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· Fachbeitrag · Entgeltfortzahlung

Keine neue Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei neuer, aber nur zusätzlicher Krankheit

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA ArbR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

| Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist wegen des Vorliegens derselben Krankheit auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die auf dem fortbestehenden Grundleiden beruht. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat. |

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der ArbG betreibt eine Einrichtung der Altenpflege. Die ArbN war dort als Fachkraft in der Altenpflege beschäftigt. Seit dem 7.2.17 war sie infolge eines psychischen Leidens arbeitsunfähig. Der ArbG leistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum von sechs Wochen. Da die ArbN noch länger arbeitsunfähig erkrankt war, bezog sie im Anschluss daran Krankengeld.

 

Am 19.5.17 unterzog sich die ArbN wegen eines gynäkologischen Leidens einer seit Längerem geplanten Operation. Die Frauenärztin fertigte hierfür eine Erstbescheinigung wegen einer neuen Krankheit sowie darauf fußende Folgebescheinigungen aus. Im Juli 2017 erhielt die ArbN bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis Urlaub und Überstundenausgleich, sodass durchgängig keine Arbeitsleistung mehr erbracht wurde. Zeitgleich begann sie eine Psychotherapie bei einem Neurologen. Sie erhielt in der Zeit seit dem 19.5. weder eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall noch Krankengeld von ihrer Krankenkasse.

 

Die ArbN begehrt die Zahlung von sechs Wochen Entgeltfortzahlung, da sie ab dem 19.5.17 wegen einer neuen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sei. Die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer zuvor vorliegenden psychischen Erkrankung habe am Tag zuvor geendet. Der ArbG geht dagegen von einem einheitlichen Verhinderungsfall aufgrund derselben Krankheit aus, da die psychische Krankheit fortlaufend vorgelegen habe.

 

Das LAG Niedersachsen (26.9.18, 7 Sa 336/18) wies die Klage anders als die Vorinstanz ab.

 

Entscheidungsgründe

Der 5. Senat des BAG (11.12.19, 5 AZR 505/18, Abruf-Nr. 212762) wies die Revision der ArbN zurück. Er erkannte gleichfalls einen einheitlichen Verhinderungsfall. Der ArbG könne nur erneut zur Entgeltfortzahlung verpflichtet werden, wenn nicht dieselbe Krankheit vorliege. Dies könne zwar auch bei einem direkten Anschluss der einen auf eine andere Krankheit der Fall sein.Bei einem engen zeitlichen Zusammenhang einer weiteren Arbeitsunfähigkeit mit einer bisherigen Arbeitsunfähigkeit müsse jedoch der ArbN im Streitfall darlegen und beweisen, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet habe.

 

Im vorliegenden Fall habe das LAG nach der Vernehmung der behandelnden Ärzte zutreffend festgestellt, dass der Beweis für das Ende der alten Krankheit nicht erbracht worden sei. Die ArbN hätte jedoch den Beweis für das Nichtvorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls erbringen müssen. Aus den Angaben der Ärzte und dem attestierten Verlauf der psychischen Erkrankung ergebe sich eine Fortsetzung dieser Krankheit, die sich insbesondere in der Aufnahme der Psychotherapie noch im Juli 2017 zeige.

 

Relevanz für die Praxis

Ein ArbN hat nach § 3 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den ArbG für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Dies gilt indes nicht, wenn der ArbN infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig wird, soweit nicht ausnahmsweise wegen Ablaufs der in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 EFZG genannten Frist von 6 bzw. 12 Monaten der Entgeltfortzahlungszeitraum erneut zu laufen beginnt.

 

In der Praxis stellt sich die Frage, welche Erkrankung noch als dieselbe Krankheit gilt. Zudem ist problematisch, ob den ArbG die Beweislast für das Vorliegen derselben Krankheit trifft oder der ArbN den Gegenbeweis erbringen muss.

 

Für beide Problemkreise hat nun das BAG mit der hier gegenständlichen Entscheidung zur Klärung beigetragen. Dieselbe Krankheit liegt dann nicht vor, wenn bei Eintritt der weiteren Krankheit die vorherige Krankheit beendet ist. Das ist wiederum bei einem einheitlichen Verhinderungsfall nicht gegeben. Setzt die weitere Krankheit auf einem fortbestehenden Grundleiden auf, handelt es sich noch immer um dieselbe Krankheit. Anders liegen die Dinge nur bei einem Ende der vorigen Krankheit mit dem Eintreten des neuen Krankheitsbildes.

 

Das Nichtvorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls ist eine negative Tatsache, für welche den ArbN die Beweislast trifft. Wie der vorliegende Fall zeigt, reicht dafür die bloße Vorlage einer Erstbescheinigung eines behandelnden Arztes nicht aus, wenn Anzeichen für ein Fortlaufen der ursprünglichen Erkrankung erkennbar sind. In solchen Konstellationen ist es Sache des ArbN, das tatsächliche Ende der ursprünglichen Krankheit durch sachverständige Ausführungen zu beweisen.

 

Weiterführende Hinweise

  • Was bedeutet der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls? in AA 20, 37
  • Coronavirus, Grippe und Co. ‒ wann muss der ArbG zahlen? in AA 20, 68
Quelle: Seite 76 | ID 46418601