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· Nachricht · Erbenhaftung

Haftung der Erben für Folgen eines Suizids

| Die Haftung der Erben gegenüber einem Lokführer nach einem Suizid des Erblassers auf Bahngleisen kann im Einzelfall ausgeschlossen sein (OLG Frankfurt/Main 24.6.20, 16 U 265/19, Abruf-Nr. 217581 ). |

 

Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem Bahnunglück. Im Jahr 2013 kollidierte kurz nach Mitternacht ein Güterzug mit einer im Gleisbett stehenden bzw. sich dort bewegenden Person. Der Lokführer bemerkte diese Person, als diese ca. 20 m vor der Lok auftauchte. Trotz einer sofort eingeleiteten Schnellbremsung konnte der Lokführer nicht verhindern, dass er die Person tödlich verletzte. Der Lokführer war im Anschluss an dieses Ereignis knapp zwei Jahre arbeitsunfähig krankgeschrieben. Für die an den Lokführer während dieses Zeitraums geleisteten Zahlungen (Fortzahlung der Dienstbezüge sowie Heilbehandlungskosten) in Höhe von ca. 90.000 EUR verlangte die Klägerin von den Erben der verstorbenen Person Schadenersatz.

 

Das LG Wiesbaden hatte die Klage abgewiesen. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Klägerin hat das OLG Frankfurt/Main zurückgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

 

Eine Haftung der Erben für den geltend gemachten Schaden scheide aus, weil der Verstorbene im Zeitpunkt der Schadenshandlung (Suizid) nicht schuldhaft gehandelt habe. Den Schaden habe er vielmehr ‒ wie der Sachverständige ausgeführt habe ‒ in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit zugefügt (§ 827 S. 1 BGB). Der Sachverständige habe dargelegt, dass der Verstorbene nicht mehr in der Lagegewesen sei, seine Gedanken auf die Auswirkungen seines Tuns, insbesondere für den Lokführer, zu richten und seine Entscheidung zu verändern. Dass der Verstorbene seine Suizidhandlung bewusst und akribisch geplant habe, spreche nicht für seine Schuldfähigkeit. Der Sachverständige habe insoweit überzeugend dargelegt, dass der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Ziel z‒ seinen Freitod ‒ gekannt habe. Er habe weder zwischen Richtig und Falsch unterscheiden noch Alternativen wahrnehmen können. Es bestehe auch keine Ersatzpflicht der Beklagten aus Billigkeitsgründen (§ 829 BGB).

 

MERKE | Die nach den Ausführungen des OLG zutreffende Entscheidung kann nicht verallgemeinert werden. Zunächst ist davon auszugehen, dass die Erben des Verstorbenen für diejenigen Schäden, die dieser durch eine unerlaubte Handlung i. S. d. § 823 BGB verursacht hat, nach § 1967 BGB haften. Es handelt sich dabei um sogenannte Erblasserschulden, also um „vom Erblasser herrührende Schulden“ (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl. 2020, § 1967 Rn. 2). Soweit allerdings das Verschuldensprinzip gilt, ist die Zurechnungsfähigkeit (Verschuldens- und Deliktsfähigkeit) des Schädigers Haftungsvoraussetzung. Dadurch wird ein subjektives Korrektiv zum objektiven Sorgfaltsmaßstab geschaffen. In Ausprägung dieses Grundsatzes schließt u. a. § 827 S. 1 BGB bei festgestellter Zurechnungsunfähigkeit die zivilrechtliche Haftung aus. Nur deshalb und weil auch eine Billigkeitshaftung nach § 829 BGB zu verneinen war, kam im Einzelfall eine Haftung der Erben nicht in Betracht.

 
Quelle: Seite 146 | ID 46830779