· Fachbeitrag · GW-Handel
Rechtsprechungsreport ‒ Die wichtigsten Urteile des Jahres 2019 zum GW-Handel auf einen Blick
| Jahre ohne eine einzige GW-Entscheidung vom BGH haben Seltenheitswert. 2019 war ein solches Jahr. Nur zwei Pferde und eine alte Segelyacht haben es bis nach Karlsruhe geschafft. Für den GW-Handel ist aus diesen Urteilen kaum Honig zu saugen. Um so mehr aus einer ganzen Reihe von Entscheidungen der unteren Instanzen. ASR verschafft Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Richtersprüche. |
Sachmangel ja oder nein?
In welchen Fällen die Gerichte einen Sachmangel und damit eine Haftung des Händlers bejaht bzw. verneint haben, finden Sie in der nachfolgenden Übersicht.
Übersicht / Sachmängelhaftung ‒ ja oder nein? | |
Sachmängelhaftung bejaht | |
Mit dem Vorbehalt „Gesamtfahrleistung n. Angaben d. Vorbesitzers“ konnte der Händler zwar seiner Haftung für den Bruch einer Beschaffenheitsvereinbarung entgehen. Bei einer nachweisbaren Mehrleistung von mindestens 25.700 km war jedoch der Haftungstatbestand „Abweichung von der Normalbeschaffenheit“ erfüllt. | OLG Celle, Urteil vom 25.09.2019, Az. 7 U 8/19, Abruf-Nr. 212087 |
Ein als Mietwagen einer internationalen Autovermietung gelaufener Opel Vivaro kann nicht als „Werkswagen der Adam Opel AG“ verkauft werden. | OLG Koblenz, Urteil vom 25.07.2019, Az. 6 U 80/19, Abruf-Nr. 211045 |
Getriebeschaden nach einer Fahrstrecke von ca. 10.000 km, für den es zwei Ursachen gab, die beide vor der Auslieferung an den Käufer angelegt waren (vorzeitiger Verschleißschaden an der Doppelkupplung oder unfachmännische Arbeiten am Getriebe). | OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 11.07.2019, Az. 16 U 112/18, Abruf-Nr. 213437 |
Einen „ungewollten“ (atypischen) Verschleiß und damit einen Sachmangel bejaht das Gericht bei einer regelwidrigen Längung der Steuerkette und verurteilt den Händler auf Basis der Beweisvermutung des § 477 BGB zur Rückzahlung des Kaufpreises. | OLG Brandenburg, Urteil vom 01.03.2019, Az. 4 U 30/18, Abruf-Nr. 208161 |
Sachmängelhaftung verneint | |
Trotz zweier Vorschäden ist es einem Händler gelungen, jegliche Haftung von sich abzuwenden. Hilfreich war folgender Satz im Kaufvertrag: „Der Verkäufer weist ausdrücklich darauf hin, dass er das Fahrzeug auf etwaige Vorschäden nicht untersucht hat.“ | LG Fulda, Urteil vom 14.11.2019, Az. 2 O 76/18, Abruf-Nr. 212515 |
Trotz einer Tachomanipulation blieb ein Audi-Verkäufer von jeglicher Haftung verschont. Die Abweichung von wirklicher Gesamtlaufleistung und dem Tachostand war dem Käufer bekannt. Nicht erwarten durfte er, dass der Hersteller, die Audi AG, die Manipulation autorisiert hat. | OLG Thüringen, Beschluss vom 29.08.2019,Az. 1 U 239/19, Abruf-Nr. 212088 |
Wenn ein Autohaus nur einen einzigen Fahrzeugschlüssel aushändigt, ist das normalerweise ein Mangel. Anders ist die Rechtslage, wenn im Kaufvertrag unter „Empfangsbestätigung“ notiert ist „1 Schlüssel“. Für seine Behauptung, ihm sei die Nachlieferung eines Zweitschlüssels mündlich zugesagt worden, ist der Käufer beweispflichtig. | AG Brandenburg, Urteil vom 17.09.2019, Az. 31 C 94/18, Abruf-Nr. 212632 |
Das Fehlen einer Ölkontrollleuchte in einem Fiat Pkw stellt keinen Sachmangel dar, wenn alle gleichartigen Fiat-Modelle serienmäßig ohne eine solche Leuchte vom Band laufen. | LG Berlin, Urteil vom 16.04.2019, Az. 35 S 20/18, Abruf-Nr. 211855 |
Beweislastumkehr
Einen (Ausnahme-)Fall der Unvereinbarkeit der Beweisvermutung nach § 477 BGB bejaht das AG Buxtehude (Urteil vom 07.03.2019, Az. 31 C 538/18, Abruf-Nr. 207847) bei einem älteren Opel Corsa mit Anlasserproblem. Gleichfalls händlergünstig: AG Nordhausen (Urteil vom 08.10.2018, Az. 22 C 347/17 (Abruf-Nr. 212093) für einen Navi-Defekt.
Eine regelwidrige Längung der Steuerkette ist ein mangelhafter Zustand, der die Beweisvermutung zugunsten des Verbrauchers eingreifen lässt (OLG Brandenburg, Urteil vom 01.03.2019, Az. 4 U 30/18, Abruf-Nr. 208161).
Schadenersatz statt der Leistung oder neben der Leistung?
Die komplizierte Abgrenzung „Schadenersatz statt oder neben der Leistung“, mit der die meisten Gerichte nicht klar kommen, ist für Autohäuser von großer wirtschaftlicher Tragweite. Das OLG Frankfurt a. M. addiert zehn Schadenspositionen von zusammen 9.552 Euro und spricht dem Käufer lediglich 6.324 Euro zu, darunter allein 3.799 Euro für ein vorgerichtliches DEKRA-Gutachten (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 11.07.2019, Az. 16 U 112/18, Abruf-Nr. 213437).
Verjährung ‒ Verkürzung auf ein Jahr
Ob die bislang handelsübliche Klausel in den GW-Verkaufsbedingungen „Ansprüche des Käufers wegen Sachmängeln verjähren in einem Jahr ab Ablieferung …“ angesichts des Urteils des EuGH (Urteil vom 13.07.2017, Rs. C-133/16 ‒ Ferenschild, Abruf-Nr. 200502) noch wirksam ist, beurteilen die deutsche Instanzgerichte ganz unterschiedlich (der BGH hat noch nicht Position bezogen).
Pro Händler
- OLG Celle, Urteil vom 11.09.2019, Az. 7 U 362/18, Abruf-Nr. 211501 (Hinweis: Der Mangel hatte sich ein Tag nach Ablauf der Einjahresfrist gezeigt).
- LG Stuttgart, Urteil vom 08.11.2019, Az. 19 O 166/18, Abruf-Nr. 213438 (Mercedes AGB).
Pro Käufer (Verbraucher)
- OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 11.07.2019, Az. 16 U 112/18, Abruf-Nr. 213437
- OLG München, Beschlüsse vom 21.01.2019 und 19.03.2019, Az. 13 U 3666/18, Abruf-Nr. 209280 (das Gericht erklärt die Klausel wegen mangelnder Transparenz für unwirksam, und nicht wegen des Ferenschild-Urteils des EuGH)
Eigen- oder Agenturgeschäft oder Umgehungsgeschäft?
In diesem Dauer-Abgrenzungsstreit entscheidet das OLG Brandenburg mit der Annahme eines sauberen Agenturgeschäfts zugunsten des verklagten Autohauses (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.07.2019, Az. 6 U 11/19, Abruf-Nr. 211046).
Fernabsatz oder stationärer Kauf?
Das LG Osnabrück (Urteil vom 16.09.2019, Az. 2 O 683/19, Abruf-Nr. 211500) hat den Widerruf einer Verbraucherin aus München zurückgewiesen, die von einem Autohaus im Emsland einen GW gekauft hatte, ohne jemals vor Ort gewesen zu sein. Begründung: Kein Fernabsatzgeschäft.
Obwohl alles ‒ vom Inserat im Internet bis zum Vertragsschluss ‒ außerhalb des Autohauses gelaufen war, hat das Gericht kein Fernabsatzgeschäft angenommen. Der Vertragsschluss sei nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems erfolgt (§ 312c Abs. 1 BGB).
Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht
Die Eigenschaft eines Fahrzeugs als Mietrückläufer ist eine wesentliche GW-Eigenschaft. Sie darf einem Verbraucher nicht vorenthalten werden. Andernfalls liegt ein Wettbewerbsverstoß vor (OLG Oldenburg, Urteil vom 15.03.2019, Az. 6 U 170/18, Abruf-Nr. 208492).
Ein Kfz-Händler handelt unlauter nach § 5 UWG, wenn er ein Fahrzeug in eine Fahrzeugbörse im Internet mit einem Preis einstellt, der nur für den besonderen Fall gilt, dass das Fahrzeug eine Tageszulassung erhält oder der Kunde ein anderes Fahrzeug in Zahlung gibt (OLG Köln, Urteil vom 05.04.2019, Az. 6 U 179/18, Abruf-Nr. 208595).
Die Bezeichnung „Geländewagen“ für einen Pkw ohne Allradantrieb ist irreführend und somit wettbewerbswidrig (LG Berlin, Beschluss vom 12.03.2019, Az. 102 O 16/19, Abruf-Nr. 209232).
Weiterführender Hinweis
- Beitrag „Rechtsprechungsreport ‒ Die wichtigsten Urteile des Jahres 2019 zum NW-Handel auf einen Blick“, ASR 1/2020, Seite 15 → Abruf-Nr. 46271712