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· Fachbeitrag · Mit Wissen(schaft) führen

Kontrollierst Du noch oder delegierst Du schon?

von Diplom-Psychologin Katayun Pracher-Hilander, Wien,www.psychologieinwirtschaft.at

| Das Thema Delegation (und damit eigentlich das Thema Führung) ist und bleibt ein Problemthema ‒ in Deutschland wie in Österreich. Die Arbeits- und Organisationspsychologie hat längst bewiesen, wie wichtig „gute Führung“ für den Erfolg eines Unternehmens ist und wie eng damit verwoben die Themen Delegation, Motivation, Arbeitszufriedenheit und Commitment sind ‒ um nur einige zu nennen. Doch warum bekommen deutsche und österreichische Führungskräfte bei diesem Thema Magenschmerzen, während es für schwedische Führungskräfte positiv besetzt ist? Dieser Beitrag will Ihnen dabei helfen, Ihren „inneren Schweden“ zu wecken. |

Führung ‒ eine kurze Erinnerung

Die Kunst der Führung liegt darin, Mitarbeiter (an)zuleiten und nicht darin, dem Kontrollwahn zu verfallen. Kontrolle ist allerdings exakt jener „Führungsstil“, der den Alltag hinter sehr vielen Bürohausfassaden prägt. Nach wie vor wird unter Führung „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ verstanden. Dahinter steht nicht selten die Angst vor Machtverlust, die Delegation im Keim erstickt. Delegation ist gerade die Übertragung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung und die damit verbundene Abgabe von Macht an Mitarbeiter. So mancher Führungskraft tut das weh.

 

Das Merkmal effektiver beziehungsweise guter Führung ist jedoch genau das Gegenteil von Machterhalt, nämlich Verantwortung und Entscheidungsbefugnis an Mitarbeiter abzugeben, um sich selbst der übergeordneten Regie widmen zu können.

 

In Summe: Führung bedeutet, „das was Menschen (zusammen) tun, mit Sinn zu füllen, damit diese auch ‚verstehen‘ und sich so mit der Aufgabe verbunden fühlen können“ (Draht und Palus, 1994, S. 4).

 

Bitte nutzen Sie diesen Moment, bevor Sie diesen Beitrag weiterlesen, um sich selbst zwischen den Polen Delegation und Kontrolle zu verorten.

 

  • Kriterien für die Wahl des Führungsstils
Vorgesetzte
Mitarbeiter
Situation
  • Wertesystem
  • Vertrauen in die Mitarbeiter
  • Führungsqualitäten
  • Subjektive Sicherheit in einer gegebenen Situation
  • Erfahrung in der Entscheidungsfindung
  • Fachliche Kompetenz
  • Engagement für das Problem
  • Ansprüche hinsichtlich beruflicher und persönlicher Entwicklung
  • Art der Organisation
  • Eigenschaften der Gruppe
  • Art des Problems
  • Zeitlicher Abstand zur Handlung
 

Führungstheorien als Basis für erfolgreiche Delegation

Der eigenschaftsorientierte Ansatz geht davon aus, dass (angeborene) Eigenschaften von Führungspersonen wesentlich für den Führungserfolg sind. Dieser Ansatz ist zwar längst überholt, aber immer noch sehen sich viele in dieser „Ur-Theorie“ vom geborenen Anführer bestätigt. Na ja, bekanntlich ist ja der Anteil an Narzissten unter Führungskräften nicht gerade gering. Um Arbeit erfolgreich an Mitarbeiter delegieren zu können, ist es notwendig, sich vom eigenschaftsorientierten Ansatz zu lösen und sich realistischen Führungstheorien zuzuwenden. So werden Sie eventuelle kleinere oder größere „Hoppalas“, wie sie bei der Neuausrichtung Ihres Führungsverhaltens passieren werden, nicht letztlich als willkommenen Freibrief missbrauchen, „den Schweden wieder heimzuschicken“.

 

Verhaltenstheorien der Führung gehen von bestimmten Verhaltensstilen aus. Führungskräfte verhalten sich eher aufgaben- oder eher mitarbeiterorientiert. Aufgabenorientierte Personen konzentrieren sich auf die Definition und Strukturierung von Aufgaben. Mitarbeiterorientierung ist hingegen von gegenseitigem Vertrauen, Respekt und einer guten Beziehung zu den Mitarbeitern gekennzeichnet. In der Praxis bildet die Verhaltenstheorie vor allem in der Führungskräfteentwicklung (Vorher-/Nachher-Vergleich) eine gute Basis.

 

Im tatsächlichen Job ist es sinnvoll, sich an den Kontingenztheorien zu orientieren, da diese einen entscheidenden Faktor, nämlich die Führungssituation berücksichtigen und so die in der Realität notwendige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Führungsverhaltens ermöglichen (und voraussetzen).

Delegieren auf Basis der Kontingenztheorien

Kontingenztheorien gehen davon aus, dass die Effektivität eines Führungsstils vom Vorhandensein bestimmter Situationsmerkmale abhängt. Merkmale können sein:

  • „Reifegrad“ des Mitarbeiters,
  • dessen Entscheidungsspielraum auf Basis des Führungsstils (autoritär vs. kooperativ) oder
  • stabile Persönlichkeitsmerkmale der Führungskraft.

 

Delegieren abhängig vom Reifegrad des Mitarbeiters

Hiernach sind Sie aufgefordert, Ihr Führungsverhalten an den Mitarbeiter und dessen „Reifegradl“ anzupassen und entsprechend aufgaben- oder mitarbeiterorientiert zu führen. Der Reifegrad des Mitarbeiters resultiert aus

  • dessen aufgabenrelevanten Fertigkeiten,
  • dem fachspezifischen Wissen,
  • vorhandener Leistungsmotivation und
  • der Selbstsicherheit.

 

Für die Führungskraft, sprich für Sie, bedeutet dies „Hausaufgaben machen“, um jeden Mitarbeiter richtig bezüglich dessen Fähigkeit und „Wille“/Motivation einschätzen zu lernen. Die aus der Einschätzung resultierende Passung ergibt jenen Grundstil, mit dem es Ihnen möglich sein sollte, Mitarbeiter individuell zu führen und entsprechend zu entwickeln.

 

  • Mitarbeiter-Reifegrade in Beispielen
Reifegrad
Alltagsbeispiel

R1

  • Nicht fähig/nicht willig
  • Der Mitarbeiter ist nicht fähig und es fehlt ihm an Verpflichtung und Motivation.

Das kann der Azubi sein, der nach kurzer Ausbildungszeit feststellt, dass Steuerberatung doch nichts für ihn ist, oder der Mitarbeiter, der nach Phasen frustrierender Überforderung bereits innerlich aufgegeben hat. Sie versuchen, um die Aufgabe irgendwie herumzukommen.

  • Nicht fähig/unsicher
  • Der Mitarbeiter ist nicht fähig und es fehlt ihm an Vertrauen.

Der Mitarbeiter wird mit einer Aufgabe betraut, die die Fähigkeiten übersteigt. Er kommuniziert seine Bedenken aber nicht, sondern hofft, dass der Auftraggeber die Aufgabe vergisst und lässt sie liegen oder er macht sich angsterfüllt daran, die Nuss doch irgendwie zu knacken.

R2

  • Nicht fähig/willig
  • Der Mitarbeiter hat nicht die Fähigkeit, aber ist motiviert und versucht es.

Dem Mitarbeiter fehlt zwar die Befähigung, er gibt aber „sein Bestes“. Er kommt auch zu einer Lösung, aber das Ergebnis lässt z. B. erkennen, das Wesentliches nicht erkannt wurde.

  • Nicht fähig/vertrauensvoll
  • Der Mitarbeiter hat nicht die Fähigkeit, aber ist vertrauensvoll, solange die Führungskraft ihm Anleitung gibt.

Es ist Auftraggeber und Mitarbeiter klar, dass die Aufgabe zu hohe Anforderungen stellt, um sie allein zu bewältigen. Daher strukturiert die Führungskraft z. B. die Erledigung in Teilaufgaben vor und begleitet den Mitarbeiter.

R3

  • Fähig/nicht willig
  • Mitarbeiter hat die Fähigkeit, eine Aufgabe zu erledigen, aber er ist nicht willig, diese Fähigkeit einzusetzen.

Die Aufgabe ist für den Mitarbeiter lösbar. Seine Motivation ist das Problem. Die Gründe für das Motivationsproblem, die in der Kanzlei, in der Sache oder im Mitarbeiter zu suchen sein können, werden nicht offengelegt. Der Mitarbeiter versucht, eine Beauftragung zu vermeiden.

  • Fähig/unsicher
  • Mitarbeiter hat die Fähigkeit, aber ist unsicher und ängstlich, die Aufgabe allein zu erledigen.

Dieser Mitarbeiter unterschätzt vielleicht seine tatsächliche Kompetenz und traut sich daher Dinge nicht zu, die eigentlich von ihm zu erwarten wären. Die Gründe dafür können wieder in der Kanzlei, in der Sache oder im Mitarbeiter zu suchen sein. „Aussitzen“ oder Erledigung mit tiefem Unbehagen können die Folge sein.

R4

  • Fähig/willig
  • Mitarbeiter hat die Fähigkeit zu einer Aufgabe und macht sie gerne.

Hier passen Befähigung und Motivation zusammen. Der Mitarbeiter ist bestrebt, die Aufgabe termingerecht und inhaltlich ordentlich zu erledigen.

  • Fähig/vertrauensvoll
  • Der Mitarbeiter hat die Fähigkeit zu einer bestimmten Aufgabe und ist vertrauensvoll, sie alleine zu erledigen.

Wie zuvor, zusätzlich ist es für den Mitarbeiter aber wichtig, die Aufgabe selbstständig gelöst zu haben.

 

Je nach Situation ist ein passender Führungsstil zu wählen, der aufgaben- oder mitarbeiterorientiert sein kann. Dies verlangt nach einer adäquaten Anpassung des Führungsverhaltens an den Reifegrad, sprich an die Entwicklung, des Mitarbeiters:

 

  • Machen Sie sich also Gedanken über Ihre Mitarbeiter. Nutzen Sie dazu Gespräche mit den Mitarbeitern und eigene Verhaltensbeobachtungen. Schätzen Sie Kompetenz und Motivation mit Blick auf die Aufgaben ein.

 

  • Bedenken Sie dabei aber immer auch mögliche Umfeldfaktoren, die für das Verhalten höchst relevant sind. Hüten Sie sich davor, vorschnell vom Verhalten des Mitarbeiters auf dessen „Persönlichkeit“ zu schließen. Wenn ein Mitarbeiter in Ihrer Wahrnehmung einen Auftrag aussitzt, dann muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass er unsicher ist. Es kann auch heißen, dass er zu viel zu tun hat, was Sie vielleicht gar nicht mitbekommen haben ‒ will heißen, es gibt andere ‒ situative ‒ Erklärungen für das Verhalten.

 

  • Legen Sie das Führungsverhalten fest. Sie können sich am Grundsatz orientieren: Wenn es um die Fähigkeitskomponente geht, ist aufgabenorientierte Führung angezeigt, wenn es um die Motivationskomponente geht, eher mitarbeiterorientierte.

 

Delegieren abhängig vom Führungsstil

Ja nachdem, in welcher Relation der Entscheidungsspielraum zwischen Ihnen und den Mitarbeitern ist, variiert Ihr Führungsstil auf einem Kontinuum zwischen autoritär und kooperativ. Es ist wohl selbstredend, dass „Regieführen“, also der „Crème de la Crème-Beweis“ für Führungskompetenz mit einem entsprechenden Entscheidungsspielraum für Mitarbeiter verbunden ist. Hier bedeutet Führung delegieren und nicht kontrollieren.

 

 

Delegieren ‒ abhängig von Persönlichkeitsmerkmalen der Führungskraft

Viele haben ein festgefahrenes Führungsverhalten, das sich nur schwer verändern lässt. Das mag mit ein Grund sein, weshalb bei einschlägigen Trainings oder Seminaren kaum von Erfolg im Sinne einer messbaren positiven Veränderung gesprochen werden kann. In der Fachwelt werden diese kosmetischen „Veranstaltungen“ daher auch als „Schnittblumen-Seminare“ bezeichnet (kaum in der Vase, schon am Verwelken).

 

Vielleicht sind Sie aber auch nur deshalb so beratungsresistent (sorry, statistisch gesehen sind Sie bestimmt nicht die große Ausnahme), weil bestimmte stabile Persönlichkeitsmerkmale Sie, je nach Situation, zu einer mehr oder weniger erfolgreichen Führungskraft machen ‒ sprich „deutsch“ vs. „schwedisch“ Führen.

 

Kann es sein, dass Sie bestimmten Personen mehr und anderen weniger zutrauen, weil Sie diese negativ oder falsch einschätzen? Wenn Sie ermitteln wollen, wie Sie einen Mitarbeiter, mit dem Sie am wenigsten gut zusammenarbeiten können, beschreiben würden, machen Sie den LPC Test (least preferred coworker). Bei einem hohen LPC-Maß sind Sie an einer guten Beziehung mit dem Mitarbeiter interessiert, bei einem niedrigen LPC-Wert hingegen rein sachlich orientiert. Sie können sich vorstellen, dass diese (subjektive) Bewertung einen großen Einfluss auf Ihr Führungsverhalten hat. Wie auch immer der Test ausfällt, die implizite Annahme hinter dem LPC-Wert lautet: „Was du über andere sagst, sagt mehr über dich selbst als über andere aus!“ (Der LPC Test könnte also wehtun.)

 

  • Selbsttest: Least preferred coworker

Bewerten Sie jeden Mitarbeiter auf dieser bipolaren Skala. Die Summe aller Bewertungen ergibt den LPC-Wert des Mitarbeiters. Bei einem hohen LPC-Maß sind Sie an einer guten Beziehung mit dem Mitarbeiter interessiert, bei einem niedrigen LPC-Wert hingegen rein sachlich orientiert.

angenehm

8

7

6

5

4

3

2

1

unangenehm

freundlich

8

7

6

5

4

3

2

1

unfreundlich

entgegenkommend

8

7

6

5

4

3

2

1

zurückweisend

entspannt

8

7

6

5

4

3

2

1

gespannt

persönlich

8

7

6

5

4

3

2

1

distanziert

warm

8

7

6

5

4

3

2

1

kalt

unterstützend

8

7

6

5

4

3

2

1

feindselig

interessant

8

7

6

5

4

3

2

1

langweilig

ausgleichend

8

7

6

5

4

3

2

1

streitsüchtig

heiter

8

7

6

5

4

3

2

1

verdrießlich

offen

8

7

6

5

4

3

2

1

verschlossen

loyal

8

7

6

5

4

3

2

1

verleumderisch

zuverlässig

8

7

6

5

4

3

2

1

unzuverlässig

rücksichtsvoll

8

7

6

5

4

3

2

1

rücksichtslos

nett

8

7

6

5

4

3

2

1

widerlich

akzeptabel

8

7

6

5

4

3

2

1

nicht akzeptabel

aufrichtig

8

7

6

5

4

3

2

1

unaufrichtig

gefällig

8

7

6

5

4

3

2

1

nicht gefällig

LPC-Wert = Summe

 

Statt eines Fazits: Schwedisch für Anfänger

Was machen schwedische Unternehmen und Führungskräfte so anders? Ganz einfach: In schwedischen Unternehmen herrscht generell eine Kultur des Vertrauens, des Respekts und der selbstverständlichen Gleichstellung ‒ abgesehen von flachen Hierarchien und einer durchwegs positiven Lebenseinstellung. Mit anderen Worten: Das Leben ist schön und Führung bedeutet delegieren! Hier sind vier Beispiele:

 

  • Schweden steht für Entschleunigung. Gemeinsam Kaffee & Kuchen zu genießen („Fika“) ist eine soziale Institution und den Schweden heilig. Was hierzulande vielleicht von Chefs als Nichtstun der Mitarbeiter verstanden wird, ist in Schweden Teil der Arbeit und Spiegelbild einer gesunden Kultur.

 

  • Wenn Sie in der Kaffeeküche neben einem Typen in Polo-Shirt stehen, der „Hallo, ich bin Tom“ sagt, dann könnte das der Vorstand sein, der sich eben mal schnell einen Kaffee zieht. Chefs stechen weder optisch noch im Verhalten heraus. In einem schwedischen Unternehmen lohnt es daher nicht, mithilfe deutscher Merkmale den Chef identifizieren zu wollen.

 

  • Meetings gehören zu schwedischen Unternehmen, wie Butter auf das Brot. Auf uns mögen diese Meetings wie Zeitverschwendung wirken, da ihr Ziel das Meeting selbst ist. In Schweden wird viel miteinander gesprochen, besprochen und vor allem sacken gelassen. Also bitte einfach nur zuhören und dabei Fika genießen. Es wäre definitiv der falsche Ort, in einem Meeting in einem schwedischen Unternehmen „jetzt aber mal langsam zu Potte kommen zu wollen“.

 

  • In schwedischen Unternehmen ist die Entscheidungsfindung ein mitunter langer aber stets flexibler Prozess der Entscheidungsfindung. Sackgassen werden gemieden, wenn diese als solche erkannt werden. Anders als bei uns, wo die Devise gilt: „Wir haben das so beschlossen, dann wird das Ding auch so durchgezogen, Punkt.“

 

Weiterführende Hinweise

  • Führung fängt beim richtigen Menschenbild an (Pracher-Hilander, KP 18, 216)
  • Führung als Tauschgeschäft oder Führung durch Vertrauen (Pracher-Hilander, KP 19, 20)
  • Tipps für das Zielvereinbarungsgespräch (Pracher-Hilander, KP 19, 67)
  • Motivierte und zufriedene Mitarbeiter sind möglich (Pracher-Hilander, KP 19, 95)
  • Change-Management ‒ Veränderungen beginnen im Kopf (Pracher-Hilander, KP 19, 119)
Quelle: Seite 58 | ID 46061250