· Fachbeitrag · Kostenrechnung
Die praktische Fallstudie „Rettet TT-Cars“ ‒ ein kostenrechnungsbasierter Turnaround
von Prof. Dr. Stephan Kudert, Frankfurt (Oder) & Kevin M. Kudert, Cottbus/Berlin
| Die folgende Fallstudie lehnt sich an ein Beratungsprojekt in der mittelständischen Praxis an. Sie wurde stark modifiziert und vereinfacht. Die kostenrechnungsbasierten Beratungstools für die Problemanalyse waren eine stufenweise Deckungsbeitragsrechnung sowie für die Problemlösung eine Funktionsanalyse (Target Costing). Die Ausführungen zeigen, wie diese In-strumente auch in Start-ups und KMUs erfolgreich eingesetzt werden können. |
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TT | Mittelständischer Unternehmer in Ostbrandenburg |
KK | BWL-Student mit dem Schwerpunkt Controlling |
MM | BWL-Studentin mit dem Schwerpunkt Marketing |
AA | BWL-Studentin mit dem Schwerpunkt Human Ressource Management |
1. Rettet TT-Cars/Problemanalyse
TT ist seit 2000 Gesellschafter und Geschäftsführer einer kleinen GmbH mit drei Mitarbeitern in Frankfurt (Oder), die sich auf die „Veredelung“ von PKW spezialisiert hat. Die GmbH kauft günstig ausgesonderte Jahreswagen einer bekannten deutschen Pkw-Marke von Autovermietern, überarbeitet diese an Fahrwerk, Karosserie, Motor und Innenausstattung und verkauft sie als TT-Cars. Das Unternehmen produziert vier Modelle:
- Model Referent: Dies ist das schlichte Basismodell. Hierfür werden am Jahreswagen lediglich geringe Veränderungen vorgenommen und das Firmenlogo TT angebracht.
- Model Minister und Botschafter: Beide Modelle bestechen insbesondere durch getunte Motoren und aufwendige Arbeiten an der Innenausstattung. Im Grunde unterscheiden sie sich voneinander lediglich im Innendekor. Während im Minister eher ein italienischer Stil vorherrscht, ist der Botschafter im britischen Landhausstil gehalten.
- Model Azubi: Dies ist das Einsteigermodell für die Jugend. Schwerpunkte der Arbeiten sind die Stereoanlage, das tiefer gelegte Fahrwerk, eine auffällige Optik der Karosserie sowie ein aufwendig gestaltetes Interieur.
Das Unternehmen hat sich bereits am Markt etabliert. Insbesondere hat TT festgestellt, dass die meisten seiner Käufer Stammkunden werden. Daher legt er auch besonderen Wert auf seinen Azubi, denn „Einmal TT ‒ Immer TT!“.
Im Herbst 2018 stellt TT dennoch fest, dass er ab 2019 für die Modelle Azubi und Referent die Preise senken muss, da sich diese nicht mehr am Markt durchsetzen lassen. Sein Steuerberater prophezeit ihm daraufhin deutliche Verluste, da angeblich der Referent und der Botschafter Verlustprodukte seien und dies für die anderen beiden Modelle nunmehr auch drohe. Da TTs Kostenrechnung nur sehr rudimentär ausgebaut ist und er an einer Ursachenanalyse scheitert, braucht TT Hilfe. Ein Freund gibt ihm den Tipp, dass sich an der ortsansässigen Universität ein studentisches Consultingteam gebildet hat und ihm sehr preisgünstig helfen könnte. TT vereinbart einen Termin.
1.1 Ausgangsdaten
Die summarische Zuschlagskalkulation, die TT-Cars bislang anwendet, ergibt für die geplante Preissenkung die in Abbildung 1 dargestellten Stückkosten. Da die geplanten Einzelkosten insgesamt 1.040.000 EUR pro Monat und die als Gemeinkosten behandelten weiteren Kosten 420.000 EUR pro Monat betragen, führt die summarische Zuschlagskalkulation zu einem Zuschlagssatz i. H. v. 40 % (Z = 420.000 / 1.040.000 = 0,4).
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Azubi | Referent | Botschafter | Minister | |
Einzelkosten ek | 10.000 | 9.000 | 18.000 | 20.000 |
Gemeinkosten gk = ek × Z | 4.000 | 3.600 | 7.200 | 8.000 |
Stückkosten ek + gk | 14.000 | 12.600 | 25.200 | 28.000 |
Geplanter Preis | 14.000 | 11.000 | 25.000 | 30.000 |
Stückgewinn | 0 | ‒ 400 | ‒ 200 | 2.000 |
Aus Abbildung 1 leitet TT ab, dass Referent und Botschafter die Problemmodelle seien. Allerdings beschleicht ihn aufgrund der sehr pauschalen Gemeinkostenschlüsselung im Rahmen der summarischen Zuschlagskalkulation ein ungutes Gefühl.
Erstellt man auf Basis der vorhandenen Daten die Plan-GuV (nach dem Umsatzkostenverfahren gemäß § 275 Abs. 3 HGB), würde sich ein Jahresfehlbetrag i. H. v. 240.000 EUR ergeben. Dies ist für das kleine Unternehmen existenzbedrohend.
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Umsatzerlöse | 17.280.000 EUR | |
‒ | Herstellungskosten der abgesetzten Wirtschaftsgüter | ‒ 17.400.000 EUR |
= | Bruttoergebnis vom Umsatz | ‒ 120.000 EUR |
‒ | Vertriebs- und allgemeine Verwaltungskosten | 120.000 EUR |
= | Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit | ‒ 240.000 EUR |
= | Jahresfehlbetrag | ‒ 240.000 EUR |
1.2 Problemanalyse per stufenweiser Plan-Deckungsbeitragsrechnung
Das Consultingteam besteht aus drei Studierenden. KK studiert BWL mit dem Schwerpunkt Controlling, MM ist BWL-Studentin, Schwerpunkt Marketing und AA studiert den Schwerpunkt HR. MM meint sofort, man müsse eine große Marketingstrategie beginnen, um die Preissenkung durch höhere Absatzmengen auszugleichen. TT weist sie jedoch darauf hin, dass das Unternehmen eigentlich an der Kapazitätsgrenze arbeitet und eine Ausweitung mit umfangreichen Ergänzungsinvestitionen verbunden wäre, die zurzeit nicht finanzierbar sind. Enttäuscht verlässt MM die GmbH und geht zur Jugendmesse Young Life, die zufällig in Frankfurt (Oder) stattfindet. Dort führt sie intensive Gespräche mit Jugendlichen zu deren Vorstellungen über Autos. AA und KK einigen sich darauf, zunächst die wesentliche Quelle des Problems herauszuarbeiten.
Beachten Sie | Mithilfe einer stufenweisen Plan-Deckungsbeitragsrechnung soll die Ursache der schlechten Performance analysiert sowie ein Turn-around vorbereitet werden.
KK und TT beginnen daher unter Berücksichtigung der Preissenkung mit der Erstellung einer Plan-Deckungsbeitragsrechnung. Leider gelingt ihnen, bevor TT plötzlich zu einem wichtigen Kundengespräch gerufen wird, nur die Berücksichtigung der monatlichen Materialkosten (Roh- und Hilfsstoffkosten). Weder Fertigungs- noch Verwaltungs- und Vertriebskosten konnten bisher in die Analyse einbezogen werden. Das bisherige Ergebnis ist in Abbildung 3 zusammengefasst.
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Azubi | Referent | Botschafter | Minister | Summe | |
Menge [x] | 30 | 20 | 20 | 10 | |
Preis [p] | 14.000 | 11.000 | 25.000 | 30.000 | |
Umsatz [U] | 420.000 | 220.000 | 500.000 | 300.000 | 1.440.000 |
Einzelkosten [ke] | 10.000 | 9.000 | 18.000 | 20.000 | |
x × ke = [Ke] | 300.000 | 180.000 | 360.000 | 200.000 | 1.040.000 |
Deckungsbeitrag [db] | 4.000 | 2.000 | 7. 000 | 10.000 | |
x × db = [DB] | 120.000 | 40.000 | 140.000 | 100.000 | 400.000 |
Materialgemeinkosten | 10.000 1 |
1 Die Kosten entstehen durch Kleinteile, Lacke, Öle, Bremsflüssigkeit, Nieten, Kabel, Schrauben etc., die aus Vereinfachungsgründen nicht den einzelnen Autos zugeordnet werden.
TT erläutert ergänzend: Zunächst werden alle PKW mit Plastikteilen und Folien innen und außen verfremdet und „optisch optimiert.“ Die echten und unechten Gemeinkosten hierfür belaufen sich auf insgesamt 100.000 EUR pro Monat (darin enthalten sind 10.000 EUR Miete für die Produktionshalle); weitere 10.000 EUR sind Verwaltungs- und Vertriebskosten.
Anschließend werden die Motoren der Minister und Botschafter getunt sowie die Innenausstattung veredelt. Auch hierfür fallen 120.000 EUR Kosten an. Der Minister wird zum Abschluss einem Spezialfinish unterzogen.
Dies verursacht für dieses Modell weitere 50.000 EUR Kosten. Azubi erhält zusätzlich eine Speziallackierung sowie ein jugendgerechtes Interieur (weitere 130.000 EUR pro Monat). Diese Kosten werden bei TT-Cars der Einfachheit halber als Gemeinkosten behandelt und nach der summarischen Zuschlagskalkulation auf die Kostenträger verteilt.
Nunmehr wird eine stufenweise Plan-Deckungsbeitragsrechnung entwickelt, um die Ursache des Problems herauszuarbeiten. Die Grundidee des Verfahrens ist einfach: In der Vollkostenrechnung werden alle Gemeinkosten subjektiv plausibel den Kostenträgern zugeschlüsselt. Dies vermeidet die stufenweise Deckungsbeitragsrechnung, indem sie davon ausgeht, dass Kostenträgergemeinkosten zu irgendeinem (!) Bezugsobjekt Einzelkosten sind. So sind alle Kosten eines Unternehmens in Bezug auf das Unternehmen Einzelkosten. Gemeinkosten, die etwa für zwei Kostenträger gemeinsam anfallen, sind bezogen auf diese beiden zusammen auch Einzelkosten. Damit wird der Gemeinkostenblock nicht einzelnen Kostenträgern zugeschlüsselt, sondern jeweils dem Bezugsobjekt verursachungsgerecht zugeordnet, für das sie Einzelkosten darstellen.
In einer ersten Stufe werden die Deckungsbeiträge I für die vier Kostenträger ermittelt, indem den Umsatzerlösen der Kostenträger die durch sie verursachten Material- und Fertigungseinzelkosten zugerechnet werden. Bereits hier ist ersichtlich, dass das Modell Azubi einen negativen Deckungsbeitrag i. H. v. 10.000 EUR pro Monat erwirtschaftet. Dies entspricht 120.000 EUR im Jahr (vgl. Abbildung 4).
120.000 EUR Gemeinkosten werden gemeinsam von den Modellen Minister und Botschafter verursacht. Für diese Produktgruppe stellen sie somit Einzelkosten dar. Zieht man diese vom Deckungsbeitrag I ab, erhält man den Deckungsbeitrag II. Er ist für Minister/Botschafter und Referent positiv, aber für Azubi negativ. In einem letzten Schritt werden von der Summe der Deckungsbeiträge II die Unternehmenseinzelkosten, also alle noch nicht verursachungsgerecht zugeordneten Kosten subtrahiert. Somit erhält man den Deckungsbeitrag III, der dem monatlichen Betriebsergebnis entspricht.
Abbildung 4 verdeutlicht, dass drei Modelle deutlich positive Deckungsbeiträge erwirtschaften, aber Azubi schon einen negativen Deckungsbeitrag I generiert. Anders als vermutet, sind also nicht Referent und Botschafter die Problemmodelle, sondern Azubi. Dies stellt nur scheinbar einen Widerspruch zur Kalkulation (vgl. Abbildung 1) dar. Dort wurden die Fertigungskosten, die ausschließlich auf das Modell Azubi entfallen (130.000 EUR), unter Verletzung des Kausalitätsprinzips als Gemeinkosten auf alle Modelle verteilt. Insgesamt ergibt sich ein monatliches negatives Betriebsergebnis i. H. v. 20.000 EUR. Dieser Monatsverlust entspricht den 240.000 EUR Jahresfehlbetrag in der Plan-GuV.
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Azubi | Referent | Botschafter | Minister | |
Umsatzerlöse | 420.000 | 220.000 | 500.000 | 300.000 |
Kostenträger-Materialeinzelkosten | 300.000 | 180.000 | 360.000 | 200.000 |
Kostenträger-Fertigungseinzelkosten | 130.000 | 50.000 | ||
Deckungsbeitrag I | ‒ 10.000 | 40.000 | 140.000 | 50.000 |
Kostenträgergruppen-Fertigungseinzelkosten | 120.000 | |||
Deckungsbeitrag II | ‒ 10.000 | 40.000 | 70.000 | |
Unternehmens-Materialeinzelkosten | 10.000 | |||
Unternehmens-Fertigungseinzelkosten | 100.000 | |||
Unternehmens-V&V-Einzelkosten | 10.000 | |||
Deckungsbeitrag III | ‒ 20.000 |
1.3 Problemlösungsalternativen werden diskutiert
Beim folgenden Treffen werden ausgiebig Strategien zur Verbesserung der Ertragslage diskutiert. Dabei liegen insbesondere die folgenden vier Lösungsvorschläge auf dem Tisch:
- Erhöhen der Preise des Modells Azubi
- Streichen des Modells Azubi aus dem Produktionsprogramm
- Quersubventionierung des Modells Azubi
- Senken der Kosten bei Modell Azubi
Beachten Sie | Es ist zu diskutieren, welche Folgen die vier Strategien kurz- und langfristig haben können.
- Erhöhen der Preise des Modells Azubi
- Vielleicht ist eine Preiserhöhung vorübergehend erfolgreich, um den Preis an die Selbstkosten anzupassen. Allerdings wird man sich wohl langfristig aus dem Marktsegment verabschieden müssen. Dieser Vorschlag ist eine existenzgefährdende Alternative, da die Zahlungsfähigkeit der jungen Kunden wahrscheinlich gering ist. Azubi ist auch das Einsteigermodell, und der Kundenbindung kommt eine große Bedeutung zu.
- Streichen des Modells Azubi aus dem Produktionsprogramm
- Auch bei dieser Variante würde man das wichtigste Element im Kundenbindungsprozess aufgeben, weil die meisten Azubi-Kunden zu Stammkunden werden („Einmal TT ‒ immer TT!“). Dies hätte damit längerfristig auch negative Auswirkungen auf den Absatz der anderen Modelle. Damit wäre dies nur ein gangbarer Weg, wenn das gesamte Geschäftsmodell neu aufgestellt würde.
- Quersubventionierung des Modells Azubi
- Eine Quersubventionierung wäre vorübergehend denkbar, ist aber wohl keine dauerhafte Alternative, da die Deckungsbeiträge der anderen Modelle bislang nicht ausreichen, die Unternehmenskosten und zudem anteilig Kosten des Azubis zu tragen. Immerhin könnte man erwägen, bei den anderen Modellen die Kosten zu reduzieren und/oder die Preise zu erhöhen, um so die Quersubventionierung für das Einsteigermodell zu realisieren.
Die Praxis zeigt jedoch, dass Quersubventionierungen dauerhaft problematisch sein können. Der „Klassiker“ sind Tintenstrahldrucker. Diese waren eine Zeit lang extrem preiswert, weil die Hersteller den geringen Preis der Drucker über die hohen Preise bei den Tintenpatronen überkompensieren konnten. Aufgrund der geringen Markteintrittsbarriere haben dann andere Unternehmen nur Tintenpatronen (preisgünstiger) angeboten und so das Geschäftsmodell massiv gefährdet.
- Senken der Kosten bei Modell Azubi
- Die Kosten des Azubis könnten vielleicht so weit gesenkt werden, dass er zumindest keinen negativen Deckungsbeitrag mehr erzielt. Sollte er danach sogar einen positiven Deckungsbeitrag erwirtschaften, könnte er damit auch Teile der Unternehmenskosten tragen.
Beachten Sie | Die mit einer Kostensenkung verbundene Gefahr besteht darin, dass dem Kunden wichtige Produkteigenschaften verloren gehen könnten und dadurch die Nachfrage sinkt. Dem kann jedoch durch das Target Costing (Zielkostenrechnung), also einer Marktforschung verbunden mit einer Funktionsanalyse, begegnet werden.
2. TT hat die Idee/Problemlösung
Nach dem Treffen beraten KK und MM beim Abendessen die Situation. Klar ist bislang, dass die Kosten des Azubis gesenkt werden müssen. Unklar ist aber, wo man ansetzen sollte. MM erzählt von ihrem Messebesuch. Die Gespräche mit Jugendlichen haben ihr gezeigt, dass für die potenziellen Azubi-Käufer die Optik und die Stereoanlage des Autos ganz wesentliche Komponenten der Kaufentscheidung sind. Das bringt KK auf eine Idee. Sie diskutieren die ganze Nacht die Anwendbarkeit der Funktionsanalyse auf ihr Pro-blem.
Die Funktionsanalyse ist ein Tool, das von einer schlichten Grundüberlegung ausgeht: Ein Produkt ist nicht einfach nur ein Gut, sondern ein Nutzenspender für den Kunden. Und für jedes Marktsegment hat das Gut bestimmte Nutzenfunktionen. So ist ein Handy für das Marktsegment Ü 50 i. d. R. ein Gut, mit dem man telefonieren können und gelegentlich eine SMS versenden muss. Für das Marktsegment U 25 ist es hingegen eher ein Gut, das für viele internetbasierte Funktionen ausgelegt sein muss. Telefonieren und das Verschicken von SMS spielen hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Das Produkt muss also den Bedürfnissen der potenziellen Käufergruppe entsprechen.
2.1 Anwendung der Funktionsanalyse
Bei der Funktionsanalyse sind vier Schritte erforderlich:
- Schritt 1: Marktanalyse
- Aufgrund einer Marktanalyse kann zunächst festgestellt werden, welche Nutzenfunktionen das Gut für die Zielgruppe haben soll. Bei einem Auto können das z. B. das sportliche Fahrverhalten, der geringe Verbrauch und die Optik sein. Wichtig ist festzustellen, welche Nutzen diese verschiedenen Funktionen für die potenzielle Käufergruppe haben.
Beachten Sie | Im Mittelstand wird gelegentlich betont, (teure) Marktanalysen durch externe Berater seien nicht realisierbar. Diese sind aber gerade im Mittelstand nicht immer erforderlich. Aufgrund des häufig unmittelbaren Kundenkontakts lassen sich die Bedürfnisse und die Zahlungsbereitschaft selbst ermitteln.
- Schritt 2: Komponentenanalyse
- Bei der Komponentenanalyse wird dann das Gut in einem zweiten Schritt gedanklich in seine wesentlichen Komponenten zerlegt. Das können bei einem Auto z. B. Motor, Fahrwerk, Karosserie und Interieur sein. Anschließend ist zu bestimmen, welche Komponente welche Bedeutung für welche Nutzenfunktion hat. So ist der Motor zwar wichtig für das Fahrverhalten, aber nicht für die Optik. Die Karosserie hat einen großen Einfluss auf den Verbrauch, das Interieur aber eher weniger.
Beachten Sie | Die Schritte 1 und 2 sollten bei vorausschauender Unternehmensplanung bereits vor Beginn einer Investition erfolgen. Die Marktorientierung bereits bei der Entwicklung neuer Produkte ist vorteilhaft gegenüber der nachsorgenden Reparatur.
- Schritt 3: Kostenspaltung
- In einem dritten Schritt sind die Istkosten auf die einzelnen Komponenten aufzuspalten und ihr prozentualer Anteil zu ermitteln.
- Schritt 4: Grafische Gesamtanalyse
- Auf Basis einer grafischen Analyse kann dann leicht festgestellt werden, bei welcher Komponente eine Kostenreduktion erforderlich ist, weil die Höhe der Kosten in einem unangemessenen Verhältnis zur Höhe des Kundennutzens der Komponente steht. Das relative Verhältnis sollte 1 bzw. bei Berücksichtigung eines Akzeptanzbereichs ungefähr 1 betragen.
Nachdem die notwendigen Daten von den Jungconsultants zusammengetragen wurden, können die Ergebnisse der drei Schritte zusammengeführt werden. Die für die Zielgruppe des Azubis wesentlichen Nutzenfunktionen sind eine Neid erweckende Optik (60 % des Gesamtnutzens), das sportliche Fahrverhalten (30 %) sowie ein geringer Verbrauch (10 %). Nachdem die vier Schritte durchlaufen sind, ergibt sich folgende Abbildung 5.
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Nutzen | Motor | Fahrwerk | Karosserie | Interieur |
Nutzen 1: Sportliches Fahrverhalten (Bedeutung: 30 %) | 70 % | 20 % | 10 % | 0 % |
Nutzen 2: Geringer Verbrauch (Bedeutung: 10 %) | 50 % | 10 % | 40 % | 0 % |
Nutzen 3: Neid erweckende Optik (Bedeutung: 60 %) | 0 % | 10 % | 70 % | 20 % |
= Gewichteter Nutzen der Kostenträgerkomponente | 26 % | 13 % | 49 % | 12 % |
Anteilige Istkosten der Kostenträgerkomponente (430.000/30.000=) 14.333 | 3.583 EUR | 1.433 EUR | 6.450 EUR | 2.866 EUR |
= Anteilige Kosten der Kostenträgerkomponente (in %) | 25 % | 10 % | 45 % | 20 % |
Verhältnis Kosten/Nutzen vor Kostenreduktion (Zielkostenindex) | 0,96 | 0,77 | 0,92 | 1,67 |
Beachten Sie | Die Abbildung ist beispielhaft wie folgt zu lesen: Der Motor macht (0,7 * 0,3 + 0,5 * 0,1 + 0 * 0,6 =) 26 % des Gesamtnutzens für den potenziellen Kunden aus. Zugleich verursacht er 25 % der Kosten des Azubis. Das Kosten/Nutzen-Verhältnis ist mit 0,96 kleiner als 1. In diesem Zusammenhang spricht man vom sogenannten Zielkostenindex der Komponente.
Bei der Funktionsanalyse wird gefordert, dass der Kostenanteil einer Komponente ungefähr (Akzeptanzbereich) so hoch sein soll wie ihr Nutzenanteil (Zielkostenindex ~ 1). Dies ist auch nachvollziehbar, weil der Hersteller möglicherweise Komponenten, die dem Kunden einen hohen Nutzen stiften, nicht hinreichend Aufmerksamkeit schenkt (Zielkostenindex < 1) oder Kosten für Komponenten des Gutes aufwendet, die für den Kunden nicht entsprechend bedeutend sind (Zielkostenindex > 1).
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Ein Automobilproduzent baut Autos, bei denen die Frontscheibe nur mit einem Scheibenwischer ausgestattet ist, während eigentlich zwei die Regel sind. Aufgrund der technischen Herausforderung, mit dem Wischer die gesamte Scheibe zu erfassen, ist die Produktion dieses einen Scheibenwischers teurer als die klassische Produktion mit zwei Scheibenwischern. Wenn es den Kunden egal ist, ob die Autos einen oder zwei Scheibenwischer haben, wird hier überflüssigerweise Geld in die Herstellung einer Komponente ohne besonderen Nutzen für den Kunden gesteckt. Ist diese technische Errungenschaft jedoch für den Kunden bedeutend, sind diese zusätzlichen Kosten gut investiert. |
Nunmehr wird, um das Verhältnis der anteiligen Kosten und des gewichteten Nutzens jeder Komponente zu visualisieren, Abbildung 5 in eine Grafik überführt und so der Problemlösungsansatz sichtbar gemacht (Abbildung 6).
Beachten Sie | Die im 45-Grad-Winkel verlaufende Gerade wird auch als Optimallinie bezeichnet und veranschaulicht das perfekte Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen. Natürlich ist es unrealistisch zu erwarten, dass jede Komponente genau auf der Optimallinie liegt. Daher werden zwei Toleranzgrenzen festgelegt, die zusammen den sogenannten Zielkorridor definieren. In diesem Bereich liegen alle Zielkostenindizes, die im vorliegenden Fall als wirtschaftlich erstrebenswert angesehen werden können. Liegt einer der Punkte oberhalb der Optimallinie und außerhalb des Zielkorridors, werden zu viel Kosten für die Kostenträgerkomponente aufgewendet.
Der Zielkorridor ergibt sich aus den beiden Wurzelfunktionen zO = √(x2+τ2) und zU = √(x2‒τ2) (mit τ=0,1). Bei hohem Kostendruck sollte τ möglichst klein und damit der Zielkostenbereich möglichst eng gewählt werden.
Deutlich ist das unausgewogene Verhältnis zwischen den Kosten des Interieurs zu dessen Bedeutung für den Kunden (niedrige Bedeutung vs. hohe Kosten) zu erkennen. Dies ist ein möglicher Ansatzpunkt für die notwendige Kostenreduktion.

Die Jungconsultants schlagen nun TT vor, die Kosten beim Interieur um 1.000 EUR zu reduzieren. „Da kann ich ja gleich die Türverkleidungen und den Himmel rausreißen!“, erwidert dieser. Daraufhin wurde gemeinsam ein Konzept entwickelt. Tatsächlich gelingt es, durch die Reduktion des Innenraums auf ein sehr puristisches Aussehen die Herstellkosten des Azubis um 1.000 EUR pro Stück zu reduzieren. Außerdem wird entschieden, das Einsteigermodell künftig nicht mehr Azubi, sondern Wild Mustang zu nennen.
3. Die Kontrolle
Nachdem zu Beginn des Jahres 2019 die Preise gesenkt sind und gleichzeitig die Produktion umgestellt ist, ergibt sich tatsächlich ein erstaunliches Bild. Die Kosten für Wild Mustang sind nicht nur gesunken, das Produkt wurde auch hervorragend angenommen. Es liegen so zahlreiche Vorbestellungen vor, dass TT nunmehr sogar mit einer Ergänzungsinvestition liebäugelt. Sogar ein bekannter Getränkehersteller meldet sich. Er möchte von TT eine Sonderedition des Wild Mustangs, die unter dem Namen Wild Bull vertrieben werden soll. Die Zukunft ist rosig. Die Jungconsultants zeigen TT die Veränderungen, die sich durch die Funktionsanalyse ergeben haben, und stellen die neue Plan-GuV auf.
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Motor | Fahrwerk | Karosserie | Interieur | |
Gewichteter Nutzen der Kostenträgerkomponente (in %) | 26 % | 13 % | 49 % | 12 % |
Anteilige neue Istkosten der Kostenträgerkomponente (14.333 ‒ 1.000) = 13.333 | 3.583 EUR | 1.433 EUR | 6.450 EUR | 1.866 EUR |
Anteilige Kosten der Kostenträgerkomponente (in %) | 26,9 % | 10,7 % | 48,4 % | 14 % |
Verhältnis Kosten/Nutzen nach Kostenreduktion (Zielkostenindex) | 0,83 | 0,82 | 1,1 | 1,17 |
Aus der letzten Zeile der Abbildung 7 wird deutlich, dass sich, da sich das Verhältnis Kosten/Nutzen bei der Komponente Interieur verbessert hat, auch automatisch die relativen Verhältnisse der anderen Komponenten verändern (vgl. Abb. 6 mit Abb. 8). Es ergeben sich so Ansatzpunkte für weitere Kostenreduktionen.

Da die Kosten des Azubis um 1.000 EUR pro Stück reduziert werden konnten, erwirtschaftet er nunmehr nicht nur einen positiven Deckungsbeitrag II, sondern bewirkt auch den notwendigen Turnaround. Die Herstellungskosten sinken um 30.000 EUR pro Monat bzw. um 360.000 EUR pro Jahr. Dies führt zu einem Jahresüberschuss (Abbildung 9).
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Umsatzerlöse | 17.280.000 EUR | |
‒ | Herstellungskosten der abgesetzten Wirtschaftsgüter | ‒ 17.040.000 EUR |
= | Bruttoergebnis vom Umsatz | 240.000 EUR |
‒ | Vertriebs- und allgemeine Verwaltungskosten | ‒ 120.000 EUR |
= | Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit | 120.000 EUR |
= | Jahresüberschuss | 120.000 EUR |
FAZIT | Die klassischen Kalkulationsverfahren, die in der Vollkostenrechnung Anwendung finden, können zu falschen Entscheidungen über das Produktionsprogramm führen. Daher sollten sie anhand der stufenweisen Deckungsbeitragsrechnung überprüft werden. Diese vermeidet die pauschale Schlüsselung von Gemeinkosten auf die Kostenträger und kann so eine differenzierte Istanalyse ermöglichen.
Mithilfe der Funktionsanalyse können Ansatzpunkte für Kosteneinsparungen, aber auch für die Zielkosten bei der Produktentwicklung gefunden werden. Bereits während der Produktentwicklung können Fehler bezüglich nicht gewünschter bzw. zu teurer Funktionalitäten vermieden werden. Dabei stellt das Verfahren kein Allheilmittel dar, hilft aber, die Entscheidung an den Bedürfnissen des relevanten Marktsegments auszurichten. Dies gilt auch und insbesondere für KMUs und Start-ups. |
Weiterführende Literatur
- Fiedler: Aufbau und Einsatz von Deckungsbeitragsrechnungen, BBP 2007, 63
- Götze: Kostenrechnung und Kostenmanagement, 5. Aufl., Springer, 2010
- Koss: Preis und Nutzen per Zielkosten kalkulieren ‒ Target Costing für den Mittelstand, BBP 2007, 257
- Kudert: Kostenrechnung, EvK-Verlag, 2015