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· Fachbeitrag · Arzthaftung

Ärztlicher Aufklärungsfehler: Das ist bei „hypothetischer Einwilligung“ zu beachten

| Ein Arzt muss den Patienten nur über Behandlungsalternativen aufklären, die mit wesentlich unterschiedlichen Risiken oder Heilungschancen einhergehen. Auch geäußerte Wünsche des Patienten nach körperlicher Beweglichkeit bzw. Sport beeinflussen, was der Arzt konkret empfiehlt bzw. als Option gar nicht erst anbietet. In solchen Fällen ist damit zu rechnen, dass Schadensersatzklagen abgewiesen werden. (OLG Schleswig-Holstein 18.10.20, 4 U 55/18, Abruf-Nr. 219049 ). |

 

Die Klägerin machte klageweise Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche nach einer Kniegelenks-OP geltend.

 

Beachten Sie | Nach den einschlägigen Grundsätzen war sie über die Risiken „im Großen und Ganzen“ aufzuklären, um eine allgemeine Vorstellung von den mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu erhalten (BGH 14.3.06, VI ZR 279/04).

 

Die Klägerin führte aus, dass sie über eine mögliche weitergehende konservative Therapie nicht belehrt wurde. Das LG stützte sich erstinstanzlich auf ein Gutachten, nachdem diese Belehrung auch nicht notwendig war. Weitere konservative Maßnahmen wie Physiotherapie und physikalische Maßnahmen oder Schmerzmedikamente wären risikoärmer gewesen, hätten jedoch erwartbar nichts an der Situation verbessert. Eine fortgeführte konservative Therapie wäre nicht gleichwertig gewesen.

 

Beachten Sie | Nur wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche OP-Eingriffe oder mehrere übliche gleichwertige Behandlungsalternativen in Betracht kommen, hat der Arzt aufzuklären, wenn diese zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.

 

Das OLG Schleswig-Holstein bestätigte, dass der vom Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung Erfolg habe.

 

PRAXISTIPP | Ist das Gericht überzeugt, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die konkrete durch den Behandelnden vorgenommene Maßnahme eingewilligt hätte, ist eine mangelhafte Aufklärung unerheblich. Dies gilt unabhängig davon, ob der behandelnde Arzt eine korrekte Aufklärung beweisen kann oder nicht. Daher ist hierüber auch keine Beweisaufnahme durchzuführen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 284, Rdn. 9). Ein Arzt muss die „hypothetische Einwilligung“ erst beweisen, wenn der Patient plausibel darstellt, dass er vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wären ihm die Risiken der Behandlung genau erklärt worden.

 

Ein solcher Konflikt, sich zwischen weiterer konservativer Behandlung oder einer OP entscheiden zu müssen, lag hier jedoch nicht vor, da die Aufklärung über konservative Maßnahmen nicht geboten war. Zudem hatte die Klägerin bereits Kreuzband-OPs durchführen lassen. Ihr war daher mehr als jedem anderen medizinischen Laien bekannt, dass es keine Erfolgsgarantie gibt. Es sprach aus ihrer Sicht alles für eine Kreuzband-OP, zumal sie angab, wieder beweglich sein zu wollen und am sozialen Leben teilzuhaben, was für den operativen Einsatz einer Kreuzbandersatzplastik sprach. Über die insoweit bestehenden Operationsrisiken, mögliche Verbesserungen sowie über ein Versagen der Kreuzband-OP war sie jedoch umfassend aufgeklärt worden.

 

Weiterführende Hinweise

  • Ärztliche Aufklärungspflichten im Beweisverfahren nachprüfen lassen, SR 20, 161
  • Haftungsrecht: Was, wenn Patient den ausländischen Arzt nicht versteht? SR 20, 118
Quelle: Ausgabe 12 / 2020 | Seite 199 | ID 46994616