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· Fachbeitrag · Erbvertrag

Testierfreiheit bei vorverstorbenem Schlusserben

von RA und Notar, StB, FA ErbR Dipl.-Kfm. Gerhard Slabon, Paderborn

| Das OLG München hatte sich in seinem Beschluss vom 5.11.20 mit der Frage zu beschäftigen, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn einer von drei erbvertraglich eingesetzten Schlusserben ‒ ohne eigene Abkömmlinge ‒ infolge Vorversterbens wegfällt. Konkret ging es darum, ob der Überlebende dann frei wird, in Bezug auf diesen Erbteil neu zu testieren, oder ob vielmehr der „frei gewordene“ Erbteil den anderen eingesetzten Schlusserben anwächst. |

 

Sachverhalt

Die Erblasserin E und ihr vorverstorbener Ehemann schlossen 1979 einen Erbvertrag. Darin setzten sich die Ehegatten in einseitig unwiderruflicher Weise gegenseitig zu Alleinerben ein. Für den Tod des Überlebenden bestimmten sie die einseitige Tochter der Ehefrau (T) und die beiden einseitigen Töchter des Ehemanns zu je einem Drittel zu Schlusserben. Ersatzerben wurden ausdrücklich nicht bestimmt. Die T ist dann ohne Hinterlassung von Abkömmlingen (offenbar nach dem Ehemann) vorverstorben.

 

E errichtete nach dem Tod des Ehemanns weitere Testamente. Zuletzt bestimmte sie den D zu ihrem Alleinerben. Nach dem Tod der E beantragten die beiden Töchter des Ehemanns einen Erbschein, der sie als Miterben zu gleichen Teilen ausweist. Sie sind der Auffassung, der Erbvertrag konnte von der E nicht mehr abgeändert werden. Der Erbteil der T sei ihnen angewachsen und diese Anwachsung würde von der Bindungswirkung gemäß § 2278 BGB i. V. m. § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB erfasst. Dem ist der D erfolgreich entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Das Gericht (OLG München 5.11.20, 31 Wx 415/17, Abruf-Nr. 219172) gab letztlich dem D im Wesentlichen recht.

 

Fällt einer der Erben vor oder nach dem Eintritt des Erbfalls weg, so bestimmt § 2094 BGB, dass der Erbteil des Weggefallenen den übrigen Erben nach dem Verhältnis ihrer Erbteile anwächst. Allerdings erscheint es bereits fraglich, ob die nach § 2094 BGB eintretende Anwachsung überhaupt eine vertragsmäßige Verfügung i. S. d. § 2278 Abs. 2 BGB darstellt. Nach § 2278 BGB können andere Verfügungen als Erbeinsetzungen, Vermächtnisse, Auflagen und die Wahl des anzuwendenden Erbrechts vertragsmäßig nicht getroffen werden. Die Anwachsung tritt hingegen als dispositive Ergänzungsnorm kraft Gesetzes ein. Im Hinblick darauf stellt die Anwachsung nach Auffassung des Gerichts gerade keine Verfügung i. S. d. § 2278 BGB dar.

 

Im vorliegenden Fall tritt die Anwachsung allein kraft Gesetzes infolge Vorversterbens der Bedachten ein, da die Ehegatten für diesen Fall ausdrücklich keine Regelung („Ersatzerben werden heute nicht bestimmt“) getroffen haben. Insofern ist die Anwachsung nicht die Kehrseite einer von den Ehegatten getroffenen Erbeinsetzung, sodass sich die Anwachsung nicht als „andere Verfügung“ i. S. d. § 2278 Abs. 2 BGB darstellt und demgemäß in diesem Umfang auch keine Bindungswirkung eintreten kann.

 

Die Frage, ob die infolge Wegfalls eines Bedachten nach § 2094 BGB eintretende Anwachsung unter § 2278 BGB fällt und sich insofern als vertragsmäßig darstellt, bedurfte hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Bereits die individuelle Auslegung der im Erbvertrag getroffenen Anordnungen führt zu dem Ergebnis, dass die E nach Wegfall ihrer Tochter zu einer neuen letztwilligen Verfügung in Bezug auf diesen Erbteil befugt sein sollte.

 

Zu Schlusserben eingesetzt waren die einseitigen Töchter des Ehemanns und die einseitige Tochter T der Ehefrau. Das Interesse so testierender Ehegatten ist in der Regel primär darauf gerichtet, dass der eine Ehepartner an seine letztwillige Verfügung zugunsten der Abkömmlinge des anderen Ehepartners gebunden ist, nicht aber an seine Verfügung zugunsten des eigenen Kindes. Demgemäß war die E nicht daran gehindert, in Bezug auf den ihrer Tochter ursprünglich zugedachten Erbteil neu zu testieren. Hinsichtlich der einseitigen Töchter des Ehemanns war sie hingegen durch den Erbvertrag gebunden. Daher führt die Neutestierung der E zu einer Erbenstellung des D zu 1/3.

 

Relevanz für die Praxis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Werden Ersatzerben ausdrücklich nicht bestimmt, kann dies nicht über den Umweg der Anwachsung in das Testament hineingelesen werden. In einem solchen Fall ist tatsächlich nach der Interessenlage der testierenden Ehegatten zu fragen. Gerade in der Konstellation mit jeweils einseitigen Kindern wird die Bindungswirkung aus Sicht des erstversterbenden Ehegatten lediglich im Hinblick auf die eigenen Kinder gewollt sein. Deren Teilhabe am Nachlass ist sicherzustellen. Dagegen muss der überlebende Ehegatte in Bezug auf den Erbteil seines eigenen Kindes frei sein, wenn dieses nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten wegfällt.

Quelle: Seite 301 | ID 47002637