· Fachbeitrag · Regierungsentwurf
Neues Insolvenz- und Sanierungsrecht mit erheblichen Auswirkungen auf steuerliche Berater
von RA Prof. Dr. Volker Römermann, CSP, www.roemermann.com
| Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz ‒ SanInsFoG, www.iww.de/s4208 ) vom 14.10.20 hat es in sich. Er bringt zum 1.1.21 nichts Geringeres als die umfassendste Reform des Bereichs Sanierung und Insolvenz von Unternehmen seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1.1.99. Das hat Auswirkungen für eine unabsehbare Zahl von Unternehmen, aber auch für deren Steuerberater ‒ denn die Haftungsgefahren und die Belehrungspflichten werden erwartungsgemäß gleich mit steigen. |
1. Hintergrund
Die anstehende Reform fußt auf den folgenden drei Komponenten:
- Die europäische Restrukturierungs-Richtlinie: Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.19 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz, ABl. L 172 vom 26.6.19, S. 18).
- Die ESUG-Evaluation: Evaluation des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.11 (ESUG ‒ BT-Drs. 19/4880).
- Die Sondersituation der COVID-19-Pandemie (vorübergehende Anpassungen).
Der Restrukturierungs-Richtlinie liegt ein vernünftiger Gedanke zugrunde: Der, dass Unternehmen nicht von heute auf morgen insolvent werden, sondern sich über längere Zeit auf einer abschüssigen Bahn der Insolvenz annähern. Warum, so fragte man in Brüssel, gewährt das Recht erst ab der Stellung eines gerichtlichen Insolvenzantrags ein Portfolio von Sanierungsinstrumentarien und lässt die Unternehmen im Vorfeld ganz allein? Wäre es nicht deutlich sinnvoller und effizienter, würde das Recht einen Instrumentenkoffer bereitstellen, der ‒ je nach Bedarf ‒ von den Unternehmen genutzt werden könnte?
2. StaRUG: Restrukturierungs- und Stabilisierungsrahmen
Dem deutschen Recht waren derartige Nuancierungen bislang fremd. Kein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens: Kein Sanierungsinstrument. Nach Antragstellung: Ein breites Spektrum an Möglichkeiten vom Schutzschirm über die Eigenverwaltung bis hin zu Insolvenzplan und Regelinsolvenz. Ab 2021 können Unternehmen auf deutlich mehr hoffen und der Zugang zu den einzelnen Instrumenten wird spürbar vereinfacht.
2.1 Neue Berufe und neue Gerichte
Der erste Artikel des SanInsFoG präsentiert ein eigenständiges Gesetz, nämlich das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz ‒ StaRUG). Das geht mit neuen Funktionen, vielleicht sogar Berufen einher. Da gibt es Sanierungsmoderatoren, die als eine Art Mediatoren die Verhandlungen zwischen dem in der Krise befindlichen Unternehmen und seinen Gläubigern unterstützen. Es gibt dazu auch die Möglichkeit, bei Gericht zur Stabilisierung von Unternehmen die Einstellung der Zwangsvollstreckung und Verwertung zu beantragen.
Sodann wartet das künftige Recht mit Restrukturierungsbeauftragten auf. Sie gestalten Restrukturierungspläne. In diesen Plänen wird die Krisensituation dargestellt und es werden konkrete Maßnahmen vorgesehen, um die Insolvenz dauerhaft zu vermeiden. Auf Antrag des Unternehmens kann ein Gericht in diesem Zusammenhang auch Verträge beenden, die es zu sehr belasten. Ist sich der Unternehmer unsicher, wie der Plan rechtlich auszugestalten ist, so kann er das Gespräch mit dem Gericht suchen und bekommt in einigen Fällen sogar einen Rechtsanspruch auf ein solches Vorgespräch, bei dem er sämtliche relevanten Fragen klären und einen richtungsweisenden Hinweis des Gerichts einholen kann. Das schafft Rechtssicherheit.
Die Vorverlagerung der Sanierung findet auch ansonsten bei den Gerichten ihren Niederschlag. Es werden Restrukturierungsgerichte geschaffen und ein Teil des Personals wird vermutlich von den Insolvenzgerichten dorthin versetzt. Ob die Insolvenzverwalter dann ‒ nach Abebben der Corona-Insolvenzwelle ‒ rasch wieder arbeitslos werden? Darüber trifft man derzeit unterschiedliche Ansichten. Die einen sagen, für Insolvenzverwaltung blieben nach Sanierungsmoderation und Restrukturierung nur noch die Fälle übrig, bei denen sowieso alles aussichtslos und die Masse aufgebraucht sei. Die anderen verweisen auf den Umstand, dass die Restrukturierungs-Richtlinie die Rechte der Arbeitnehmer explizit unangetastet gelassen hat. Wer in Arbeitsverhältnisse eingreifen muss, kommt also am gerichtsförmlichen Insolvenzverfahren nicht vorbei. Daraus leiten manche Stimmen ab, dass die Sanierungsmoderatoren und Restrukturierungsbeauftragten am Ende die meisten Fälle doch an Insolvenzverwalter abgeben werden, deren Arbeitsaufkommen im Ergebnis sogar steigen könne.
2.2 Neue Chancen für den Steuerberater
Die neuen Funktionen könnten auch eine Chance für Steuerberater darstellen. In der Vergangenheit war ihnen der Zugang zum Insolvenzverwaltungsmarkt weitgehend verwehrt. Insolvenzrichter bestellten und bestellen lieber Rechtsanwälte zu Insolvenzverwaltern. Diesen wurde das Vorhandensein des nötigen insolvenzrechtlichen Rüstzeugs eher unterstellt. Im Übrigen sind Rechtsanwälte ‒ aus Richtersicht ‒ eher „ihresgleichen“. In Zukunft geht die Initiative mehr und mehr von den Betroffenen selbst aus. Der beherrschende Einfluss der Insolvenzgerichte wird ein Stück zurückgedrängt. Wirtschaftlich tragfähige Lösungen sind gefragt, eher nicht mehr vordergründig die juristisch korrekte Abwicklung. Das könnte die Stunde derjenigen sein, die betriebswirtschaftliches Know-how mitbringen und sich mit gelungenen Sanierungen einen Namen machen. Dadurch tun sich neue Geschäftschancen auf.
3. Insolvenzantragsgründe
Nach dem StaRUG werden in zahlreichen Artikeln bestehende Gesetze geändert, zum Teil erheblich. Das SanInsFoG bringt insbesondere grundlegende Veränderungen der Insolvenzordnung mit sich. Das gilt zunächst für die Definition der bekannten Insolvenzantragsgründe. Zwei Gründe verpflichten zum Insolvenzantrag, einer erlaubt ihn nur. Die zwingenden Gründe sind die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, zum freiwilligen Antrag führt die drohende Zahlungsunfähigkeit. Was „drohend“ bedeutete, war bislang ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, wie weit der Betrachtungszeitraum für die Fortführungsprognose reicht, die im Zuge der Prüfung des Überschuldungstatbestands anzustellen ist. Beides gewinnt künftig an Klarheit.
Die Überschuldung ist traditionell in zwei Stufen zu prüfen: Besteht eine rechnerische Überschuldung, übersteigen die Schulden das Aktivvermögen? Und: Falls die Verbindlichkeiten höher sind, wie fällt die Fortführungspro-gnose aus, positiv oder negativ? Nur im letzteren Fall ist der Insolvenzantrag verpflichtend.
Der Zeitraum der Prognose wurde nicht gesetzlich, sondern faktisch vom Institut der Wirtschaftsprüfer vorgegeben: Das laufende und das folgende Geschäftsjahr sollten hierfür relevant sein. Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt im laufenden Geschäftsjahr die Prognose vorgenommen wird, können also eher 12 oder fast 24 Monate bedeutsam werden. Durch das SanInsFoG wird der Zeitraum auf 12 Monate festgelegt, und zwar ab dem Moment der Vorausschau und unabhängig von dem Geschäftsjahr. Stellt die Geschäftsführung fest, dass der Tatbestand erfüllt ist, so erhält sie ab 2021 sechs statt bisher drei Wochen Frist, um nach einer Sanierungsmöglichkeit Ausschau zu halten. Erst danach gibt es zum Insolvenzantrag keine Alternative mehr.
Sowohl die Präzisierung dieser Betrachtungsdauer als auch die Verdoppelung der Antragsfrist sind aus Sicht der Beratungspraxis zu begrüßen. Ist das Unternehmen von der Pandemie betroffen und ist es dadurch in die Existenzbedrohung geraten, so soll die Prognose statt auf 12 sogar nur noch auf 4 Monate gerichtet sein. Das wird durch eine Ergänzung im COVID-19-Insolvenz-aussetzungsgesetz (COVInsAG) erreicht. Offenbar ist auch den Verfasserinnen des Gesetzentwurfs klar geworden, wie schwierig längerfristige Prognosen gerade im Corona-Zeitalter geworden sind.
4. Haftung der Geschäftsführung
Die drohende Zahlungsunfähigkeit soll sich auf einen Zeitraum von künftig 24 Monaten beziehen. In dieser Zeit setzen einschneidende Pflichten ein, die eigentlich eher dem Gesellschaftsrecht zuzuordnen wären, die aber nun in den ersten Paragraphen des StaRUG verankert werden sollen. Ein Früherkennungssystem soll da installiert werden und wenn die Insolvenz droht, hat die Geschäftsleitung zuvörderst im Sinne der Gläubigerbefriedigung zu agieren. Erst in zweiter Linie sind die Interessen anderer Beteiligter wie etwa der Anteilsinhaber von Bedeutung. Als wäre das nicht schon genug, führt das Gesetz eine Beweislastumkehr ein. Nicht derjenige, der den Geschäftsführer für diesen Zeitraum in die Haftung nehmen möchte, muss nachweisen, dass im Management Fehler vorgekommen sind, sondern der Geschäftsführer muss seine Unschuld beweisen. Das Gleiche gilt sodann auch für die Mitglieder des Überwachungsorgans, bei Aktiengesellschaften also für den Aufsichtsrat.
Diese Pflichten sind extrem weitgehend und führen die Geschäftsführer in kaum überwindbare praktische Schwierigkeiten. Dabei ist den Entwurfsverfasserinnen durchaus klar, dass der Pflichtenkreis durch den Wortlaut des Gesetzes nicht präzise bestimmt wird. In der Begründung (S. 121) ist von einem stetigen Übergang „auf der Grundlage eines sich dem Krisengrad anpassenden Pflichten- und Haftungsregimes“ die Rede. Da niemand den Krisengrad messen kann, wird erst ein Gericht dem Geschäftsführer ‒ Jahre später ‒ verbindlich mitteilen, was er in der konkreten Situation jeweils hätte tun oder unterlassen sollen.
5. Hinweispflichten der steuerlichen Berater
Von besonderer Brisanz wird in diesem Zusammenhang eine Norm, die als § 108 StaRUG unter dem Titel „Hinweis- und Warnpflichten“ vorgesehen ist und wie folgt lauten soll: „Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 der Insolvenzordnung und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.“
Diese Vorschrift knüpft erkennbar an das BGH-Urteil vom 26.1.17 (IX ZR 285/14, GmbHR 2017, 348 m. Anm. Römermann) an, wo Steuerberater für fehlerhafte Bilanzansätze in die persönliche Haftung genommen wurden. Allerdings bleibt das Gesetz in Zukunft nicht bei der Pflicht stehen, zutreffend zu bilanzieren. Vielmehr wird der steuerliche Berater zum allgemeinen Hinweisgeber in Rechtsangelegenheiten, sofern ihm auffällt, dass ein Insolvenzgrund „möglich“ ist ‒ und zwar auch derjenige der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit. In der Vergangenheit hätte man derart weitgehende Obliegenheiten vermutlich unter Hinweis auf die Grenzen des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) eher zurückhaltend betrachtet. Zukünftig werden die Pflichten sowohl hinsichtlich der Belehrung der Geschäftsleitung umfassend ausgestaltet als auch sogar bezüglich der Überwachungsorgane.
FAZIT | Der Referentenentwurf wurde am 19.9.20 veröffentlicht und löste sofort ein vehementes Echo der Sanierungsbranche aus. Der rasch nachfolgende Regierungsentwurf zeigt, dass die Bundesregierung fest entschlossen ist, dieses Gesetz weitgehend unbeirrt von den zahlreichen Stellungnahmen, die nun eintreffen, durch das Parlament zu bringen. Das lässt es wahrscheinlich werden, dass die Neuregelung tatsächlich bereits am 1.1.21 in Kraft treten kann. Höchste Zeit also für steuerliche Berater, sich mit den Änderungen vertraut zu machen und die darin enthaltenen Gefahren zu erkennen, aber auch die Chancen zu nutzen. |