälligkeit erfüllen kann. Auch die zum gleichen Zeitpunkt in Kraft getretene Neufassung des Überschuldungsbegriffs in § 19 Abs. 2 InsO führt zu einer Vorverlagerung der Beraterpflichten: Überschuldung war nämlich vor der gesetzlichen Neuregelung dann nicht anzunehmen, wenn die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich war. Eine zeitliche Komponente enthielt die gesetzliche Regelung nicht. Nunmehr ist insolvenzrechtliche Überschuldung gegeben, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt und nicht festgestellt werden kann, dass die Fortführung des Unternehmens für mindestens 12 Monate nach den Umständen zu erwarten ist.
1.2 Inhalt der Pflichten und Haftungskonstruktion
Der BGH hatte von der früheren Rechtslage ausgehend eine Haftungskonstruktion gewählt, die an die mangelhafte Erfüllung des Steuerberatervertrags anknüpfte und sah die zur Haftung führende Pflichtverletzung darin, dass der Abschlussersteller unzutreffenderweise Fortführungswerte zugrunde gelegt hatte, obwohl objektiv von einer dauerhaften Fortführung nicht mehr auszugehen war.
Konkret bedeutet dies für die Arbeit des Steuerberaters nun Folgendes:
- Der Abschlussersteller darf nicht Fortführungswerte der Bewertung zugrunde legen, wenn im Zeitpunkt der Abschlusserstellung nicht mehr von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit i. S. d. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ausgegangen werden kann (BGH 26.1.17, IX ZR 285/14). Die Bewertung muss dann auf der Grundlage von Liquidationswerten erfolgen.
- Die Bewertungsumstellung muss der Abschlussersteller von sich aus aber nur dann vornehmen, wenn er aus dem ihm zur Verfügung stehenden Material die „sichere Überzeugung gewinnen“ muss, dass die Unternehmenstätigkeit nicht fortführungsfähig ist (z. B. bei erkannter Insolvenz-reife) (BGH 26.1.17, IX ZR 285/14).
- Mit Bezug auf den Going-Concern-Grundsatz (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) darf der Steuerberater nicht von einer fortzuführenden Unternehmenstätigkeit ausgehen, wenn er von Umständen weiß oder wissen muss, die ihr in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht entgegenstehen.
- Tatsächliche, die Unternehmensfortführung verhindernde Umstände manifestieren sich vor allem in wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Mandanten (BGH 26.1.17, IX ZR 285/14, ZInsO 2017, 432 [436], Tz. 33 mit Verweis auf Böcking/Gros, HGB, § 252 Rn. 17; Ballwieser, in: MüKo-HGB, § 252 Rn. 11; Kreipl/Müller, HGB, § 252 Rn. 41; Lilienbecker/Link/Rabenhorst, BB 2009, 262). Hierzu zählen:
- erhebliche Verluste des Unternehmens,
- eine zu geringe Eigenkapitalausstattung,
- Liquiditätsschwierigkeiten oder
- eine bilanzielle Überschuldung, die eine fehlende Fortführung der Unternehmenstätigkeit gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB indiziert (BGH 26.1.17, IX ZR 285/14, ZInsO 2017, 432 [436], Tz. 34 mit Verweis auf Tiedchen, in: MüKo-Bilanzrecht, HGB § 252 Rn. 24; Lilienbecker/Link/Rabenhorst, BB 2009, 262; Böhmer/Metzing, DStR 2015, 1824 [1825]).
- Erkennt der Berater aus den ihm vorliegenden Unternehmensinformationen seines Auftraggebers diesbezügliche Hinweise, muss er entsprechend bei seinem Mandanten nachhaken und gegebenenfalls darauf bestehen, dass ihm eine explizite Fortführungsprognose vorgelegt wird. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hat der BGH die Beteuerungen des Geschäftsführers, dass die Überschuldung bekannt sei und Überlegungen bezüglich einer Kapitalerhöhung bestünden, nicht ausreichen lassen, um die bestehenden Zweifel des Bilanzerstellers zu entkräften (BGH 26.1.17, IX ZR 285/14, ZInsO 2017, 432 [436], Tz. 37).
- Der BGH hat daneben erwogen ‒ ohne dass es im Streitfall entscheidungserheblich geworden wäre ‒, dass den Berater eine davon unabhängige Pflicht treffen könne, auf das Vorliegen von Insolvenzgründen hinzuweisen. Daraus wurde eine Unterrichtungspflicht abgeleitet (so auch Mielke, DStR 2017, 1060 [1063]).
- Der Berater muss seinen Mandanten über eine mögliche Insolvenzreife informieren, wenn sich aus den ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen Hinweise auf einen Insolvenzgrund ergeben und er annehmen muss, dass dem Mandanten die Insolvenzreife nicht bewusst ist (BGH 26.1.17, IX ZR 285/14, ZInsO 2017, 432 [437], Tz. 45). In diesem Fall hat er den Geschäftsführer auf seine Insolvenzprüfungspflicht hinzuweisen. Verletzt er diese Hinweispflicht, kann ihn eine Schadenersatzhaftung gemäß §§ 280 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB treffen. Die Unterrichtungspflicht besteht für den Steuerberater unabhängig von der Erstellung des Jahresabschlusses, d. h., auch wenn er einen mangelfreien Abschluss für den Mandanten aufgestellt hat, muss er ihn über einen erkannten Insolvenzgrund oder über offenkundige und ernsthafte Anhaltspunkte für eine Insolvenzreife der Gesellschaft informieren (BGH 26.1.17, IX ZR 285/14, ZInsO 2017, 432 [437], Tz. 43 f).
- Die Hinweis- und Warnpflicht lässt sich als Schutzpflicht i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB verstehen, die ein Steuerberater im Rahmen des jeweils bestehenden Mandatsvertrags erfüllen muss (so auch Zaumseil, DB 2017, 891 [895]; ders., StBWoche 2013, 957 f.; vgl. auch Gehrlein, NZG 2013, 961 [961]; Zugehör, NZI 2008, 652 [654]).
1.3 Der neue § 102 StaRUG
Genau die durch den BGH nur als obiter dictum in den Raum gestellte mögliche eigenständige Hinweispflicht hat der Gesetzgeber nun in § 102 StaRUG verankert. Die Hinweispflicht besteht ausweislich des Gesetzeswortlauts nur dann, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und der Abschlussersteller annehmen muss, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.
Beachten Sie | Das Erfordernis der Offenkundigkeit sollte den Praktiker aber nicht dazu verleiten, sich möglichst wenig über die wirtschaftliche Lage des Mandanten zu informieren, um bloß nicht so viel über ihn in Erfahrung zu bringen, dass die Anhaltspunkte für die wirtschaftliche Schieflage erst dadurch offenkundig werden.
Es hat sicherlich nicht viel mit Hellseherei zu tun, wenn man prophezeit, dass die Rechtsprechung hier Sorgfaltspflichten in Bezug auf die eigene Information annehmen wird und eine unterlassene oder zu oberflächliche Informationsbeschaffung durch den Berater als Pflichtverletzung ansehen wird, die dazu führt, dass den Berater die Berufung auf fehlende Offenkundigkeit zu seiner Entlastung versagt wird.
PRAXISTIPP | Der Berater hat sich in den Umständen nach angemessenem Umfang mit den wirtschaftlichen Verhältnissen und den Fortführungsaussichten des Unternehmens seines Mandanten zu befassen. Äußerst wichtig wird es werden, die eigenen Erkenntnisse genau zu dokumentieren, sich durch die Geschäftsleitung versichern zu lassen, alle fortführungsrelevanten Tatsachen mitgeteilt bekommen zu haben und die Schlüsse, die man daraus zieht, genau festzuhalten. |
Die weitere gesetzgeberische Einschränkung, dass die Hinweispflicht dann nicht besteht, wenn er bei der Abschlusserstellung nicht annehmen muss, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist, wird dem Berater kaum jemals helfen: Da die Geschäftsleitung jedenfalls bei juristischen Personen zur Insolvenzantragstellung verpflichtet (von der temporären Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG sei hier abgesehen) ist, sobald einer der Insolvenzgründe der §§ 17, 19 InsO eingetreten ist und man wegen der Strafbewährtheit der Unterlassung leicht zu einer Vermutung beratungsgerechten Verhaltens (grundlegend BGH 30.9.93, IX ZR 73/93; NJW 1993, 3259; dazu instruktiv BGH 30.11.17, I ZR 143/16; ausführlich Schwaiger in: Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, 6. Auflage 2020, Kap. IX, Rn. 25 ff.) kommen wird, wird man dem Berater anlasten, er habe aus dem Umstand, dass die Geschäftsleitung einen notwendigen Insolvenzantrag bisher nicht gestellt hat, unschwer erkennen können, dass der Geschäftsleitung die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.
1.4 Hinweispflicht auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit
Besonders anspruchsvoll wird für den Berater die Erfüllung der Pflicht, auch auf das Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) hinweisen zu müssen. Eine solche Pflicht hatte der BGH noch nicht diskutieren müssen. Der Gesetzgeber hat sie aber nun eingeführt.
Vordergründig scheint es so zu sein, dass die Verletzung dieser Pflicht nicht viel Schaden anrichten kann, weil bei drohender Zahlungsunfähigkeit noch keine Insolvenzantragspflicht ausgelöst wird. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Verletzung eines Hinweises auf den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit durchaus kausal für erhebliche Schäden werden kann.
Erstens kann eine drohende Zahlungsunfähigkeit schnell ‒ und auch schneller als prognostiziert ‒ in eingetretene Zahlungsunfähigkeit umschlagen, sodass ein Geschäftsführer, der seine durch Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ausgelöste Insolvenzantragspflicht verletzt, dem Berater vorwerfen wird, dazu wäre es nicht gekommen, wenn der Berater pflichtgemäß zum rechten Zeitpunkt auf das Vorliegen bereits drohender Zahlungsunfähigkeit hingewiesen hätte.
Zweitens darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit für den Mandanten die „Wohltaten“ des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens eröffnet werden und sich eine außergerichtliche und vor allen Dingen außerinsolvenzliche Sanierung ermöglichen lässt (§ 29 StaRUG). Es werden sogar die Insolvenzantragspflichten suspendiert (§ 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG).
Insofern droht dem Berater Ungemach, wenn er auf den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht hinweist und der Mandant deswegen den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nicht oder zu spät erkennt oder aber der Mandant deswegen Sanierungsmöglichkeiten wie etwa den Restrukturierungsplan nicht nutzen kann. Gerade in Fällen drohender Zahlungsunfähigkeit muss der Berater zudem geradezu typischerweise davon ausgehen, dass der Geschäftsleitung dieser Umstand nicht bekannt ist.
1.5 Weiter Anwendungsbereich von § 102 StaRUG und seine Drittschutzwirkung
Noch nicht abschließend zu beantworten ist die Frage, wer in die Schutzwirkungen der Hinweispflicht nach § 102 StaRUG einzubeziehen ist. Dies wird die wissenschaftliche Diskussion der nächsten Monate und die weitere Rechtsanwendungspraxis erst zeigen müssen.
Es liegt aber nahe, dass man § 102 StaRUG Schutzwirkung zumindest zugunsten der Geschäftsleitung zuerkennt. Die Hinweispflicht hat in erster Linie den Sinn, dem Geschäftsleiter seine Insolvenzantragspflicht vor Augen zu führen und ihn über seine Pflichten und Möglichkeiten aufgrund des Eintritts drohender Zahlungsunfähigkeit zu informieren. Ihn persönlich treffen die aus einer pflichtwidrig unterlassenen oder verspäteten Insolvenzantragstellung resultierenden Haftungen, sei es zivilrechtlicher oder steuerrechtlicher Natur. Dieses ist für jeden Berater evident. Deswegen wird man unschwer zur Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten der Geschäftsleiter kommen können, aus der die Geschäftsleiter unmittelbar bei dem steuerlichen Berater regressieren können, wenn dieser den Hinweis nach § 102 StaRUG pflichtwidrig unterlassen hat und ihnen daraus eine Haftung erwachsen ist.
Etwas weniger nahe liegt, § 102 StaRUG als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Bei genauerem Hinsehen stellt man aber fest, dass sich dafür durchaus gewichtige Argumente finden lassen. An dieser Stelle soll insoweit keine vertiefende juristische Auseinandersetzung erfolgen. Es soll deswegen bei dem Hinweis belassen werden, dass es zu einer direkten und unmittelbaren Haftung des steuerlichen Beraters gegenüber allen Dritten kommt, die durch eine verspätete Insolvenzantragstellung geschädigt werden, also den Gläubigern des Krisenunternehmens, wenn man den Schutzgesetzcharakter bejaht und im konkreten Fall eine Verletzung der Hinweispflicht vorliegt. Das macht einmal mehr deutlich, wie ernst man es als Abschlussersteller zukünftig nehmen muss, Insolvenzgründe einschließlich der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu prüfen bzw. zur eigenen Haftungsvermeidung sogar extern prüfen zu lassen.
2. Ausschluss der steuerlichen Haftung (insbes. § 69 AO) bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung
Sehr zu begrüßen ist, dass der Gesetzgeber nicht mehr wie bisher nur stets die verspätete Insolvenzantragstellung sanktioniert, sondern nun auch eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung im Hinblick auf die steuerliche Haftung privilegiert.
Die praktisch wichtigste Haftungsnorm ist § 69 AO. Diese bewirkt, dass für den Anspruchsgegner ein eigenständiges Steuerverhältnis gegenüber der Finanzbehörde begründet wird (Gundlach/Frenzel/Schmidt, DStR 2002, 1095 [1096]). Die Haftung aus § 69 AO setzt eine schuldhafte Pflichtverletzung voraus und hat Schadenersatzcharakter (Ständige Rechtsprechung, s. nur BFH 1.8.00, V II R 110/99, BStBl. II 2001, 271 = DStR 2000, 1954 (1954) m.w.N). Dies bedeutet, dass sie im Umfang auf den Betrag beschränkt ist, der in Folge einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist (BFH 31.3.00, VII B 187/99, GmbHR 2000, 1211 [1213]; 29.8.18, XI R 57/17, NZI 2019, 89; FG Köln 19.7.18, 13 K 3142/13, BeckRS 2018, 20104; FG Hamburg 26.1.17, 6 K 132/16, BeckRS 2017, 94542). Sie begründet eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus, welche auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur vom Finanzamt und nicht vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann. Da dieser Anspruch öffentlich-rechtlicher Natur ist, ist er auf zivilrechtlichem Wege nicht abdingbar; vereinbarte Haftungsausschlüsse sind unwirksam (Intemann in Pahlke/Koenig, § 69 AO Rz. 4).
2.1 Haftungsumfang des § 69 AO
Die Haftung aus § 69 AO ist umfassend, sie erstreckt sich auf alle Ansprüche aus dem Steuerverhältnis. Die Haftung umfasst nicht nur die Haftung für Steuern, sondern auch die für steuerliche Nebenleistungen. Durch die Einführung von § 69 S. 1 AO wurde auch der Streit, ob ohne Rechtsgrund gezahlte Steuervergütungen oder Steuererstattungen von der Haftung umfasst sind, beigelegt und positiv entschieden. Steuerliche Nebenleistungen sind vor allem Säumnis- und Verspätungszuschläge sowie Zinsen und Zwangsgelder (Intemann in: Pahlke/Koenig, § 69 AO Rz. 122). Erfasst werden nur solche Steuern und steuerlichen Nebenleistungen, die während der Tätigkeit des Vertreters entstanden sind. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht § 69 S. 2 AO, indem dieser auch Säumniszuschläge, die nach Beendigung der Tätigkeit anfallen, in die Haftung mit einbezieht (BFH 24.1.89, VII B 188/88, BStBl. II 1989, 315 = ZIP 1989, 720 = BeckRS 1989 22008843; FG München 22.5.12, 2 K 3459/09, BeckRS 2012, 95500).
2.2 Verletzung der steuerrechtlichen Zahlungspflichten
§ 15b Abs. 8 InsO bestimmt nun, dass eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nicht vorliegt, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder der Überschuldung (§ 19 InsO) und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO nachkommen. Damit ist nicht nur der Zeitraum zwischen Insolvenzantragstellung und Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Antrag privilegiert, sondern die steuerliche Haftung wird auch für die ebenfalls neu eingeführte „Überlegungszeit“ von drei bzw. sechs Wochen vor Insolvenzantragstellung (§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO) beseitigt.
Beachten Sie | Die Regelung beseitigt zum einen Rechtsunsicherheiten. Zum anderen ermutigt sie gerade ängstlichere Geschäftsleiter zu einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung, weil in der Praxis durchaus regelmäßig zu beobachten ist, dass Geschäftsleiter „nach dem letzten Strohhalm greifen“ und gerade weil ihnen unklare Haftungslagen insbesondere im steuerlichen Kontext vor Augen stehen, überfällige Insolvenzantragstellungen weiter verzögern. Der steuerliche Berater sollte seinen Mandanten in der Krise unbedingt auf die Möglichkeit dieser Haftungsprivilegierung hinweisen und ihn nicht unnötig der steuerlichen Haftung aussetzen.
FAZIT | Die nun gesetzlich vorgeschriebene Pflicht des steuerlichen Beraters bzw. Abschlusserstellers, den Mandanten auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, der drohenden Zahlungsunfähigkeit (!) und/oder der Überschuldung hinzuweisen, muss man sehr ernst nehmen.
Zur Erfüllung dieser Pflicht ist zu empfehlen, sich routinemäßig ein situationsangemessen genaues Bild von der wirtschaftlichen Lage und der Fortführungsprognose des Mandanten zu machen, sich die Vollständigkeit der für die Fortführungsprognose erforderlichen Tatsachen versichern zu lassen und die eigene Einschätzung hinsichtlich möglicher Insolvenzgründe schriftlich zu dokumentieren.
Bei Verletzung der Hinweispflicht droht eine Haftung des Beraters nicht nur gegenüber dem Mandanten, sondern auch gegenüber den Geschäftsleitern, wenn diese ihre Insolvenzantragspflicht verletzen und ihnen daraus Schäden entstehen und möglicherweise sogar gegenüber Dritten, nämlich den Gläubigern des Mandanten.
Die dringende Empfehlung kann also nur sein, die Erforderlichkeit eines Hinweises nach § 102 StaRUG sehr gewissenhaft zu prüfen und die eigene Entscheidung „für alle Fälle“ zu dokumentieren.
§ 15b Abs. 8 InsO bestimmt nun, dass eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nicht vorliegt, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder der Überschuldung (§ 19 InsO) und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO nachkommen. Diese Regelung ist sehr zu begrüßen, weil sie dem gewissenhaften Geschäftsleiter, der ordnungsgemäß seine Insolvenzantragspflicht überwacht und ihr nötigenfalls nachkommt, von allen steuerlichen Haftungsrisiken befreit. |
Zum Autor | Prof. Dr. Jan Roth ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Erbrecht sowie Steuerrecht und seit 2019 Partner bei WELLENSIEK. Zudem ist Herr Prof. Roth Honorarprofessor der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und als Testamentsvollstrecker (AGT) tätig. Mehr unter http://www.wellensiek.de