· Fachbeitrag · Mietvertrag
Corona als Störung des Mietvertrags?
von RA Dr. Hans-Reinold Horst, Hannover/Solingen
| Die rasante Verbreitung des Coronavirus legt das öffentliche Leben zunehmend lahm. Sportanlagen, Bars, Clubs, Diskotheken, Tanzschulen und andere öffentliche Einrichtungen waren zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Ausgabe behördlich geschlossen und sollten es auch erst einmal bleiben. Weiterlaufende Personalkosten, die der Unternehmer solcher Einrichtungen als Träger des Betriebsrisikos tragen muss, können zwar über staatliche Entschädigung nach § 65 Infektionsschutzgesetz (IfSG) und das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ vom 27.3.20 abgefedert werden. Doch was ist mit den Raumkosten bei Mietverhältnissen im Fall behördlicher Nutzungsverbote? Ersten Lösungsansätzen hierzu widmet sich der folgende Beitrag. |
1. Weitere Mietzahlungspflicht?
a) Gewerberaummiete
Behördliche Nutzungsverbote zur weiteren Ausübung bisher betriebener Gewerbe in den Mieträumen führen m. E. zunächst zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Vertragsfortführung. Seit der Schuldrechtsreform 2002 bündelt § 275 BGB jede Art von Unmöglichkeit der Leistungserbringung, sei sie anfänglich oder nachträglich eingetreten, subjektiver oder objektiver Natur. Als Rechtsfolge wird der Schuldner der Leistung von seiner Primärleistungspflicht frei, also der Erfüllung des Vertrags. So wird der Vermieter von seiner Hauptleistungspflicht befreit, die Mieträume weiter zum vertraglich definierten Zweck gebrauchstauglich zur Verfügung zu stellen. Er verliert jedoch auch den Anspruch auf die Gegenleistung, denn der Mieter wird dann von seiner Mietzahlungspflicht aus § 535 Abs. 2 BGB als Gegenleistung entbunden, § 326 Abs. 1 S. 1 BGB (Kraemer/Ehlert in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl., Teil III. B Rn. 2803 am Ende, S. 1109).
Die Vorschrift einschließlich ihrer Rechtsfolge ist nicht durch AGB, sondern nur durch Individualvereinbarung abdingbar (einmütige Auffassung: Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 126 BGB Rn. 6). An einer Individualvereinbarung wird es immer deshalb fehlen, weil die Corona-Pandemie als neuartige Virusform bis dato unbekannt war und deshalb weder Anlass noch Bewusstseinslage für eine solche Individualvereinbarung entstanden sein können.
Schadenersatzfolgen als Sekundäransprüche folgen nur verschuldensgetragen aus § 311 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB. In den „Corona-Fällen“ knüpfen sie sich nicht an den Wegfall der Primärleistungspflichten an. Denn beide Vertragsparteien haben den Eintritt des Leistungshindernisses nicht zu vertreten (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Bei der pandemischen Verbreitung des Corona-Virus handelt es sich um einen Fall höherer Gewalt (Mayer, NJW-aktuell, Heft 12/2020, S. 16), der die behördlich verfügte Betriebsschließung aus Infektionsschutzgründen zwingend macht. Zwar wird vereinzelt angenommen, dass der Vermieter im Rahmen des Gewährleistungsrechts auch für höhere Gewalt einstehen muss, doch besteht Einigkeit darin, dass ihm eine Haftung nicht aufgebürdet werden kann, wenn sich eine auf außergewöhnlichen Umständen beruhende Gefahr verwirklicht (zutreffend Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl., § 536 BGB Rn. 342).
Dasselbe Ergebnis lässt sich über die Annahme einer gestörten Geschäftsgrundlage gewinnen (§ 313 BGB; zu den Voraussetzungen eines Anpassungsanspruchs schon BGH NJW 84, 1746). Zunächst ist die Annahme unproblematisch, dass man bei Abschluss der einzelnen Gewerbemietverträge nicht vom Auftreten der Corona-Pandemie ausgegangen ist, die sich jetzt maßgeblich auf die Vertragsbeziehung auswirkt. Aufgrund der versicherungsrechtlichen Lage lässt sich ebenfalls annehmen, dass den gewerblichen Mietern dadurch ein weiteres Festhalten am Vertrag unzumutbar geworden ist. Denn andernfalls müssten sie Miete zahlen, könnten aber ihr Gewerbe nicht betreiben und würden keine Umsätze und Einkünfte erzielen, aus denen sie die Mietforderungen begleichen könnten. Die neben den Raumkosten weiterlaufenden Kosten (Sach-, Personal- und persönliche Lebenshaltungskosten) belasten zusätzlich und treiben je nach Fragilität der Liquiditätsdecke in eine (weitere) Verschuldung. Insbesondere Start-up-Unternehmen, die in diesem Szenario nicht weiter betrieben werden können, werden dann von Geldinstituten auch keine Liquiditäts- oder sonstigen Überbrückungskredite mehr erhalten.
Selbst wenn man dieser Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts durch das Mietrecht als verdrängt ansieht: Als Plausibilitätsnachweis des gefundenen Ergebnisses mag zunächst ein Blick auf § 537 Abs. 1 S. 1 BGB dienen. Danach muss der Mieter die Miete nur weiter entrichten, wenn er an der Ausübung seines Gebrauchsrechts gehindert wird und dies auf einen in seiner Person liegenden Grund zurückzuführen ist. Es muss sich also um eine mieterbezogene Ursache handeln, die in seinen Risikobereich fällt. Nicht in seinen Risikobereich fallen höhere Gewalt oder eine Katastrophenentwicklung (Bieber, a. a. O.), so wie sie bei der Corona-Pandemie anzunehmen ist.
Bei diesen Überlegungen heranzuziehen ist ebenso die Rechtsprechung zur Risikoverteilung bei der Erlangung behördlich notwendiger Genehmigungen zum Betrieb des gewünschten Gewerbes in den Mieträumen. Weil dies grundsätzlich in den Risikobereich des Vermieters fällt (Bieber, a. a. O.), kann das Beschaffungsrisiko oder das Bestandsrisiko behördlicher Genehmigungen zur Ausübung des Vertragszwecks auch im Gewerberaummietrecht formularvertraglich nicht auf den Mieter überwälzt werden (BGH BeckRS 07, 19678; OLG Brandenburg NZM 19, 946; OLG Düsseldorf 5.9.17, 24 U 216/16, BGH NJW 88, 2664). Dies muss dann auch für den Entzug bisher erteilter behördlicher Genehmigungen durch behördliche Nutzungsverbote zur besonderen Gefahrenabwehr nach dem IfSG gelten. Denn wenn man ein solches Nutzungsverbot als Rechtsmangel, seinerseits basierend auf einer besonderen Infektionsgefahr als Umweltmangel, versteht, dann kann dieses Risiko nicht einseitig zulasten des Mieters gehen und jegliche Rechtsmittelgewährleistungshaftung aushöhlen.
MERKE | Auch formularvertraglich darf ein Umweltmangel nicht einseitig dem Mieter als Risiko angelastet werden (KG InfoM 08, 16). |
b) Wohnungsmietrecht
Für die Wohnungsmiete gilt: In dem Moment, in dem behördliche Nutzungsverbote für eine Wohnung ausgesprochen werden, gilt im Grunde genommen dasselbe wie im Fall des Gewerbemietrechts. Von einer solchen Situation ist aber zumindest jetzt nicht auszugehen. Denn auf diese Weise würden die Behörden Wohnungsnotstände schaffen, anders ausgedrückt: eine öffentliche Gefahr für die Sicherheit und Ordnung durch drohende Obdachlosigkeit. Deshalb ist anzunehmen, dass es zu öffentlich-rechtlichen Nutzungsverboten nicht kommen wird. Solange der Mieter also in der Wohnung lebt, muss er auch Miete zahlen (s. aber S. 85 in dieser Ausgabe).
2. „Corona“ als Mangel der Mietsache/Mietminderung?
Die Frage wird zunächst für Gewerberaummietverhältnisse relevant. Auch eine Mietminderung um bis zu 100 Prozent kommt in aller Regel in Betracht. Denn sie entspringt als gesetzliche Automatik der Garantiehaftung des Vermieters (§ 536 BGB) und greift verschuldensunabhängig, auch wenn der Mieter im Gewerberaummietrecht in aller Regel das Verwendungsrisiko für die Mietsache trägt (Betriebsrisiko; dazu BGH NJW 84, 1746; 13.7.11, XII ZR 189/09). Von einer Mietminderung „auf null“ ist bei erwiesenen infektiösen Zuständen auszugehen; dies erst recht dann, wenn daraus behördliche Nutzungsverbote folgen (zur öffentlich-rechtlichen Gebrauchsbeschränkung als Mietmangel: LG Potsdam WuM 15, 315; zur versagten behördlichen Erlaubnis zum Betrieb eines Wettbüros: OLG Düsseldorf 5.9.17, 24 U 216/16). Eine eingetretene Infektionssituation ist unzumutbar und eine weitere Nutzung der Mieträume völlig ausgeschlossen. Daraus folgt, dass die Räume dann ebenfalls als nicht mehr nutzbar angesehen werden müssen.
Formularvertragliche Minderungsausschlüsse und -beschränkungen, die sich auf unbeherrschbare Verwendungsrisiken durch Naturgewalten/höhere Gewalt/pandemische Zustände erstrecken sollten, müssen auch im Gewerberaummietrecht als unangemessen benachteiligend geächtet werden. Denn ein solcher formularvertraglicher Ausschluss wäre schon im Fall eines Rechtsmangels, begründet durch ein behördliches Nutzungsverbot, unwirksam (OLG Brandenburg NZM 19, 946).
Ob der Wohnungsmieter bei erwiesener Kontamination der Wohnung die Miete mindern kann, beantwortet sich nach denselben Kautelen. Die Gerichte werden dies klären müssen. Aber mit praktischer Vernunft betrachtet: Auch zu solchen Fällen wird es wohl nicht kommen, solange der Mieter in seiner Wohnung in Quarantäne sitzt oder im Krankenhaus liegt. Unterhalb dieser Fälle berechtigt die bloße Angst vor Corona nicht zur Mietminderung (zur Minderung bei bloßer Mangelgefahr: BGH 5.12.18, VIII ZR 271/17 ‒ verneint).
3. Kündigung
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass ein vertragsgemäßer Zustand der Mieträume ihre gesundheitlich unbedenkliche Nutzungsmöglichkeit voraussetzt (BVerfG 4.8.98, 1 BvR 1711/94; näher Lames, NZM 07, 465).
Für das Wohnraummietrecht gestattet § 569 Abs. 1 BGB ausdrücklich eine fristlose Kündigung des Mieters wegen erheblicher Gesundheitsgefährdung, die von den Mieträumen ausgeht. Über § 578 Abs. 2 BGB gilt die Vorschrift im Gewerberaummietrecht ebenso. Und genau hier wird diese Frage aus den skizzierten wirtschaftlichen Gründen beim Gewerberaummieter spannend.
M. E. kann der Mieter bei eingetretenen Infektionssituationen wegen vertragswidrigen Zustands der Mieträume deshalb in der Regel fristlos kündigen (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB); dies erst recht, wenn behördliche Nutzungsverbote ausgesprochen werden (Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl., § 543 BGB Rn. 19). Denn das Kündigungsrecht des Mieters besteht unabhängig von einem Verschulden des Vermieters (Blank, a. a. O., § 569 BGB Rn. 9). Deshalb greift es auch im Fall höherer Gewalt. Von höherer Gewalt ist bei „Corona-Fällen“ auszugehen.
Beachten Sie | Ohne Zweifel handelt es sich bei einer Kontamination der Mieträume um einen schädlichen Umwelteinfluss, der auf die Räume einwirkt und sie zur weiteren gesundheitlich unbedenklichen Nutzung ungeeignet macht, solange sie nicht ausreichend desinfiziert sind.
Bei all dem sind Fälle besonders zu betrachten, in denen der Mieter selbst eine behördlich angeordnete Quarantänesituation und möglicherweise eine dort vorherrschende Infektionslage herbeigeführt hat. Das dürfte jedoch im Regelfall nicht schuldhaft, zumindest nicht nachweisbar schuldhaft geschehen sein. Der Meinungsstreit darüber, ob der Mieter auch kündigen kann, wenn er selbst die Gesundheitsgefahr schuldhaft herbeigeführt hat, soll hier nicht vertieft werden (dagegen die h. M.: Blank, a. a. O., § 569 BGB Rn. 12; LG Mannheim ZMR 78, 341; AG Friedberg/Hessen WM 85, 262; dafür: Harsch, WM 89, 162; Herrlein/Kandelhard, Mietrecht, 4. Aufl., § 569 BGB, Rn. 3).
Zu diesem Ergebnis gelangt man auch, wenn man die fehlende weitere Benutzbarkeit der Mieträume zum vertragsgemäßen Zweck als weggefallene Geschäftsgrundlage betrachtet, an die sich dann eine entsprechende (fristlose) Kündigung nach § 313 Abs. 3 S. 2 BGB anschließt (dazu: KG ZMR 14, 876).
Beachten Sie | Allerdings werden Überlegungen zur fristlosen Kündigung des Mietvertrags nur bedeutsam, wenn der Mieter seine unternehmerischen Aktivitäten beenden und sein Gewerbe endgültig abmelden möchte oder wenn der Vermieter die Mieträume neu herrichten und neu vermieten möchte.
Bevor es also zu solchen Schritten kommt, sollten beide Vertragsparteien mit dem Bewusstsein ihrer hier skizzierten rechtlichen Positionen aufeinander zugehen, um die Krise gemeinsam zu bewältigen. Denn so wie dem Gewerbemieter am Behalten seiner etablierten Firmenadresse und an der weiteren Nutzung seiner dort eingebrachten Investitionen in die Betriebsräume gelegen ist, ist dem Vermieter an einer weiter auskömmlichen Vermietung seiner Räumlichkeiten gelegen. Ist eine Umsatzmiete vereinbart, reduziert sie sich innerhalb etwaiger vertraglich vereinbarter Ober- und Untergrenzen so-wieso.