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· Fachbeitrag · Interview

„Pflegerische Schmerzexperten sind noch zu unbekannt!“

| In deutschen Kliniken werden 15.000 bis 20.000 speziell ausgebildete pflegerische Schmerzexperten eingesetzt. Diese „Pain Nurses“ versorgen Patienten mit invasiven Schmerztherapieverfahren und mit komplexen Schmerzproblemen im operativen und konservativen Bereich. Sie schulen andere Pflegekräfte und nehmen an Qualitätszirkeln zum Thema Schmerz teil. Das Problem: Viele Kliniken rufen die Kompetenz ihrer pflegerischen Schmerzexperten nicht ab. Warum das so ist, erläutert Ruth Boche, Sprecherin der Fachgruppe Pflegeexpert/innen Schmerz im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK, online unter ogy.de/c7p5 ). Ursula Katthöfer sprach mit ihr ( textwiese.com) . |

 

Frage: Wie kann es passieren, dass ein Chefarzt spezialisierte pflegerische Schmerzexperten nicht einsetzt?

 

Boche: Das hat oft organisatorische Gründe, denn die meisten pflegerischen Schmerzexperten sind nicht dem Chefarzt, sondern der Pflegedirektion zugeordnet. Nur ein geringer Teil arbeitet unter der Zuständigkeit eines Chefarztes, z. B. in der Anästhesie oder im Akutschmerzdienst. Oft wissen Chefärzte gar nicht, dass es Pain Nurses in ihrer Klinik gibt.

 

Frage: Bedeutet das, dass Patienten unnötig unter Schmerzen leiden?

 

Boche: Studien zufolge geben Patienten, die postoperativ durch einen Akutschmerzdienst versorgt werden, weniger Schmerzen an als diejenigen, die nicht durch einen spezialisierten Dienst versorgt werden. Kleine Operationen wie Mandel- oder Gallenblasenoperationen sind häufig schmerzhafter als z. B. große OPs im Thorax. Denn für die Zeit unmittelbar nach kleineren Operationen fehlen häufig Behandlungskonzepte mit speziellen Therapieplänen.

 

Frage: Ist das eher ein Problem größerer oder kleinerer Kliniken?

 

Boche: Größere Häuser haben andere personelle Ressourcen. In kleineren Kliniken ist die Personaldecke oft so dünn, dass es keine Akutschmerzdienste gibt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Versorgung der Patienten mit Schmerzen in kleineren Klinken schlechter ist. Dort gibt es vielleicht ein Behandlungskonzept, in dem nach einer Gallenblasenoperation bereits im OP bestimmte Schmerzmedikamente angeordnet werden. Das spart Zeit, denn wenn der Patient sich mit Schmerzen meldet, kann direkt gehandelt werden.

 

Frage: Was müsste bei der Schmerzerfassung besser werden?

 

Boche: Die Numerische Rating Skala (NRS) gibt nur Auskunft über die Schmerzintensität. Wichtig ist, den Patienten als Ganzes zu sehen. Wo tut es weh? Wie fühlt sich der Schmerz an? Wie lange hat er schon Schmerzen? Wenn ein Patient für eine OP ins Krankenhaus kommt, hat er vielleicht zusätzlich chronische Rückenschmerzen, die sich nach der OP verstärken. Hier setzen die pflegerischen Schmerzexperten an und vereinbaren mit dem Patienten gemeinsam realistische Ziele für das postoperative Schmerzmanagement.

 

Frage: Wie wird mit demenzkranken Patienten, die ihre Schmerzen nicht mehr äußern können, umgegangen?

 

Boche: Für Patienten mit kognitiven Einschränkungen wie z. B. der Demenz hilft für die Einschätzung von Schmerzen ein Instrument wie die BESD ‒ Beurteilung von Schmerzen bei Demenz. Dabei wird anhand unterschiedlicher Kriterien von den pflegerischen Schmerzexperten beobachtet, ob es einen Anhalt für Schmerzen beim Patienten gibt. Beobachtet wird die Atmung, ob der Patient stöhnt, weint oder sich missbilligend äußert. Gesichtsausdruck und Körpersprache geben ebenfalls Auskunft, z. B. zusammengekniffene Augen. Schließlich wird ermittelt, ob der Mensch sich durch Trost ablenken oder beruhigen lässt. Bei der BESD handelt es sich um ein validiertes Instrument zur Fremderfassung von Schmerzen, bei der jede Pflegekraft gleiche Kriterien anlegt.

 

Frage: Was müsste bezüglich der Medikamente geschehen, um das Schmerzmanagement zu optimieren?

 

Boche: Die Anordnung der Schmerzmedikation ist Aufgabe des Arztes. Pflegerische Schmerzexperten verabreichen die Medikamente, geben Informationen zur Einnahme, zu Wirkung und Nebenwirkungen an den Patienten weiter, setzen nicht medikamentöse Maßnahmen zur Schmerzlinderung ein und beraten und informieren den Patienten zum Schmerzmanagement. Sie beurteilen, ob die Schmerzmedikation ausreicht, wenn z. B. die Physiotherapie beginnt oder ob eine zusätzliche Medikation nötig ist. Umgekehrt erkennen sie, wann Patienten weniger Schmerzen haben und die Dosis verringert oder das Medikament abgesetzt werden kann. Diese Informationen geben sie an den Arzt weiter. Wichtig ist hier die Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

 

Frage: Können pflegerische Schmerzexperten ihr Team schulen?

 

Boche: Ja, auch viele Assistenzärzte möchten mehr über eine gute Versorgung von Patienten mit Schmerzen wissen. Ein Chefarzt könnte daher einen internen Schulungstermin ansetzen, bei dem Pflege und Ärzte gemeinsam informiert werden.

 

Frage: In Deutschland dauert die Fortbildung zum pflegerischen Schmerzexperten zurzeit 42 Stunden. Reicht das?

 

Boche: In 42 Stunden kann ein Grundstock vermittelt werden. Der DBfK hat ein Kompetenzprofil erstellt, das deutlich mehr Inhalte abdeckt. Im Moment wird aktiv an einem neuen Curriculum zur Fort- und Weiterbildung von pflegerischen Schmerzexperten in der Deutschen Schmerzgesellschaft ( schmerzgesellschaft.de ) gearbeitet. Das wird auch akademisierte Pflegende mit Bachelor- und Masterabschlüssen ansprechen.

Quelle: Seite 19 | ID 46250292