· Fachbeitrag · Gewerbs- und bandenmäßige Steuerhinterziehung
Vorrang des § 370 AO gegenüber § 263 Abs. 5 StGB
von RD David Roth, LL.M. oec., Köln
| Eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verdrängt einen mitverwirklichten gewerbs- und bandenmäßigen Betrug, § 263 Abs. 5 StGB. Das hat das LG Wiesbaden unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsansicht entschieden. |
Sachverhalt
Gegen den Angeklagten wurde wegen Cum-Ex-Geschäften ermittelt. Das LG hatte hierzu am 17.3.21 TKÜ-Maßnahmen nach § 100a Abs. 1 S. 1, § 100e Abs. 1 S. 1 StPO angeordnet. Es war nach damaliger Rechtsansicht vom Vorwurf des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs (§ 263 Abs. 5 StGB, Katalogtat des § 100a StPO) sowie schwerer Steuerhinterziehung ausgegangen.
Entscheidungsgründe
Am Vorwurf des § 263 Abs. 5 StGB hält das LG nicht mehr fest (1.9.21, 6 KLs - 1111 Js 18753/21, Abruf-Nr. 225689). Es geht nun von einer umfassenden Spezialität der steuerrechtlichen Strafvorschriften aus. Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verdränge den mitverwirklichten gewerbs- und bandenmäßigen Betrug, § 263 Abs. 5 StGB. Da es bei § 100a StPO nicht genügt, dass ein konkurrenzrechtlich zurücktretender Tatbestand Katalogtat ist (BGH 26.2.03, 5 StR 423/02, juris), war (mangels Katalogtat) die Rechtswidrigkeit der TKÜ-Maßnahmen festzustellen.
Beachten Sie | Seit dem 1.7.21 ist (neben § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 5 AO) auch die Steuerhinterziehung großen Ausmaßes (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO) TKÜ-Katalogtat, sofern der Täter als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach § 370 Abs. 1 AO verbunden hat. Die TKÜ-Beschlüsse des LG datierten aber davor, sodass dies noch nicht galt.
Spezifische steuerrechtliche Regelungen ‒ wie die strafbefreiende Selbstanzeige ‒ würden ausgehebelt, wenn einzelne Regelungen des Kernstrafrechts auf steuerliche Delikte ausgeweitet würden. Wegen der jährlich wiederkehrenden Erklärungspflichten habe § 370 AO zudem seriellen Charakter, sodass i. d. R. auch eine gewerbsmäßige Begehung in Betracht komme. Die danach oft naheliegende Anwendung des § 263 Abs. 5 AO bei Steuerhinterziehungen führe zur unverhältnismäßigen Inkriminierung von „Alltagskriminalität“. Den konkurrenzrechtlichen Grundsatz, ein Vergehen (§ 370 AO) könne ein Verbrechen (§ 263 Abs. 5 StGB) nicht verdrängen, weist das LG zurück. Auch bei Normen des Kernstrafrechts (§§ 216 und 211 StGB) seien teilweise Vergehen vorrangig.
Relevanz für die Praxis
Das LG reagiert mit seiner „Rolle rückwärts“ auf ablehnende Literaturansichten zur Entscheidung des OLG Frankfurt (z. B. Adick/Linke, NZWiSt 21, 238; ansatzweise zustimmend demgegenüber Müller-Metz, NStR-RR 21, 249) und stellt sich gegen „sein“ OLG. Das OLG Frankfurt hat seine Ansicht aber mehrfach wiederholt und vertieft (zuletzt 6.5.21, 2 Ws 132/20, PStR 21, 203, Abruf-Nr. 223365). Abweichende Instanz-Entscheidungen dürfte das OLG Frankfurt folglich kassieren. Endgültig wird die Streitfrage wohl der BGH entscheiden.