· Fachbeitrag · Interview
„Burnout-Prophylaxe ist keine Selbstoptimierung im Hamsterrad!“
| Ein Viertel der Ärztinnen und Ärzte an Kliniken in Deutschland überlegt Studien zufolge, aus dem Job auszusteigen. Einige haben es bereits getan, weil sie sich ausgebrannt fühlen oder dem Burnout vorbeugen wollen. Dr. Volker Reinken ist Chefarzt der Vincera-Klinik Bad Waldsee (zuvor Akutklinik Urbachtal), einem Fachkrankenhaus für Psychosomatik und Psychotherapie. Mit ihm sprach Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) über das Burnout-Syndrom und seine Folgeerkrankungen, die zu seinen Behandlungsschwerpunkten gehören. |
Frage: Fachmedien berichten von einer Burnout-Epidemie unter Ärzten. Teilen Sie diese Einschätzung?
Antwort: Ja, auf jeden Fall. Wir haben fünf wissenschaftlich begründete Kriterien, die zu einem Burnout führen können. Da ist zuerst die mangelnde Distanzierungsfähigkeit, also nicht mehr abschalten zu können. Für Ärzte ist das eine große Herausforderung, da es in ihrem Beruf immer um Menschen geht. Viele denken auch abends über ihre Patienten nach. Zweiter Risikofaktor ist die Resignationstendenz bei Misserfolgen. Ärzte betrachten sich ja als Helfer. Ihnen fällt es oft schwer, sich selbst Hilfe zu holen, wenn etwas nicht klappt. Drittens achten Menschen, die sich für einen sozialen Beruf entscheiden, weniger auf die eigene Gesundheit. Vierter Punkt ist die Lebenszufriedenheit. Die sinkt, wenn die Life-Balance wegen Überstunden aus dem Gleichgewicht gerät. Und fünftens ist ein Gratifikationsplus wichtig. Wenn Wertschätzung fehlt, steigt das Burnout-Risiko. Doch je mehr auf den Stationen zu tun ist, desto länger ziehen sich Behandlungen hin. Das Lob bleibt aus.
Frage: Wie kann ein Chefarzt frühzeitig erkennen, ob jemand in seiner Abteilung ausbrennt?
Antwort: Burnout ist ein Selbstentfremdungssyndrom. Man spürt sich weniger, arbeitet nur noch funktionalisiert. Das führt zu einer Depersonalisierung. Man verhält sich, wie man es vielleicht gar nicht möchte: zynisch, patzig, gereizt, dünnhäutig. Diese Veränderung fällt Außenstehenden auf. Man sieht auch, ob jemand erschöpft ist. Dann kommt es zu einem reduzierten Wirksamkeitserleben, die Spannkraft lässt nach: Briefe lassen sich nicht mehr konzentriert diktieren. Man kontrolliert doppelt, um nichts zu vergessen. Hinzu kommen klassische Folgeerkrankungen wie Depression, Angst, Substanzmissbrauch und somatoforme Störungen. Das Heimtückische beim Burnout ist, dass man selbst innerlich dagegen ankämpft. Ärzte haben den Anspruch an sich selbst, ihre Arbeit gut zu machen. Doch das Gefühl des Laufens im Hamsterrad kann bis zur Suizidalität führen.
Frage: Haben Chefärzte ein ausreichendes Gespür, um die Anzeichen rechtzeitig zu bemerken?
Antwort: Sie sehen schon, was sie den Kollegen zumuten. Sie wünschen sich auch, dass es ihren Mitarbeitern besser geht. Doch selbst wenn die Verwaltung grünes Licht für mehr Personal gibt, gibt der Markt nicht genug Ärzte her.
Frage: Wie kann der Chef verhindern, dass es so weit kommt?
Antwort: Chefärzte sollten den Einzelnen sehen und anerkennen. Es ist nicht damit getan, morgens in der Frühbesprechung alle pauschal zu loben. Wichtig ist eine gute Fehlerkultur: Es ist wissenschaftlich belegt, dass ein Konflikt mit dem Chef zu den größten Stressoren gehört. So etwas frisst mehr Energie als viel Arbeit. Auch das Gratifikationsplus verschwindet, der Arzt kann schlechter abschalten, weil er durch den schwelenden Konflikt Existenzangst hat. Ein Burnout ist immer ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Sonst könnte man ja viel besser durchhalten.
Frage: Wie könnte ein Sofort-Programm gegen Burnout aussehen?
Antwort: Prävention ist wichtig. Auch bei knapper Zeit und geringen Personalressourcen lässt sich einiges machen. Zunächst sollte eine Gefährdungsanalyse stattfinden. Chefärzte können in kurzen Fragebögen den Stand anonymisiert abfragen. Welche Faktoren stressen besonders? Der Analyse sollten dann Maßnahmen folgen.
Frage: Welche Maßnahmen können Ärzte entlasten?
Antwort: Die elektronische Krankenakte und elektronische Informationssysteme können deutlich entlasten. Ich sehe außerdem Dokumentationsassistenten kommen, die bürokratische Aufgaben übernehmen. Externe Dienstärzte könnten Hintergrunddienste übernehmen, denn die Rufbereitschaft verhindert das für die Burnout-Prophylaxe so wichtige Abschalten. Rückzugs- und Ruheräume wären wichtig. Dort könnten Ärzte in der Mittagszeit, wenn die Fehlerquote zunimmt, ein Power-Nap halten. Obst und Getränke sollten zur Verfügung stehen. Kindertagesstätten an den Häusern wären wichtig, damit Familie und Beruf sich besser vereinbaren lassen. Die Leitung könnte in Coachings und Supervision investieren, die Teambildung fördern, damit Synergien entstehen. Das betriebliche Gesundheitsmanagement könnte ausgebaut werden. Achtsamkeitstrainings vermitteln, sich selbst besser wahrzunehmen. Das kann immer wieder zwischendurch passieren: Wenn Ärzte auf dem Weg in ein Krankenzimmer bewusst das Abrollen ihrer Füße spüren, ist das ein Kontakt zu sich selbst. Es gibt eine Fülle von Maßnahmen.
Frage: Sie sind selbst Chefarzt. Integrieren Sie Achtsamkeitsübungen in Ihren Alltag?
Antwort: Ich persönlich mache das für mich sehr bewusst, weil es mir sehr hilft. Wichtig ist, bei der Leitung anzufangen. Wenn die Leitung begeistert ist, setzt es sich nach unten fort. Burnout-Prophylaxe ist keine Selbstoptimierung im Hamsterrad. Sie ist vielmehr kontinuierliche Arbeit, um den Kontakt zu sich selbst, zum eigenen Lebensentwurf und zu den eigenen Werten zu halten.