· Fachbeitrag · Pflichtteilsrecht
Trotz Einbruch, Betrug und Betäubungsmitteln kein wirksamer Pflichtteilsentzug
von RA und Notar, StB, FA ErbR Dipl.-Kfm. Gerhard Slabon, Paderborn
| Das LG Bonn hatte sich im Rahmen einer Auskunftsklage mit den Voraussetzungen einer Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB wegen schwerer Straftat zu beschäftigen. Und obwohl dem Kläger doch so einige „Jugendsünden“ vorzuwerfen waren, sah das Gericht den im Erbvertrag geregelten Pflichtteilsentzug als unwirksam an. |
Sachverhalt
Die Eheleute setzten sich mit notariellem Ehe- und Erbvertrag gegenseitig zu Alleinerben ein. Mit einem notariellen Nachtrag in 1996 zum Erbvertrag bestimmten sie drei ihrer vier Adoptivkinder zu Erben und entzogen dem vierten (dem Kläger) den Pflichtteil. Wörtlich heißt es:
„Die Eheleute C entziehen W auch den Pflichtteil gemäß § 2333 Abs. 5 BGB. [...] Die Entziehung erfolgt, weil W seit circa zwei Jahren fortgesetzt in kriminelle Handlungen verwickelt ist, z. B. Einbrüche, Scheckbetrug, Beziehung zum Drogenhandel. Uns ist bekannt, dass die Entziehung des Pflichtteils unwirksam ist, wenn er sich zur Zeit des Erbfalls von dem ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel dauerhaft abgewendet hat.“
Nach dem Tod beider Elternteile machte der W zur Vorbereitung seiner Pflichtteilsansprüche zunächst Auskunftsansprüche gegen seine Geschwister geltend. Fraglich war, ob der im Erbvertrag angeordnete Pflichtteilsentzug wirksam angeordnet war. Die Verfehlungen im Einzelnen:
- W wurde 1996 vom Jugendschöffengericht wegen fünf sachlich zusammentreffender Fälle des jeweils gemeinschaftlich begangenen Computerbetruges, sachlich zusammentreffend mit gemeinschaftlich begangenem Diebstahl und unter Einbeziehung einer Verurteilung aus 1994 zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.
- 1997 wurde W vom Jugendschöffengericht wegen diverser Betäubungsmittelverstöße sachlich zusammentreffend mit einem Diebstahl unter Einbeziehung der vorgenannten Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
- Seitdem ist W wiederholt verurteilt worden und inhaftiert gewesen. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung befand er sich ebenfalls in Haft.
Gleichwohl gelangt hier das Landgericht Bonn zu dem Ergebnis, dass ein Grund zur Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB nicht gegeben ist und dem W der geltend gemachte Auskunftsanspruch zusteht (LG Bonn 18.12.19, 2 O 66/19, Abruf-Nr. 214840). Der von den Erblassern geregelte Pflichtteilsentzug ist unwirksam.
Entscheidungsgründe
Der ausdrücklich von den Erblassern benannte Entziehungsgrund des „ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels“ gemäß § 2333 Nr. 5 BGB a. F. ist zum 1.1.10 abgeschafft worden. Gemäß Art. 229 § 23 Abs. 4 S. 2 EGBGB gelten die neuen Vorschriften für Erbfälle nach dem 1.1.10 ohne Rücksicht darauf, ob sie an Ereignisse vor Inkrafttreten der Erbrechtsnovellierung anknüpfen.
MERKE | Die Pflichtteilsentziehung lässt sich hier nach Auffassung des Gerichts auch nicht mit § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB n. F. begründen. Erforderlich wäre, dass der Betroffene wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gemäß § 2336 Abs. 2 S. 2 BGB muss die Tat zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung begangen sein und der Grund für die Unzumutbarkeit bereits vorliegen; beides muss in der Verfügung angegeben werden. |
Hier fehlt es bereits an den objektiven Voraussetzungen des Entziehungstatbestands. Denn der W hatte zum Zeitpunkt der Errichtung der erbvertraglichen Regelung keine vorsätzliche Straftat begangen, wegen derer er zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden war. Der Verurteilung des W im Jahr 1996 lagen mehrere Sachverhalte zugrunde, aufgrund derer er zu einer Einheitsjugendstrafe verurteilt wurde. Bei der Verurteilung zu einer Gesamtstrafe ist auf die jeweilige Einzelstrafe bzw. bei Tateinheit auf die Einsatzstrafe abzustellen. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht möglich, da im Urteil keine Einzelstrafen angegeben waren ‒ was im Jugendstrafrecht auch nicht üblich ist.
Relevanz für die Praxis
Zudem hatten die Erblasser dem Kläger nach Pflichtteilsentzug bereits verziehen, wodurch der Entzug jedenfalls unwirksam ist (§ 2337 S. 2 BGB). Verzeihung ist der nach außen kundgemachte Entschluss des Erblassers, aus den erfahrenen Kränkungen nichts mehr herleiten und über sie hinweggehen zu wollen. Dazu genügt es, wenn in dem Verhältnis des Erblassers zu dem Abkömmling ein Wandel zur Normalität im Sinne eines Wiederauflebens der familiären Beziehungen stattgefunden hat ‒ was im Streitfall zu bejahen war:
Im Mai 2014 lernte der W eine Frau kennen. Gemeinsam mit ihr und ihren drei Kindern verbrachte er in 2014 regelmäßig Wochenendausgänge bei den Eltern. Die Mutter verbürgte sich auch für eine nach Haftentlassung im Dezember 2014 von W und seiner Partnerin in Aussicht genommene Mietwohnung ‒ wenn auch ohne Erfolg. Stattdessen bezogen sie zeitweilig die Dachgeschosswohnung im Haus der Erblasser, bevor sie eine eigene Wohnung fanden.
Beachten Sie | Soweit danach eine Verzeihung eingetreten ist, kann ein etwaiger erneuter Vertrauensbruch des Pflichtteilsberechtigten zwar unter Umständen eine erneute Pflichtteilsentziehung rechtfertigen, eine wegen Verzeihung unwirksame Pflichtteilsentziehung aber nicht wieder aufleben lassen.