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· Fachbeitrag · Haftungsrecht

Wer haftet, wenn der angestellte Therapeut einen Fehler begeht?

von RA Ralph Jürgen Bährle, Bährle & Partner, Nothweiler, baehrle-partner.de

| Wenn ein Patient in der Physiopraxis einen Sach- oder Personenschaden erleidet, haftet grundsätzlich der Praxisinhaber als Vertragspartner des Patienten ( PP 04/2008, Seite 1 ). Das gilt auch, wenn der Schaden durch den Fehler eines angestellten Therapeuten entstanden ist. In bestimmten Fällen kann der Praxisinhaber allerdings seinerseits den Mitarbeiter in Regress nehmen. Welche Fälle das sind und wie hoch der Schadenersatzanspruch des Praxisinhabers gegenüber dem Mitarbeiter ist, erklärt dieser Beitrag. |

Haftung des Praxisinhabers gegenüber dem Patienten

Der Praxisinhaber ist Vertragspartner des Patienten. Er schuldet ‒ vereinfacht ausgedrückt ‒ dem Patienten eine fehler- und schadensfreie Behandlung. Wenn dem angestellten Therapeuten ein Fehler ‒ egal welcher Art ‒ unterläuft und dem Patienten dadurch ein Schaden entsteht, wird der Behandlungsvertrag zwischen Praxisinhaber und Patient nicht ordnungsgemäß erfüllt.

 

Ob und in welcher Höhe der Praxisinhaber gegenüber dem Patienten schadenersatzpflichtig ist, richtet sich nach den allgemeinen Schadenersatzregelungen nach §§ 823 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Demgemäß muss der Schädiger, der vorsätzlich oder fahrlässig das Eigentum oder die Gesundheit eines anderen beschädigt, dem Geschädigten Ersatz leisten.

Haftung des Angestellten gegenüber dem Praxisinhaber

Verursacht dagegen ein Arbeitnehmer bei seiner Arbeit einen Personen- oder Sachschaden, kann er Schadenersatzansprüche i. d. R. zurück- und an den Arbeitgeber verweisen. Er haftet gegenüber dem Arbeitgeber nicht in gleichem Umfang wie gegenüber einem fremden Dritten für denselben Schaden außerhalb der Arbeitszeit. Ob und in welcher Höhe ein angestellter Therapeut für einen während der Arbeit eingetretenen Sach- oder Personenschaden haftet, wird nach von den Arbeitsgerichten entwickelten Grundsätzen zur Arbeitnehmerhaftung geprüft.

 

MERKE | Schon im Jahr 1994 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) festgestellt, dass die o. g. Schadenersatzregelungen des BGB für Arbeitnehmer nur eingeschränkt gelten. Die Richter waren der Auffassung, dass sich auch bei sorgfältigem Arbeiten gelegentliche Fehler nicht vermeiden lassen und der Arbeitnehmer wegen der Dauerhaftigkeit der Arbeitsleistung vermehrt zu Schadenersatzansprüchen herangezogen würde. Dies sei unbillig, weil der Arbeitnehmer innerhalb der Arbeitsorganisation des Arbeitgebers fremdbestimmte Arbeit leiste. Außerdem schulde er arbeitsvertraglich nur eine Arbeitsleistung, aber keinen Erfolg. Das Arbeitsentgelt erhalte er für erbrachte Leistungen, aber nicht für die Übernahme eines Risikos (BAG, Beschluss vom 27.09.1994, Az. GS 1/89).

 

Fahrlässigkeit als Kriterium für den Haftungsumfang

Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ außer Acht lässt. Für den Therapeuten bedeutet das, die im Praxisalltag und bei der Behandlung übliche Sorgfalt anzuwenden. Zu berücksichtigen ist dabei auch die Berufserfahrung des Therapeuten. Ob und in welchem Umfang ein angestellter Therapeut haften muss, hängt davon ab, welcher Grad an Fahrlässigkeit ihm zur Last gelegt werden kann.

 

  • Stufen der Fahrlässigkeit und Folgen für die Haftung

Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit

  • Vorsatz liegt vor, wenn der Schaden absichtlich verursacht wurde.
  •  
  • Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, z. B. wenn
    • das nicht beachtet wurde, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen und
    • selbst einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt wurden.
  •  
  • Maßgebend sind die persönlichen Umstände des schädigenden Arbeitnehmers-
  • Nach außen (gegenüber dem Geschädigten) haftet der Arbeitgeber allein.
  • Nach innen haftet der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber in voller Höhe für den durch sein Verhalten verursachten Schaden.
  • Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer voll in Regress nehmen, wenn er die Ansprüche des Patienten befriedigt hat.

Mittlere Fahrlässigkeit

  • Mittel fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB).
  • Nach außen haftet der Arbeitgeber allein.
  • Innerbetrieblich ist ein Schadensausgleich vorzunehmen. Welchen Anteil der Arbeitnehmer trägt, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Die Haftungsquote des Arbeitnehmers beträgt daher nicht immer 50 Prozent.
  • Für die Haftungsquote ist auch das Verhältnis zwischen der Schadenshöhe und der an den Arbeitnehmer gezahlten Vergütung maßgebend.

Leichte Fahrlässigkeit

  • Mit leichter Fahrlässigkeit handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt anwendet und gleichwohl einen Schaden verursacht.
  • Nach außen haftet der Arbeitgeber allein.
  • Gegenüber dem Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber keinerlei Ersatzansprüche.
 

Maßgeblich ist immer der Einzelfall ‒ Beispiele

Wer in welcher Höhe haftet, muss immer am konkreten Schaden und den Umständen des Schadenseintritts festgestellt werden.

 

  • Beispiel 1: Angestellte Therapeutin beschädigt die Brille einer Patientin
Situation
Haftung

Therapeutin Annegret ist in der Praxis von Physiotherapeut Peter angestellt. Sie stößt mit dem Arm die Brille von Frau Meier (Patientin) vom Tisch. Die Brille zerbricht.

  • Gegenüber Frau Meier haftet Peter als Praxisinhaber allein.
  • Für den internen Schadensausgleich gilt:
    • Bei grober Fahrlässigkeit ist Annegret gegenüber Peter schadenersatzpflichtig (z. B. wenn sie Frau Meier die Brille vor der Behandlung abgenommen und direkt an einer Tischkante oder auf der Sitzfläche eines Stuhls abgelegt hat).
    • Liegt mittlere Fahrlässigkeit vor, teilen sich Annegret und Peter den Schaden, z. B. wenn Annegret lesend oder telefonierend ‒ also stark abgelenkt ‒ durch die Praxis läuft.
    • Hat Annegret nur leicht fahrlässig gehandelt, ist sie nicht regresspflichtig.
 
  • Beispiel 2: Patient äußert Schmerzen nach „fehlerhafter Behandlung“
Situation
Haftung

Therapeut Jonas ist ebenfalls in Peters Praxis angestellt. Er behandelt Herrn Müller (Patient) heute zum dritten Mal. Nach der Behandlung behauptet Herr Müller, er habe Schmerzen, die die Folge der verabreichten Behandlung seien.

  • Gegenüber Herrn Müller haftet Peter als Praxisinhaber allein.
  • Kann Herr Müller nachweisen, dass seine Schmerzen auf einer fehlerhaften Behandlung beruhen, so kann er u. a. von Peter Schmerzensgeld verlangen (zum taktischen Vorgehen in diesen Fällen siehe PP 11/2016, Seite 11).
  • Ist ein Behandlungsfehler nachgewiesen, gilt intern:
    • Peter kann Jonas vollständig in Regress nehmen, wenn er ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachweisen kann. (Beispiel: Der Patient klagt schon vor der Behandlung über Schmerzen. Jonas behandelt ihn trotzdem wie gewohnt.)
    • Hat Jonas mit mittlerer Fahrlässigkeit gehandelt, wird der Schaden zwischen ihm und Peter geteilt. (Beispiel: Patient klagt nach 15 Minuten über Schmerzen, Jonas behandelt weitere 5 Minuten, weil 20 Minuten Therapie verordnet sind.
    • Bei leichter Fahrlässigkeit muss Jonas keinen Schadenersatz an Peter leisten. (Beispiel: Patient meint während der Behandlung, Jonas sei heute „grob“, äußert aber keine Schmerzen. Daher behandelt Jonas weiter.)
 

Ermittlung der Haftungsquote im internen Schadensausgleich

Bei mittlerer Fahrlässigkeit ist der Schaden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich zu verteilen. Dabei sind die Gesamtumstände von Schadensanlass und Schadensfolgen nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgrundsätzen abzuwägen. Zulasten des Praxisinhabers wirken sich vor allem eine fehlende Absicherung gegen den Schaden (s. u.) und ein Fehlverhalten als Arbeitgeber aus. Aus beidem kann jeweils ein Mitverschulden resultieren.

 

  • Kriterien für die Bestimmung der Haftungsquote ...
... auf Arbeitnehmerseite
... auf Arbeitgeberseite
  • Wie viel Schuld trifft den Arbeitnehmer am Schadenseintritt?
  • War die Arbeitsausführung mit besonderen Gefahren verbunden?
  • Wie hoch ist der eingetretene Schaden?
  • Welche Stellung hat der Arbeitnehmer im Betrieb?
  • Wie hoch ist sein Arbeitsentgelt?
  • Erhält der Arbeitnehmer in Anbetracht der auszuführenden Arbeiten eine Risikoprämie?
  • Wie lange gehört der Arbeitnehmer dem Unternehmen bereits an?
  • Wie alt ist der Arbeitnehmer?
  • Familienverhältnisse (z. B. Wie beeinflusst eine Schadenersatzzahlung zugunsten des Arbeitgebers den Lebensunterhalt der Familie?)
  • Konnte sich der Arbeitgeber gegen derartige Schäden durch eine Versicherung rückversichern? Wenn ja, warum hat er dies nicht getan?
  • Hat das Verhalten des Arbeitgebers zum Schadenseintritt beigetragen?
  • Wurde der Arbeitnehmer richtig in seine Arbeit eingewiesen? War im konkreten Fall eine besondere Anweisung des Arbeitgebers erforderlich?
  • Hat der Arbeitgeber alles getan, um eine schadensfreie Arbeitsausführung zu ermöglichen?
  • Welche Kosten blieben bei einer möglichen Versicherung vom Arbeitgeber zu tragen?
  • In welchem Verhältnis steht die Schadenssumme zum Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers?
  • Hat der Arbeitgeber derartige Schäden einkalkuliert oder einkalkulieren müssen?
  • Wie lange arbeitet der Arbeitnehmer schon schadenfrei?
  • Erhält der Arbeitnehmer einen Zuschuss zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung?
  • Gibt es Betriebsvereinbarungen oder einzelvertragliche Vereinbarungen, die die Haftungsfrage regeln?
  • Worin liegt die eigentliche Schadensursache? Wirklich nur im Verhalten des Arbeitnehmers?
 

Wichtig | Der o. g. Kriterienkatalog ist nicht abschließend. Die Gerichte ziehen je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls noch weitere Kriterien zur Bestimmung der Haftungsquote heran. Es können weitere Kriterien hinzutreten oder die Kriterien können unterschiedlich gewichtet werden. Die Bestimmung der Haftungsquote kann sich schwierig gestalten, denn es gibt keine Tabellen oder Listen, aus denen sich die Haftungsquote zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ablesen lässt. Für Beispiele aus der Praxis zum internen Schadensausgleich siehe den Beitrag in PP 05/2015, Seite 13.

Sichern Sie sich für den Schadensfall ab!

Eine fehlende Absicherung kann sich im Schadensfall für den Arbeitgeber nachteilig auswirken. Daher sind entsprechende Versicherungen dringend zu empfehlen. Die vorsätzliche Schadenszufügung kann nicht versichert werden. Versicherbar sind i. d. R. nur mittlere und leichte Fahrlässigkeit. Aber genau auf diese Stufen kommt es ja für die Haftung des Arbeitgebers an (s. o.):

 

  • Praxisinhaber und angestellte Therapeuten können sich gegen Ansprüche wegen Personen- und Sachschäden von Patienten mit einer Berufshaftpflichtversicherung schützen. Diese tritt ein, wenn ein Schaden konkret bei der Ausübung der Tätigkeit eintritt (Beispiele s. o.).

 

  • Der Praxisinhaber kann zusätzlich noch eine Praxis-/Betriebshaftpflichtversicherung abschließen. Diese tritt ein, wenn ein Sach- oder Personenschaden innerhalb des Betriebs, aber nicht konkret bei der Ausübung der Tätigkeit eintritt (z. B. wenn ein Patient beim Betreten der Praxis auf dem noch feuchten Flur ausrutscht und sich verletzt).

 

MERKE | I. d. R. prüft die über den Schaden/Unfall sofort zu informierende Haftpflichtversicherung, ob und in welchem Umfang der Versicherungsnehmer für den Schaden verantwortlich gemacht werden kann und in welcher Höhe die Versicherung eintreten muss. Kommt die Versicherung für den Schaden auf, kann möglicherweise trotzdem der Praxisinhaber geschädigt werden ‒ durch eine von ihm zu zahlende Selbstbeteiligung.

 

Kommt es zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer nicht zu einer Einigung über den Schadensausgleich, muss der Geschädigte seine Ansprüche direkt gegen den Praxisinhaber ‒ ggf. auch gerichtlich ‒ geltend machen (für Einzelfälle siehe PP 01/2019, Seite 13 oder PP 09/2017, Seite 19). Streitfälle können auftreten, wenn der Arbeitgeber die Schäden mit Vorsatz zu verantworten hat oder die Versicherung die geltend gemachten Schäden für zu hoch hält. In derartigen Fällen wird seine Berufshaftpflicht- oder Praxishaftpflichtversicherung den Schaden nicht oder nicht voll begleichen. Im Falle eines Gerichtsverfahrens ist dessen Ausgang für den Versicherer verbindlich.

 

Weiterführende Hinweise

  • „Wenn der Patient mit einem Prozess droht: So vermeiden Sie als Therapeut taktische Fehler“ (PP 12/2016, Seite 11)
  • „Unverhofft kommt oft: Ausgewählte Fälle zur Arbeitnehmerhaftung in der Therapiepraxis“ (PP 05/2015, Seite 13)
  • „Wenn dem Patienten der Pezziball um die Ohren fliegt, kann es teuer werden“ (PP 04/2008, Seite 1)
Quelle: Seite 12 | ID 46657620