· Fachbeitrag · Kindesunterhalt
So geht die konkrete Bedarfsbemessung richtig
von RA Dr. Jörg A. E. Schröck, FA Familienrecht, München
| Sobald man den Rahmen der Düsseldorfer Tabelle verlässt, begegnet man der konkreten Bedarfsermittlung. Oder anders gesagt: Wer jenseits der 10. Einkommensgruppe Kindesunterhalt fordert, muss den höheren Unterhaltsbedarf stets konkret begründen. Dazu im Einzelnen: |
1. Regelbedarfspositionen der Düsseldorfer Tabelle
Der dem Kind geschuldete Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, § 1610 Abs. 2 BGB. Die durch die standardisierten Richtsätze der Düsseldorfer Tabelle (DT) bestimmten Zahlbeträge decken nicht stets den gesamten Lebensbedarf ab. Die Richtsätze der 1. Einkommensgruppe (EK) entsprechen dem Mindest-bedarf gem. der Mindestunterhaltsverordnung, § 1612a Abs. 4 BGB. Dieser umfasst nur bestimmte Bedarfspositionen (sog. Regelbedarfspositionen) und zwar insbesondere diejenigen, die sich aus §§ 27 ff. SGB XII sowie der VO zur Durchführung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (REBG) ergeben. Die REB-Tabelle zeigt gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 die Zusammensetzung des Mindestbedarfs für Kinder von Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres:
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Nahrungsmittel, Getränke | 113,77 EUR |
Bekleidung und Schuhe | 41,83 EUR |
Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung (ohne Bruttokaltmiete und Heizung) | 15,18 EUR |
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände | 9,14 EUR |
Gesundheitspflege | 7,07 EUR |
Verkehr | 26,49 EUR |
Nachrichtenübermittlung | 13,60 EUR |
Freizeit, Unterhaltung, Kultur | 40,16 EUR |
Bildung | 0,50 EUR |
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen | 4,77 EUR |
Andere Waren und Dienstleistungen | 9,03 EUR |
Gesamt | 281,54 EUR |
Für 2017 wurde durch den 10. Existenzminimumsbericht der Bedarf pauschal um 10 EUR auf 291 EUR erhöht, 2018 durch den 11. Existenzminimumsbericht auf 295 EUR und für 2019 durch den 12. Existenzminimumsbericht vom 31.10.18, auf 302 EUR (2020: 308 EUR), dies jeweils für die Altersgruppe der 6- bis 14-Jährigen. Gleichzeitig werden mit dem Existenzminimumsbericht die Wohnkosten festgelegt, und zwar i. H. v. 87 EUR zuzüglich Heizung i. H. v. 14 EUR für 2019 und 89 EUR zuzüglich 15 EUR Heizung für 2020. Zusammen bilden diese Zahlen gem. § 1612a Abs. 1 BGB die Grundlage für den Mindestkindesunterhalt.
Dabei decken Unterhaltsbeträge nach höheren Einkommensgruppen der DT, die den Mindestunterhalt übersteigen, grundsätzlich keinen wesensverschiedenen Aufwand ab, sondern zielen auf eine Bedarfsdeckung auf höherem Niveau (BGH FK 09, 129 = FamRZ 09, 962; FK 17, 80 = FamRZ 17, 437, 440).
2. Regelbedarf bei gehobenem Lebensstandard der Eltern
Erzielt der barunterhaltspflichtige Elternteil ein unterhaltsrelevantes Einkommen jenseits der 10. EK, gilt Folgendes (DT Abschnitt A. am Ende der Tabelle):
a) Ab 5.501 EUR ‒ nach den Umständen des Einzelfalls
Es gibt keine allgemeine Sättigungsgrenze, etwa auf den höchsten Betrag der DT (BGH FamRZ 00, 358). Bei höheren Einkommen der Eltern kann aber kein höherer Regelbedarf des Kindes ermittelt werden, indem fiktiv weitere EK (11., 12., 13., usw.) der Struktur der DT nachgebildet werden. Dies würde mit Grundaussagen der Rechtsprechung zum Lebensbedarf des Kindes kollidieren.
b) Lebensbedarf bedeutet nicht die Teilhabe am Luxus
Der Unterhalt für Kinder bedeutet (nur), dass ihr ‒ ggf. gehobener ‒ Lebensbedarf befriedigt wird, aber nicht, dass sie am Luxus teilhaben. Auch ein in besten Verhältnissen lebender Unterhaltspflichtiger schuldet nicht das, was das Kind wünscht, sondern was es braucht (vgl. BGH FamRZ 83, 473). Der Grundbedarf eines Kindes u. a. für Nahrung, Kleidung, Wohnbedarf, Schulbedarf etc. ist regelmäßig bereits durch die Ansätze der DT abgedeckt (KG NZFam 19, 718 [724], sowie Klinkhammer in: Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, 10. Aufl., § 2 Rn. 342). Auch soll der Kindesunterhalt nicht dazu dienen, die wirtschaftliche Situation des betreuenden Elternteils zu verbessern (BGH FamRZ 00, 358 f.; OLG Düsseldorf FamRZ 17, 113; OLG Hamm FamRZ 10, 2080).
c) Gehobener Regelbedarf bei gehobenem Lebensstandard der Eltern
Auch bei höherem Elterneinkommen soll sichergestellt bleiben, dass Kinder in einer ihrem Lebensalter entsprechenden Weise an einer Lebensführung teilhaben, die der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern Rechnung trägt. Welche Bedürfnisse auf dieser Grundlage zu befriedigen sind und welche Wünsche demgegenüber als bloße Teilhabe am Luxus nicht erfüllt werden müssen, kann nicht allgemein gesagt werden. Vielmehr sind die besonderen Verhältnisse des Betroffenen zu würdigen, namentlich auch eine Gewöhnung des Unterhaltsberechtigten an einen von seinen Eltern während des Zusammenlebens gepflegten aufwendigen Lebensstil. Z. B. bei Smartphones, Designer-Klamotten etc. handelt es sich um Luxusaufwendungen, die beim Kindesunterhalt für Minderjährige nicht geschuldet sind.
d) Die konkrete Regelbedarfsermittlung
Wird ein Regelbedarf jenseits der Tabellenbeträge der 10. EK geltend gemacht, ist konkret darzulegen und zu beweisen, welche Regelbedarfsposition der DT zu gering kalkuliert ist, um den gehobenen Lebensbedarf des Kindes (§ 1610 Abs. 2 BGB) zu repräsentieren (BGH FamRZ 00, 358: Das Gericht kann den Betrag unter Heranziehung des Mehrbetrags berechnen, der sich aus der Gegenüberstellung solcher besonderer Bedürfnisse mit bereits von den Richtwerten der DT erfassten Grundbedürfnissen ergibt, und unter Zuhilfenahme allgemeinen Erfahrungswissens nach § 287 ZPO bestimmen).
aa) Darlegung der Richtwerte der DT (Kalkulationsgrundlage)
Einige OLGe haben mit Bezugnahme auf § 6 REBG versucht darzulegen, wie sich die Kosten für einzelne Bedarfspositionen der DT aufsplitten lassen (OLG Schleswig FamRZ 12, 990; OLG Frankfurt/M. NZFam 14, 31; OLG Hamm FamFR 12, 390). Es kann daher bei Altersstufe 3 (ALS 3) wie folgt vorgetragen werden:
Musterformulierung / Darstellung eines konkreten Bedarfs, ALS 3 | ||
Für den konkreten Bedarf ist zu ermitteln, welche Beträge für welche Bedarfspositionen im Höchstsatz der DT von aktuell 762 EUR (ALS 3) enthalten sind. Hierfür wird auf den 12. Existenzminimumbericht und die regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben gem. Tabelle § 6 Abs. 1 Nr. 3 RBEG zurückgegriffen. Das sächliche Existenzminimum für Kinder beläuft sich 2019 | ||
jährlich | monatlich | |
auf | 4.896,00 EUR | 408,00 EUR |
und setzt sich zusammen aus | ||
Regelsatz | 3.456,00 EUR | 288,00 EUR |
Bildung und Teilhabe | 228,00 EUR | 19,00 EUR |
Unterkunft | 1.044 ,00 EUR | 87,00 EUR |
Heizung | 168,00 EUR | 14,00 EUR |
Aus dieser Tabelle folgt, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung mit zusammen 25 Prozent des Gesamtbedarfs und für Bildung und Teilhabe mit 4,9 Prozent des Gesamtbedarfs veranschlagt werden. Die Prozentuale Verteilung des Restbetrags von 535,69 EUR (762 EUR ./. 190,50 EUR ./. 5,81 EUR) ist anhand der Tabelle des § 6 Abs. 2 Nr. 3 RBEG vorzunehmen. Die in der RBEG-Tabelle angeführten Beträge ergeben eine Gesamtsumme von 300,81 EUR, § 6 Abs. 2 Nr. 3 RBEG).
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Abteilung | Betr. lt. Tabelle | %-Satz | entspr. in ALS 3 |
§ 6 Abs. 1 Nr. 3 RBEG | 10. Gruppe | ||
| 141,58 EUR | 47,1 | 252,31 EUR |
| 37,80 EUR | 12,6 | 67,50 EUR |
| 23,05 EUR | 7,7 | 41,25 EUR |
| 12,73 EUR | 4,2 | 22,50 EUR |
| 7,52 EUR | 2,5 | 13,39 EUR |
| 13,28 EUR | 4,4 | 23,57 EUR |
| 14,77 EUR | 4,9 | 26,25 EUR |
| 31,87 EUR | 10,6 | 56,78 EUR |
| 0,22 EUR | 0,1 | 0,53 EUR |
| 6,38 EUR | 2,1 | 11,25 EUR |
| 11,61 EUR | 3,8 | 20,36 EUR |
Summe | 300,81 EUR | 100 | 535,69 EUR |
bb) Regelbedarfsposition versus konkreter Bedarfsposition
Jetzt sind etwaige besonders kostenintensive Bedürfnisse des Kindes aufzuzeigen und darzulegen, welche Mittel zu deren Deckung notwendig sind. Handelt es sich um eine der 13. Grundbedarfspositionen, die von der DT bereits erfasst sind, kann mit Gegenüberstellung des konkreten Bedarfs zu einer der 13. Regelbedarfspositionen eine Erhöhung der Regelbedarfs plausibel begründet werden (vgl. OLG Frankfurt a. M. NZFam 14, 31 mit Anmerkung Schwolow; OLG Schleswig FamRZ 12, 990; OLG Hamm FamRZ 10, 2080).
cc) Darlegungs- und Beweislast
In nahezu allen zitierten Entscheidungen wurden Mängel in der Darlegung und des Beweises des konkreten Bedarfs gerügt. Insgesamt ist anerkannt, dass an die Darlegungslast keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen.
Der Unterhaltsberechtigte genügt seiner Darlegungslast, wenn er seine Bedürfnisse im Detail angibt und daraus den gesamten Unterhalt ableitet. Um die Anforderungen an die Beweislast nicht zu überspannen, kann auf Grundlage einer ausreichend exemplarischen Darstellung der Bedarfspositionen (das ist hier geschehen) das Gericht den konkreten Bedarf unter Zuhilfenahme allgemeinen Erfahrungswissens nach Maßgabe des § 287 ZPO nach objektiven Kriterien schätzen. Eine Schätzung gem. § 287 ZPO kommt dabei umso eher in Betracht, als die Bedarfsposition als notwendig anzusehen ist (zur Schätzung einzelner Bedarfspositionen (vgl. OLG Hamm NJW-Spezial 16, 484; OLG Brandenburg FamRZ 12, 1399; BGH FamRZ 05, 97; 01, 1603).
MERKE | Je exotischer die Bedarfsposition erscheint, umso notwendiger ist der Bedarf konkret darzulegen und, soweit möglich, nachzuweisen. Verlangt wird grundsätzlich die Vorlage einer detaillierten und nachprüfbaren Aufschlüsselung des Aufwands, um den Bedarf zu decken, zumindest für einen repräsentativen Zeitraum (BGH FamRZ 01, 1603, 1605; OLG Düsseldorf, FamRZ 17, 113 hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung von Urlaubskosten der Kinder). |
3. Mehrbedarfspositionen
Als Mehrbedarf ist derjenige Teil des Lebensbedarf des Kindes anzusehen, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er als Bedarfsposition im Regelbedarf nach Düsseldorfer Tabelle nicht enthalten ist (Klein, in: Kleffmann/Klein, Unterhaltsrecht, 2011, § 1610 BGB Rn. 17 m.w.N.).
Mehrbedarf oder Sonderbedarf wird nicht in Abhängigkeit vom Einkommen der Eltern berechnet. Vielmehr sind Berechnungsgrundlage die im konkreten Einzelfall tatsächlich anfallenden Kosten. Im Streitfall wird vielmehr danach gefragt, ob die damit verbundenen Kosten tatsächlich zum Lebensbedarf des Kindes gehören, d. h. angemessen und belegbar sind.
Weiterführender Hinweis
- www.iww.de/s3110 (Link zum Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz - RBEG)