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· Fachbeitrag · Präventionskurse

Bewegungskonzepte zur Gesunderhaltung in sechs Schritten selbst entwickeln

von Christian Kunert, Sportwissenschaftler, Geschäftsführer Kunert Bildung & Beratung in Gesundheit & Sport, christiankunert.de

| In der Datenbank der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP) gibt es zzt. fast 900 zertifizierte Angebote. Über 70 Prozent davon gehören zum Handlungsfeld Bewegung. Laut Präventionsbericht der Krankenkassen werden Bewegungskonzepte zur Gesunderhaltung immer beliebter. Kursveranstalter müssen viele dieser Angebote als Lizenzprodukt kaufen oder sich vom Anbieter in das entsprechende Konzept einweisen lassen. Wer den damit verbundenen finanziellen Aufwand umgehen will, kann sein eigenes Konzept entwickeln. Dieser Beitrag gibt Ihnen einen Rahmen bzw. Formulierungshilfen, nach denen Sie in sechs Schritten vorgehen können. |

1. Was? ‒ Der Inhalt

Suchen Sie sich im ersten Schritt ein Schwerpunktthema. In der Gesundheitsförderung durch Bewegung sind das z. B. Rückentraining, Herz-Kreislauf-Training, Functional Training oder Aquagymnastik. Überlegen Sie, welches Anforderungsprofil sich aus dem Schwerpunktthema ableiten lässt.

 

  • Anforderungsprofil in Bewegungskonzepten
Konditionelle Fähigkeiten
Koordinative Fähigkeiten
  • Schnelligkeit
  • Kraft
  • Ausdauer
  • Beweglichkeit
  • Bewegungskoordination
  • Gleichgewicht
  • Kreuzkoordination
 

Hinzu gesellt sich das Belastungsprofil, welches sich aus der subjektiv empfundenen Wahrnehmung des Einzelnen, auf eine objektive Bewertung der Belastung übertragen lässt.

 

  • Belastungsprofil und Leistungsniveau
Objektive Belastung (%)
Subjektive Belastung
Leistungsniveau
Charakteristik und Besonderheiten

75‒100

intensiv

bis maximal

Profis

Wettkampf und Leistungssport: Zu hohe Belastungen können zu gesundheitlichen Beschwerden oder Verletzungen führen.

50‒75

moderat bis intensiv

Fortgeschrittene

Fitness und Prävention: Moderate bis intensive Belastungen ermöglichen gesundheitlich positive Adaptionen des menschlichen Körpers.

25‒50

leicht bis moderat

Einsteiger

Regeneration und Rehabilitation: Leichte bis moderate Belastungen tragen zur physischen und psychischen Regeneration bei und fördern den Heilungsprozess.

0‒25

ohne bis leicht

Bewegungsmangel

 

2. Wer? ‒ Die Zielgruppe

Übertragen Sie im zweiten Schritt Ihr Schwerpunktthema auf eine bestimmte Zielgruppe. Neben Daten wie Alter und Geschlecht geht es hauptsächlich um

 

  • Gruppengröße: Grundsätzlich kann die Gruppengröße von einem individuellen Einzeltraining bis hin zu einem Gruppentraining variieren. Das Zertifizierungsverfahren gemäß § 20 Sozialgesetzbuch (SGB) V sieht allerdings eine Gruppengröße von mindestens 6 bis maximal 15 Personen vor.

 

  • Leistungsniveau: Orientieren Sie sich bei der Einstufung nach Einsteigern, Fortgeschrittenen oder Profis am o. g. Belastungsprofil und wählen Sie eine moderate bis intensive Belastung.

 

  • Gesundheitsniveau: Der Ansatz gesundheitsorientierter Bewegungskonzepte richtet sich danach, ob Gesundheit wiederhergestellt (Therapie), Gesundheitsrisiken vorgebeugt (Prävention) oder Gesundheit optimiert werden soll (Fitness). Aus den Schnittstellen dieser drei Ansätze ergeben sich drei weitere Ansätze: Rehasport, Präventionskurse nach § 20 SGB V und Krankengymnastik am Gerät. Das Thema Bewegung wirkt als gesamte Schnittmenge über alle Bereiche hinweg (siehe Grafik).

 

  • Setting: Um eine Anerkennung durch die ZPP zu ermöglichen, verorten Sie die Zielgruppe in einem der folgenden Settings:
    • Individuelle Gruppen = § 20 SGB V
    • Lebenswelten (z. B. Schule, Kitas) = § 20a SGB V
    • Betrieb = § 20b SGB V
    • Pflegeheim = § 5 SGB XI

3. Warum? ‒ Die Ziele

Formulieren Sie als nächstes die Ziele Ihres Bewegungskonzepts. Diese sollten sich vorrangig an den sechs Kernzielen im Gesundheitssport orientieren:

 

  • 1. Stärkung physischer Gesundheitsressourcen: Durch gezielte Spiel- und Übungsformen werden in erster Linie die o. g. gesundheitsrelevanten konditionellen und koordinativen Fähigkeiten entwickelt. In Kombination mit praktischen Elementen der Körperwahrnehmung und Entspannung entfaltet sich dabei die Gesundheitswirkung auf den gesamten Körper.
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  • 2. Reduzierung von Risikofaktoren für das Auftreten von Erkrankungen: Gleichzeitig mit der Stärkung der physischen Gesundheitsressourcen senken die Teilnehmer das Risiko orthopädischer, internistischer oder stressinduzierter Erkrankungen. Insbesondere Bewegungsmangel als Risikofaktor wird völlig ausgeschlossen.
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  • 3. Stärkung psychosozialer Gesundheitsressourcen: Psychosoziale Ressourcen (Stimmung, Körperkonzept, Wissen, Kompetenzerwartung und soziale Einbindung) helfen den Menschen bei der Bewältigung gesundheitlicher Belastungen. Sie versetzen sie in die Lage, ihre physische und psychische Leistungsfähigkeit und damit ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit aktiv, bewusst und eigeninitiativ zu beeinflussen und im Idealfall zu verbessern. Oft ist damit auch eine Steigerung von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen verbunden.
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  • MERKE | In klassischen Bewegungskonzepten wurden gerade die psychosozialen Ressourcen vernachlässigt. Moderne und gut strukturierte Bewegungsprogramme greifen diesen Aspekt mittlerweile zunehmend auf und grenzen sich somit von klassischen und wenig effektiven Modellen ab.

     
  • 4. Bewältigung von Beschwerden und gesundheitlichen Einschränkungen: Dieses Ziel wird erreicht, wenn über die Ziele 1. bis 3. sog. Wirkweisen aufgebaut werden, die den Teilnehmer zur Bewältigung gesundheitlicher Beschwerden befähigen.
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  • 5. Nachhaltige Bindung an (gesundheits-)sportliche Aktivität: Bewegungsprogramme sorgen für eine Verhaltensänderung der Kursteilnehmer, die in eine nachhaltige Bindung an sportliche Aktivitäten mündet.
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  • 6. Verbesserung struktureller Verhältnisse des Gesundheitssports: Gesundheitssport wirkt sich nicht nur auf die Teilnehmer aus, sondern verbessert auch Rahmenbedingungen des Gesundheitssports (z. B. erhöhtes Angebot, flexiblere Trainingszeiten, Lerneffekte für Kursanbieter).

4. Wann? ‒ Die Zeitplanung

Legen Sie im vierten Schritt die zeitlichen Rahmenbedingungen und vor allem die Dauer Ihres Programms fest. Der Leitfaden Prävention sieht einen zeitlichen Umfang von mind. 8 x 45 Minuten bis max. 12 x 90 Minuten als Makrozyklus in einem wöchentlichen Rhythmus vor. Die einzelne Trainings- bzw. Kurseinheit (Mikrozyklus) sollte dabei ganzheitlich strukturiert sein und einem immer gleichen Ablauf folgen:

 

  • 1. Einleitung
  • 2. Aufwärmen
  • 3. Spezifisches Training der konditionellen und koordinativen Fähigkeiten
  • 4. Cool-down
  • 5. Ausklang
  • 6. Wissenstransfer

5. Wie? ‒ Die Methodik

Im Gesundheitssport ist es erfolgsrelevant, die einzelnen Kursteilnehmer dort abzuholen, wo sie stehen und sie dabei auf dem Weg zu einem langfristigen und nachhaltigen Sporttreiben ein Stück zu begleiten. Dafür müssen in den jeweiligen Kurssequenzen methodische Aspekte und Vermittlungsansätze berücksichtigt werden. Grundsätzlich sind zwei Vermittlungsansätze zu unterscheiden: die induktive und die deduktive Vermittlungsmethode.

 

  • Vermittlungsmethoden im Vergleich
Deduktive Vermittlung
Induktive Vermittlung

Methode

Vormachen, Instruktion

Ausprobieren

Ziel

Ergebnisorientiert

Prozessorientiert

Inhalt

Vorgabe von Fertigkeiten

Entwicklung und Erweiterung von Fähigkeiten und Fertigkeiten

Lernweg

Eingleisig, rationell

Mehrgleisig, kreativ

Kursleiterverhalten

Normgebend und kursleiterzentriert

Beobachtend und teilnehmerorientiert

Teilnehmerverhalten

Rezeptives Umsetzen der Vorgaben

Selbstständiges und kreatives Ausprobieren im Rahmen der Bewegungsaufgabe

 

6. Wo? ‒ Der Übungsort

Die Auswahl des Übungsorts ergibt sich meist aus Inhalt und Zeitplanung des Bewegungsprogramms. Grundsätzlich bieten sich zunächst die Varianten indoor bzw. outdoor an. Gerade im Bereich indoor kann dann noch weiter differenziert werden (z. B. Gruppenraum, Fitnessstudio oder Hallenbad).

 

FAZIT | Die Konzeptentwicklung im Bewegungsbereich ist eine umfassende Herausforderung. Sie betrachtet die Aufgabenstellung aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Doch wenn man sich seiner Idee mit ausreichend Zeit und fachlichem Know-how widmet, steht am Ende ein eigenes Bewegungsprogramm.

 

Weiterführender Hinweis

  • Wie Sie inhaltliche Fehler im Konzept vermeiden und wie Sie Ihr Konzept bei der ZPP einreichen, lesen Sie im PP-Beitrag „ZPP-zertifizierte Präventionskurse: Benötigte Qualifikationen und Konzeptgestaltung“ (PP 04/2018, Seite 11)
Quelle: Seite 10 | ID 46187386