· Fachbeitrag · Elementarschadenversicherung
Ausschluss für Schäden durch Sturmflut erfasst keine mittelbare Verursachung
von RiOLG a. D. und RA Dr. Dirk Halbach, Köln
| Der in der Elementarversicherung für Überschwemmungsschäden enthaltene Ausschluss für Schäden durch Sturmflut in § 8 Nr. 4 lit. a) bb) ECB 2010 greift nicht ein, wenn die Sturmflut nur mittelbar im Landesinneren durch angestautes Flusswasser eine Überschwemmung verursacht hat. So entschied es das KG. |
Sachverhalt
Der VN begehrt vom VR Versicherungsleistungen in Höhe von 13.504,89 EUR aus einer für das Objekt H. bestehenden erweiterten Gebäudeversicherung. Auslöser war ein Überschwemmungsereignis in der Nacht vom 4. auf den 5.1.17, als der Fluss Warnow über die Ufer trat. Der VR ist der Ansicht, die geltend gemachten Nässeschäden seien durch Sturmflut im Sinne des § 8 Ziffer 4 a) bb) der in den Versicherungsvertrag einbezogenen Bedingungen (ECB 2010 ‒Version 1.4.14 GDV 1201) verursacht worden. Deshalb sei seine Einstandspflicht ausgeschlossen.
Das LG hat den VR antragsgemäß verurteilt, weil die Voraussetzungen des Ausschlusses nicht erfüllt seien.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des VR hatte vor dem KG keinen Erfolg (KG 26.7.19, 6 U 139/18, Abruf-Nr. 211298).
Die im Erdgeschoss des Versicherungsobjekts eingetretenen Nässeschäden beruhen auf dem versicherten Ereignis „Überschwemmung”. Denn das Versicherungsgrundstück ist in der Nacht vom 4. auf den 5.1.17 infolge einer Ausuferung des Flusses Warnow bedingungsgemäß mit nicht unerheblichen Mengen von Oberflächenwasser überflutet worden. Für die Beseitigung der Schäden am Gebäude waren insgesamt 13.504,89 EUR (Trocknungs- und Elektroinstallationskosten) erforderlich.
Entgegen der Ansicht des VR ist seine Leistungspflicht nicht gemäß § 8 Ziffer 4. a) bb) ECB 2010 ausgeschlossen, denn die eingetretenen (Nässe-)Schäden sind nicht „durch Sturmflut” im Sinne dieser Klausel entstanden.
- Dagegen spricht bereits, dass sich der VR veranlasst sah, ein Gutachten zu der Frage einzuholen, ob zum Zeitpunkt des Schadeneintritts eine „Sturmflut” unter Berücksichtigung der in einschlägigen Fachkreisen bekannten Definitionen und Klassifizierung vorlag. Nach dem Gutachten des Sachverständigen für Ingenieurhydrologie und Hydraulik im Wasserbau gibt es allein drei verschiedene fachliche Definitionen bzw. Klassifizierungen für eine „Sturmflut” an der deutschen Ostseeküste. Dabei hat er deren Beschreibung noch eine weitere, allgemeine Definition vorangestellt, die als Element einer „Sturmflut” zusätzlich die Gezeitenwirkung berücksichtigt. Zum Geltungsbereich der vereinbarten Ausschlussklausel ist jedoch in rechtlicher Hinsicht zunächst umfassender zu prüfen, ob bei einer Auslegung der Bedingungen aus der Sicht eines durchschnittlichen VN das durch das Tief „Axel” an der Ostseeküste ausgelöste e„Sturmhochwasser” überhaupt als eine „Sturmflut” im Sinne der Ausschlussklausel verstanden wird.
- Der Begriff der „Sturmflut” muss zum Auslegen der Bedingungen auch geprüft werden, weil an die Auslegung ein objektiv-generalisierender Maßstab anzulegen ist. Zwar geht nach allgemeinen Regeln der übereinstimmende Wille der Parteien dem Wortlaut des Vertrags und jeder anderen Deutung auch bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor. Das Verständnis der Parteien ist dann wie eine Individualvereinbarung zu behandeln. Das setzt jedoch voraus, dass die Parteien bei Vertragsschluss die Klausel in einem bestimmten Sinn verstanden haben. Dafür gibt es hier jedoch keine Anhaltspunkte.
- Zunächst ist daher nach den vorstehenden Auslegungsgrundsätzen zu fragen, was ein durchschnittlicher VN in dem hier gegebenen Zusammenhang unter einer Sturmflut versteht. Eindeutig ist insoweit nur, dass eine Sturmflut nach allgemeinem Sprachverständnis mindestens zwei Voraussetzungen hat, nämlich erstens ein außergewöhnlich hohes Ansteigen des Wassers an Meeresküsten und in Flussmündungen, und zweitens dessen Verursachung durch auflandigen Sturm.
- Eindeutig ist insoweit aber keineswegs, dass nicht noch ein drittes Element hinzukommen muss, um überhaupt von einer Sturmflut im eigentlichen Sinne sprechen zu können, nämlich die Mitverursachung durch die Gezeiten. Da an der deutschen Ostseeküste bekanntermaßen die astronomische Gezeitenwirkung nur von untergeordneter Bedeutung ist, wird an dieser Küste deshalb auch der Begriff “Sturmhochwasser” für die Beschreibung des Vorgangs erhöhter Wasserstände an der Küste infolge von Windeinwirkung verwendet. Im Hinblick auf den Wortbestandteil „…flut” ‒ „Das Ansteigen des Meeres, das auf die Ebbe folgt” wird unter einer Sturmflut im engeren Sinne ein unregelmäßiges Hochwasser der See verstanden, das durch Windstau des Wassers verursacht und durch die Gezeiten noch verstärkt wird.
Ob dieser Ausschluss auf die besonders gefährlichen gezeitengesteuerten Sturmfluten, die zu Schäden verheerenden Ausmaßes führen können, begrenzt sein oder auch Sturmhochwasser der Ostsee umfassen soll, ist nicht eindeutig.
Im Ergebnis führen damit sowohl die Wortlautauslegung als auch die Auslegung nach dem für den VN erkennbaren Zweck und Sinnzusammenhang dazu, dass der VN zwar eindeutig erkennt, dass die durch eine gezeitengesteuerten Sturmflut verursachten Überschwemmungsschäden aufgrund deren besonderer Gefährlichkeit nicht versichert sein sollen, dass er insoweit aber Zweifel hat, ob dies auch für Sturmhochwasser an der Ostsee gelten soll. Da Risikoausschlussklauseln grundsätzlich eng und nicht weiter auszulegen sind, spricht einiges dafür, den Anwendungsbereich des hier vereinbarten Ausschlusses von Schäden durch Sturmflut auch auf diese gezeitengesteuerten Sturmfluten zu begrenzen. Daher bestünde vorliegend bereits keine Sturmflut im Sinne der Bedingungen. Letztlich kann dies vorliegend aber dahinstehen.
Denn auch wenn man im Hinblick auf die für die deutsche Ostsee herausgegebenen Sturmflutwarnungen, sowie den damit einhergehenden Berichten in den Medien über Sturmfluten an der Ostsee den Anwendungsbereich der Ausschlussklausel auf die Ostsee erstreckt, sind die dem VN durch die Überschwemmung entstandenen Schäden von dem Ausschlusstatbestand nicht erfasst. Sie wurden jedenfalls nicht „durch” Sturmflut im Sinne der Ausschlussklausel verursacht.
- Die Sturmflut kann sich zwar auch auf Buchten, Mündungstrichter von Flüssen sowie sogen. Boddengewässer und Achterwasser erstrecken. Der Hafen von Rostock liegt jedoch nicht an derartigen Gewässern, sondern am Fluss Unterwarnow. Dieser hat nur über einen Seekanal eine Verbindung zur 16 km entfernten Meeresküste. Er kann insoweit nicht mit dem Hafen von Hamburg verglichen werden, auch wenn dieser noch wesentlich weiter von der Nordseeküste entfernt liegt. Denn Hamburg liegt an der tidebeeinflussten Unterelbe, sodass im Falle einer Sturmflut die etwa 100 km nordwestlich von Hamburg liegende Elbmündung das in der Deutschen Bucht gestaute Wasser aufnehmen kann. Vielmehr haben die stark auflandigen Winde im Bereich der Ostsee dazu geführt, dass die Warnow nicht mehr regelgerecht durch den engen Seekanal zwischen Rostock und Warnemünde in die Ostsee abfließen konnte. Dadurch kam es zunächst landeinwärts zu einem Anstau des Flusswassers. Anschließend trat das Flusswasser über die Ufer und überschwemmte das versicherte Grundstück.
- Die Sturmflut an der Ostsee hat damit die Überschwemmung des Versicherungsgrundstücks nur mittelbar verursacht. Aus dem gesamten Wortlaut des Ausschlusstatbestands, dem Sinnzusammenhang und dem für den VN erkennbaren Zweck ergibt sich aber, dass aus der Sicht des durchschnittlichen VN eine mittelbare Ursache nicht ausreicht, damit der Ausschlusstatbestand eingreift. Schon der Wortlaut des § 8 Nr. 4 a) ECB 2010 lässt sich kaum damit vereinbaren, die dort aufgeführten ausgeschlossenen Gefahren als mittelbare Ursache einer Überschwemmung zu begreifen. Dass bei den aufgeführten Gefahren letztlich weder notwendigerweise eine mittelbare Kausalität noch eine Mitkausalität gegeben sein muss, erkennt der VN im Übrigen bei vollständiger und aufmerksamer Durchsicht der Bedingungen daran, dass es sich bei einer gemäß § 8 ECB 2010 vereinbarten Versicherung gegen Überschwemmung wie bei allen anderen aufgeführten Gefahren jeweils um einen rechtlich selbstständigen Vertrag handelt. Die Ausschlüsse können damit auch nur schlicht den Zweck haben, von vornherein eine Mitversicherung von Schäden auszuschließen, für die ein gesonderter Vertrag abzuschließen wäre.
- Auch der für den durchschnittlichen VN erkennbare Zweck des Ausschlusses der Sturmflut spricht dagegen, dass die Ausschlussklausel bei nur mittelbarer Kausalität der Sturmflut angewendet wird. Denn ein durchschnittlicher VN verbindet mit dem Ausschluss von Schäden durch Sturmflut die Vorstellung, dass sich die Meeresfluten über das hinter der Küste liegende Land ergossen und dieses überflutet haben müssen, insbesondere dadurch, dass Deiche gebrochen oder sonstige Küstenschutzvorrichtungen versagt haben. Da hierdurch Schäden katastrophalen Ausmaßes entstehen können, wird er nachvollziehen, dass diese von dem „normalen” Überschwemmungsrisiko nicht umfasst sind. Er wird deshalb von einem fehlenden Versicherungsschutz für sein Grundstück nur ausgehen, wenn das Meereswasser auch sein Grundstück erreicht hat. Der Senat fordert für das Eingreifen des Ausschlusses nicht, dass sich die Sturmflut unmittelbar auf das Gebäude ergossen haben muss. Erforderlich ist aber, dass es zu einer Sturmflut in Form einer über die Küstenlinie getretenen Überschwemmung des Versicherungsgrundstücks gekommen ist und hierdurch ‒ dann ggf. nur mittelbar ‒ versicherte Sachen beschädigt worden sind.
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung, die umfangreiche technische Ausführungen zum Küstenschutz enthält, hat erhebliche Bedeutung für die Grundstückseigentümer in der Nähe der Ostseeküste, die von Sturmfluten bedroht sind.
- In dem vom BGH VersR 05, 828 entschiedenen Fall ging es um die Voraussetzungen der Entschädigung und nicht um einen Ausschluss. Wasser eines Sees hatte sich auf dem Grundstück des VN bis zu 2 Metern ausgebreitet. Es war zwischen Bodenplatte und Estrich in den Keller gelaufen. Dabei hatte der Wasserspiegel die Kelleraußenwand selbst nicht erreicht. Hier führte der BGH aus, dass es für die Ersatzpflicht genüge, wenn der bloße Ursachenzusammenhang bestehe ohne weitere qualifizierende Beschränkungen. Anders ist es, wenn eine an der Außenküste aufgetretene Sturmflut in Form eines Sturmhochwassers mittelbar eine Überschwemmung im Landesinneren durch auf das Versicherungsgrundstück übertretendes Flusswasser ausgelöst hat.
- Der OGH Wien (VersR 07, 1723) hat entschieden, dass die durch Einwirkung des Windes entstandenen Wellen eines Sees (Wolfgangsee) nicht unter den Begriff der Sturmflut fallen. Auf verschiedene Definitionen der Sturmflut wird dort Bezug genommen.
- Die hochwasserbedingte Beschädigung eines Granitwehres innerhalb eines Flussbettes fällt nicht unter das Risiko der Überschwemmung (OLG Frankfurt a.M. VK 18, 42).
- Hochwasser innerhalb des Bettes eines oberirdisch fließenden Gewässers ist keine Überschwemmung (OLG Bamberg r+s 14, 19).
Weiterführender Hinweis
- Überschwemmung: Kein Versicherungsschutz bei Hochwasser innerhalb des Flussbetts, OLG Frankfurt a.M., VK 18, 42