· Fachbeitrag · Bilanzierung
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den handelsrechtlichen Jahresabschluss 2020 (Teil 1)
von Prof. Dr. Hanno Kirsch, Meldorf
| Im Unterschied zu den für das Geschäftsjahr 2019 erstellten Jahresabschlüssen und Lageberichten wirkt sich die Corona-Pandemie beim Abschluss für 2020 nicht nur auf den Anhang und den Lagebericht, sondern vor allem auf die Bilanz und GuV aus. Hierzu zählen insbesondere außerplanmäßige Abschreibungen, die Bildung von Rückstellungen und die Anpassung aktiver latenter Steuern. |
1. Einführung
Erste Auswirkungen der Corona-Pandemie sind bereits in den Jahresabschlüssen und Lageberichten für das Geschäftsjahr 2019 enthalten. Betroffen sind der im Anhang enthaltene Nachtragsbericht und der Prognose- sowie (Chancen- und) Risikenbericht des Lageberichts. Hingegen blieben Bilanz und GuV als Kernbestandteile des Jahresabschlusses (vgl. § 242 Abs. 3 HGB) für das Geschäftsjahr 2019 praktisch unberührt von der Corona-Pandemie. Denn die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie für den Jahresabschluss 2019 waren als ein nach dem Abschlussstichtag eingetretenes, wertbegründendes Ereignis und nicht als ein die Verhältnisse zum Bilanzstichtag 31.12.19 werterhellendes Ereignis anzusehen (vgl. IDW, Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung zum Stichtag 31.12.19 und deren Prüfung, Fachlicher Hinweis, Teil 1, Abschnitt 2 vom 4.3.20 sowie Kirsch, BBP 20, 105).
Nach der Veröffentlichung des 1. Teils hat sich das IDW in zwei weiteren fachlichen Stellungnahmen (im Folgenden als IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 1, 2 oder 3 bezeichnet) zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Rechnungslegung und deren Prüfung geäußert (abrufbar unter www.iww.de/s4228). Vor diesem Hintergrund stellt der Beitrag typische Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bilanz und die GuV für das Geschäftsjahr 2020 dar.
2. Auswirkungen auf allgemeine Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze
Der Bilanzierende hat ‒ wie grundsätzlich zu jedem Abschlussstichtag ‒ zunächst die Annahme der Unternehmensfortführung (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) zu prüfen. Bei der Abschlusserstellung haben der Bilanzierende bzw. die gesetzlichen Vertreter eine Einschätzung der Fähigkeit des Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit im Regelfall für die Dauer von mindestens einem Jahr nach dem Abschlussstichtag abzugeben (IDW PS 270 n. F., Rz. 18, IDW-Life 18, 755). Hierzu sind alle relevanten und bei der Abschlussprüfung bekannt gewordenen Erkenntnisse zu verwenden (IDW PS 270 n. F., Rz. 19, IDW-Life 18, 755). Dies schließt insbesondere auch „konkretisierbare und belastbare Aussagen der Bundesregierung bzw. der Landesregierungen zur Durchführung von Stützungsmaßnahmen bzw. Gewährung von öffentlichen Unterstützungsleistungen“ ein (IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 2). Sofern trotz Berücksichtigung der erwarteten öffentlichen Stützungsmaßnahmen nicht von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit ausgegangen werden kann, ist nach IDW RS HFA 17 (IDW-Life 16, 1035 ff. und IDW-Life 18, 777) der Jahresabschluss insbesondere unter Liquidationsgesichtspunkten aufzustellen (zu den in diesem Fall sowie bei erheblichen Zweifeln an der Fortführungsfähigkeit erforderlichen Angaben vgl. Kirsch, BBP 20, 106 f.).
Sofern der Jahresabschluss unter der Annahme der Unternehmensfortführung aufgestellt wird, sind nach §§ 246 Abs. 3 und 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB die Grundsätze der Ansatz- und der Bewertungsstetigkeit zu befolgen. Allerdings darf in begründeten Ausnahmefällen von der Ansatz- und auch von der Bewertungsstetigkeit abgewichen werden (§ 246 Abs. 3 S. 2 i. V. mit § 252 Abs. 2 HGB).
MERKE | Die Folgen der Corona-Pandemie stellen ohne Zweifel ein gravierendes exogenes Ereignis dar. Das IDW (Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.1.1) hält in den Fällen, in denen „dies individuell zu einer erheblichen Entwicklungsbeeinträchtigung oder gar einer Krise führt, … eine Anpassung der bisherigen Bilanzpolitik unter Umständen für möglich. Das gilt etwa dann, falls die bisherige Bilanzpolitik zur Legung stiller Reserven geführt hat und dies fortan vermieden werden soll.“ |
Diese Auffassung steht jedoch im Widerspruch zu IDW RS HFA 38, Rz. 15 (IDW-FN 11, 562). Auch in der handelsrechtlichen Kommentierung findet die Auffassung, dass eine gravierende wirtschaftliche Verschlechterung der ökonomischen Situation eines Unternehmens eine Durchbrechung der Grundsätze der Ansatz- und Bewertungsstetigkeit rechtfertigt, wenig Unterstützung (stellvertretend für diese Auffassung Kahle u. a. in Bilanzrecht, hrsg. von Hachmeister u. a., 2. Aufl. 2020, § 252 HGB, Rz. 203). Dagegen vertritt die h. M. eine restriktive Auffassung in Bezug auf die Durchbrechung der Ansatz- und Bewertungsstetigkeit, um willkürliche Abweichungen zu unterbinden (stellvertretend Störk/Büssow in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 12. Aufl. 2020, § 252 HGB, Rz. 75 i. V. mit Grottel, ebenda, § 284 HGB, Rz. 178; Brösel in Systematischer Praxiskommentar Bilanzrecht, hrsg. von Petersen/Zwirner, 4. Aufl. 2020, § 252 HGB, Rz. 61 f.).
Beachten Sie | Gleichwohl ist es aber z. B. möglich, das bislang nicht in Anspruch genommene Aktivierungswahlrecht für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens künftig mit der Begründung auszuüben, dass die Aktivierung zu einem Bild führt, das die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage besser abbildet (ebenso z. B. IDW RS HFA 38, Rz. 15).
3. Bewertung des Anlagevermögens
Im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie kann insbesondere bei immateriellen Vermögensgegenständen und Sachanlagen eine außerplanmäßige Abschreibung nach § 253 Abs. 3 S. 5 HGB erforderlich werden, falls von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung dieser Vermögensgegenstände auszugehen ist. Jedoch ist eine außerplanmäßige Abschreibung stets in Bezug auf den einzelnen Vermögensgegenstand (bzw. auch eine Gruppe von Vermögensgegenständen, die denselben wertbestimmenden Indikatoren unterliegen) zu untersuchen. Somit rechtfertigt eine wegen der Corona-Pandemie allgemein verschlechterte wirtschaftliche Lage des Unternehmens nicht bereits eine außerplanmäßige Abschreibung (ebenso IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2).
3.1 Immaterielle Vermögensgegenstände
Für die Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen sieht IDW S 5, Rz. 18 (IDW-FN 11, 470) grundsätzlich marktpreis-, kapitalwertorientierte und kostenorientierte Verfahren vor. Da immaterielle Vermögensgegenstände im Regelfall nicht auf einem aktiven Markt gehandelt werden und sich kostenorientierte Verfahren wegen der konzeptionell unzureichenden Berücksichtigung des zukünftigen Nutzens ebenso als wenig geeignet erweisen (IDW S 5, Rz. 19 f. und Rz. 48), kommen in der Praxis fast ausschließlich die kapitalwert-orientierten Bewertungsmethoden zum Einsatz.
Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Methoden. Dabei hängt die Anwendbarkeit von der Art der Zurechenbarkeit der Cashflows auf den zu bewertenden immateriellen Vermögensgegenstand ab (IDW S 5, Rz. 29, IDW-FN 11, 471):
- Die höchsten Anforderungen stellt die Methode der unmittelbaren Cashflow-Prognose. Hierbei wird der am Abschlussstichtag beizulegende Wert des immateriellen Vermögensgegenstands als Barwert der dem immateriellen Vermögensgegenstand direkt zurechenbaren Cashflows ermittelt, welche mit dem vermögenswertspezifischen risikoadjustierten Kapitalisierungszinssatz diskontiert werden (IDW S 5, Rz. 30, IDW-FN 11, 471).
- Die Methode der Lizenzpreisanalogie schätzt die künftigen ebenfalls mit dem vermögenswertspezifischen risikoadjustierten Kapitalisierungszinssatz abzuzinsenden Cashflows durch die Lizenzentgelte, die das Unternehmen fiktiv an einen Dritten zu entrichten hätte, falls sich der immaterielle Vermögensgegenstand im Eigentum dieses Dritten befände (IDW S 5, Rz. 31 f., IDW-FN 11, 471 f.).
- Die Mehrgewinnmethode ermittelt den beizulegenden Wert eines immateriellen Vermögensgegenstands als Differenzbetrag aus dem Unternehmenswert (Barwert der künftigen Cashflows des Unternehmens) und dem Unternehmenswert eines hypothetischen Unternehmens, das nicht über den immateriellen Vermögensgegenstand verfügt (IDW S 5, Rz. 33, IDW-FN 11, 472).
- Nach der Residualwertmethode ermittelt sich der am Abschlussstichtag beizulegende Wert des immateriellen Vermögensgegenstands als Differenzbetrag aus dem Barwert der künftigen Cashflows des Verbunds von materiellen und immateriellen Vermögensgegenständen, in denen der zu bewertende immaterielle Vermögensgegenstand eingebunden ist, abzüglich fiktiver Miet- oder Leasingzahlungen für die übrigen zu dem Verbund gehörenden immateriellen und materiellen Vermögensgegenstände (IDW S 5, Rz. 37, IDW-FN 11, 472).
Das für eine außerplanmäßige Abschreibung erforderliche Kriterium der Dauerhaftigkeit der Wertminderung wird zumeist dahingehend ausgelegt, dass der „beizulegende Stichtagswert erheblich unter dem Buchwert und dieser Stichtagswert voraussichtlich in einem erheblichen Zeitraum der Restnutzungsdauer unter dem planmäßig weiter abgeschriebenen (Buch-)Wert liegt.“ (Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 11. Aufl. 2020, § 253 HGB, Rz. 193). Letztgenannter Anhaltspunkt wird im Schrifttum zumeist dahingehend ausgelegt, dass eine dauernde Wertminderung vorliegt, wenn für mehr als die Hälfte der Restnutzungsdauer oder mehr als fünf Jahre der am Abschlussstichtag beizulegende Wert den planmäßig fortgeführten Buchwert unterschreitet (ebenso Hoffmann/Lüdenbach, § 253 HGB, Rz. 193 sowie IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2).
Sofern auch ein Geschäfts- oder Firmenwert (GoF) im Jahresabschluss enthalten ist, ist die Werthaltigkeit dieses immateriellen Vermögensgegenstands ‒ analog zu DRS 23.128 (ebenso IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2 und 3.2.6) ‒ zu prüfen. Da sich der beizulegende Wert des GoF, der kein identifizierbarer und kein einzeln veräußerbarer Vermögensgegenstand ist, nicht direkt feststellen lässt, bleibt hier nur die indirekte Messung. Danach wird zunächst der (gesamte) Zeitwert der Gruppe von Vermögensgegenständen und Schulden ermittelt, zu der auch der GoF gehört. Der beizulegende Wert des GoF leitet sich dann wie folgt ab:
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Im Regelfall ist daher auch eine ‒ zumindest überschlägige ‒ Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts des Nettovermögens der der Gruppe zugeordneten identifizierbaren Vermögensgegenstände und Schulden vorzunehmen (vgl. ergänzend DRS 23.129).
Ebenso kann ‒ trotz fehlender ausdrücklicher Erwähnung in den Stellungnahmen des IDW ‒ ein verkürzter Abschreibungszeitraum des GoF in Betracht kommen, wenn das Unternehmen den wirtschaftlichen Nutzen wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie zeitlich deutlich begrenzter einschätzt. Als Indikatoren für die Festlegung der Nutzungsdauer des GoF nennt die Regierungsbegründung zum BilMoG (BT-Drs. 16/10067, 48) u. a. die voraussichtliche Bestandsdauer des erworbenen Unternehmens, die Stabilität und Bestandsdauer der Branche des erworbenen Unternehmens, den Lebenszyklus der Produkte des erworbenen Unternehmens sowie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für das erworbene Unternehmen.
3.2 Sachanlagen
Auch auf Sachanlagen sind außerplanmäßige Abschreibungen bei voraussichtlich dauernder Wertminderung nach § 253 Abs. 3 S. 5 HGB erforderlich (zum Kriterium der Dauerhaftigkeit vgl. Abschnitt 3.1). Da sich die Corona-Pandemie zumindest bislang nicht auf den Wert des Immobilienvermögens ausgewirkt hat, dürften insbesondere technische Anlagen und Maschinen bei einer voraussichtlich dauerhaft eingeschränkten Nutzung (IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2) betroffen sein (z. B. aufgrund des Weg- bzw. Ausfalls von Kunden).
Beachten Sie | Der beizulegende Wert kann entweder ‒ sofern vorhanden ‒ vom Markt für äquivalente gebrauchte technische Anlagen abgeleitet werden oder errechnet sich ‒ ähnlich wie bei den immateriellen Vermögensgegenständen ‒ als der mit einem vermögenswertspezifischen risikoadjustierten Zinssatz abgezinste Barwert der künftigen Cashflows aus der zu bewertenden technischen Anlage mit einer nur eingeschränkten Nutzung.
Die ebenso grundsätzlich mögliche Verwendung von kostenorientierten Bewertungsverfahren (Wiederbeschaffungs- oder Wiederherstellungskosten am Abschlussstichtag unter Abzug eines Abschlags sowohl für die bereits erfolgte Nutzung als auch für den zwischenzeitlich erfolgten technischen Fortschritt) dürfte in der Situation, in der voraussichtlich dauerhaft keine Normalauslastung dieser Anlagen möglich ist, hingegen nicht zu adäquaten Wertansätzen führen (ähnlich IDW S 5, Rz. 48, IDW-FN 11, 474).
Sofern technische Anlagen dauerhaft stillgelegt wurden, da sie wegen des Nachfragerückgangs nicht mehr genutzt werden, sind diese zum Zeitpunkt ihrer dauerhaften Stilllegung auf den noch realisierbaren Veräußerungswert (im Zweifel Schrottwert) außerplanmäßig abzuschreiben (IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2).
3.3 Finanzanlagen
Nach IDW (Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2) ist bei öffentlich gehandelten Wertpapieren von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung auszugehen, „wenn entweder
- a) der Zeitwert (= Marktwert/Tagesschlusskurse) des Wertpapiers in den dem Abschlussstichtag vorangegangenen sechs Monaten permanent mehr als 20 % unter dem letzten Buchwert lag, oder
- b) der Zeitwert des Wertpapiers über einen längeren Zeitraum als ein Geschäftsjahr unter dem letzten Buchwert lag und zudem der (einfache) Durchschnitt der täglichen Börsenschlusskurse des Wertpapiers in den letzten zwölf Monaten um mehr als 10 % unter dem letzten Buchwert lag.“
Sofern Finanzanlagen nicht öffentlich gehandelt werden und auch keine Marktindikationen von anderen Plattformen vorliegen (z. B. nicht börsengehandelte Anteile oder Schuldinstrumente), wird der am Abschlussstichtag beizulegende Wert
- entweder ‒ bei Beteiligungen ‒ als Unternehmenswert (zumeist Ertragswert oder diskontierte künftige Einzahlungsüberschüsse oder unter bestimmten Voraussetzungen ggf. auch der Substanzwert) oder
- als Barwert der erwarteten künftigen Cashflows abgeleitet (ähnlich IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2).
In diesem Zusammenhang weist das IDW explizit darauf hin, dass sich die in das Bewertungskalkül eingehenden finanziellen Überschüsse aufgrund der Corona-Pandemie zumeist gegenüber früheren Prognosen verschlechtern dürften. Zudem dürfte nach der hier vertretenen Meinung auch der Risikozuschlag auf die mit Unsicherheit behafteten künftigen Cashflows zu überprüfen und ggf. zu erhöhen sein. Sofern sich bei der Wertüberprüfung der nicht öffentlich gehandelten Finanzanlagen ein geringerer Ansatz als der Buchwert ergibt, ist ‒ bei fehlenden Anhaltspunkten für eine nicht dauernde Wertminderung ‒ von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung auszugehen.
Beachten Sie | Darüber hinaus kann der Bilanzierende bei Finanzanlagen aber auch bei einer voraussichtlich nicht dauernden Wertminderung auf den niedrigeren beizulegenden Wert abschreiben (§ 253 Abs. 3 S. 6 HGB).
4. Bewertung des Umlaufvermögens
4.1 Vorräte
Bei den selbst erstellten Vorräten (unfertige Erzeugnisse/Leistungen und fertige Erzeugnisse) ist zum Abschlussstichtag besonders darauf zu achten, dass infolge einer coronabedingten niedrigen Auslastung der Produktionskapazitäten nur „angemessene“ Fertigungsgemeinkosten in die Herstellungskosten nach § 255 Abs. 2 S. 2 und 3 HGB eingehen. Gemäß IDW RS HFA 31 n. F., Rz. 21 (IDW-Life 18, 275) entspricht es dem Angemessenheitsprinzip, fertigungsbedingte Gemeinkosten bei der Ermittlung der Herstellungskosten nur insoweit zu berücksichtigen, wie sie bei einer normalen Auslastung der technischen und personellen Fertigungskapazitäten unter Berücksichtigung der branchentypischen Beschäftigungsschwankungen (Normalbeschäftigung) anfallen. Somit sind die Leerkosten der Produktion infolge eines deutlich unter der Normalbeschäftigung liegenden geringeren Beschäftigungsstands nicht im Wertansatz der Vorräte anzusetzen und als Periodenaufwand zu verrechnen.
MERKE | Für Vorratsgegenstände ist das strenge Niederstwertprinzip nach § 253 Abs. 4 HGB (außerplanmäßige Abschreibung auch bei einer voraussichtlich nicht dauernden Wertminderung) zu beachten. Mögliche Gründe für Abschreibungen (IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2): völliger Entfall der Veräußerungsfähigkeit, gesunkene Umschlagshäufigkeit (Gängigkeitsabschläge) oder erhöhte Lagerkosten bei einer verlustfreien Bewertung. Zudem können auch auf Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe außerplanmäßige Abschreibungen wegen gesunkener Wiederbeschaffungskosten auf den relevanten Beschaffungsmärkten notwendig sein. |
4.2 Forderungen aus Lieferungen und Leistungen
Ergeben sich wegen der Corona-Pandemie negative Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Kunden des Unternehmens, steigt das Risiko der Nichterfüllung bzw. der nicht vollständigen oder nicht fristgerechten Erfüllung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen des Unternehmens. Nach § 253 Abs. 4 HGB sind die ausstehenden Forderungen dann mit ihrem niedrigeren am Abschlussstichtag beizulegenden Wert anzusetzen. Dies erfolgt regelmäßig durch die Bildung von Einzelwertberichtigungen (IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2). Bei der Ermittlung der Einzelwertberichtigungen sind gegenläufig jedoch auch die öffentlichen Stützungsmaßnahmen und deren Wirkung auf die Zahlungsfähigkeit der Kunden zu berücksichtigen.
Das IDW (Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.2) hält es für erwägenswert, die Pauschalwertberichtigungen auf den nicht bereits einzelwertberichtigten Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen anzuheben. In diesem Zusammenhang wird auch zu prüfen sein, ob nach Branchenzugehörigkeit der Kunden differenzierte Pauschalwertberichtigungssätze zum Einsatz kommen sollten, um die Risiken differenziert zu berücksichtigen.
5. Bilanzierung und Bewertung der Rückstellungen
Sofern als Folge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie vor dem Abschlussstichtag Restrukturierungs- und Personalanpassungsmaßnahmen beschlossen und diese gegenüber dem Betriebsrat kommuniziert wurden (vgl. Schubert in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 12. Aufl. 2020, § 249 HGB, Rz. 100 „Sozialplan“), müssen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 S. 1 HGB) gebildet werden (IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.3).
Zudem können Verpflichtungsrückstellungen zu bilden sein, falls aus den bislang im Anhang anzugebenden Haftungsverhältnissen (§§ 268 Abs. 7 i. V. mit 251 HGB) die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme droht (vgl. zum Verhältnis von Rückstellungsbildung und Angabe als Haftungsverhältnis Kirsch in Rechnungslegung, § 251 HGB, Rz. 14, Stand April 2015).
Hinzuweisen ist auch auf die Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (§ 249 Abs. 1 S. 1 HGB). Dies ist immer dann der Fall, wenn über die Restlaufzeit des Vertrags der Wert der eigenen Leistungsverpflichtung den Wert des Gegenleistungsanspruchs übersteigt und im Vertrag keine Material Adverse Effect- (insbesondere bei Unternehmenserwerben) oder Force Majeure-Klauseln enthalten sind und im konkreten Fall eingreifen (IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.3).
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Hat das Unternehmen z. B. einen Vertrag über die Beschaffung einer technischen Anlage abgeschlossen (Lieferung steht zum Abschlussstichtag noch aus), dann hat das Unternehmen eine Rückstellung für drohende Verluste zu bilden, wenn für den Vermögensgegenstand nach erfolgter Lieferung voraussichtlich eine Pflicht zur außerplanmäßigen Abschreibung besteht. Die Drohverlustrückstellung hat in diesem Fall den Charakter einer vorweggenommenen Abschreibung (IDW RS HFA 4, Rz. 30 S. 2, IDW-FN 10, 302). |
6. Bewertungseinheiten
Auswirkungen können sich auch auf Bewertungseinheiten (§ 254 HGB) ergeben. Wurden die bislang erwarteten Absatz-/Beschaffungsgeschäfte (Grundgeschäfte) mit Finanzinstrumenten zum Ausgleich gegenläufiger Wert- oder Zahlungsströme zusammengefasst (antizipative Bewertungseinheiten) und ist am 31.12.20 nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Grundgeschäft zustande kommt, ist die Bewertungseinheit aufzulösen (IDW, Fachlicher Hinweis, Teil 2, Abschnitt 3.2.1). Das Finanz-instrument ist dann isoliert nach den allgemeinen Methoden zu bewerten.
Darüber hinaus können auch nicht-antizipative Bewertungseinheiten aufzulösen sein, falls das Grundgeschäft (z. B. Fremdwährungsforderung) oder das zur Absicherung abgeschlossene Finanzinstrument akut ausfallgefährdet sind.
7. Bilanzierung und Bewertung der latenten Steuern
Außerplanmäßige Abschreibungen auch bei voraussichtlich nicht dauernder Wertminderung auf Finanzanlagen und auf Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens (bei gleichzeitiger Beschränkung steuerlicher Teilwertabschreibungen auf voraussichtlich dauernde Wertminderungen) sowie Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (steuerliches Ansatzverbot) führen zu zusätzlichen aktiven temporären Differenzen.
In die Gesamtbetrachtung der aktiven und passiven latenten Differenzen sind auch die aktiven latenten Steuern aus Verlustvorträgen einzubeziehen (§ 274 Abs. 1 S. 4 HGB). Allerdings ist die Einbeziehung der Steuervorteile aus der Nutzung von steuerlichen Verlustvorträgen (einschließlich Zinsvorträge) auf jene beschränkt, die sich im Rahmen der Verlustverrechnung voraussichtlich innerhalb der nächsten fünf Jahre auswirken werden. Der Nachweis der Nutzung bestehender Verlust-/Zinsvorträge innerhalb des Fünfjahreszeitraums erfolgt ausgehend von einer unternehmerischen Planungsrechnung, welche u. a. eine Prognose des zu versteuernden Einkommens beinhaltet.
Führen die in der Planungsrechnung erfassten Corona-Auswirkungen dazu, dass innerhalb des ab dem Abschlussstichtag laufenden Fünfjahreszeitraums nicht sämtliche bestehenden Verlust-/Zinsvorträge genutzt werden können (und weiterhin auch keine darüber hinausgehenden passiven temporären Differenzen vorhanden sind, vgl. Grottel/Larenz in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 12. Aufl. 2020, § 274 HGB, Rz. 40), ist eine Verminderung der in die Gesamtdifferenzenbetrachtung eingehenden steuerlichen Verlustvorträge zu erfassen.
Beachten Sie | Die Gesamtauswirkung dieser beiden entgegengesetzten Effekte auf die aktiven latenten Differenzen kann nicht allgemein vorausgesagt werden und hängt von den individuellen Gegebenheiten des Unternehmens ab (insbesondere von einem steuerlichen Verlustvortrag zum 31.12.20).
FAZIT | Die Corona-Pandemie kann sich in den Jahresabschlüssen für das Geschäftsjahr 2020 sehr umfassend auswirken und praktisch alle Bereiche der Bilanz und der GuV betreffen. Als mögliche Auswirkungen sind zu nennen:
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