· Fachbeitrag · Bilanzierung
Aktuelles Praxis-Know-how zu Rückstellungen für Gewährleistungen und Pensionszusagen
von Daniel R. Kälberer, M.Sc., Hattenhofen
| In deutschen Unternehmen besteht eine äußerst nuancenreiche „Rückstellungskultur“, die bei Betriebsprüfungen immer wieder für Zündstoff sorgt. Insbesondere langfristige Verpflichtungen sind bilanzpolitisch nutzbar, was Gesetzgeber und Finanzverwaltung dazu bewogen hat, der Kreativität enge Grenzen zu setzen. Die hier maßgeblichen GoB sind jedoch vorrangig durch die BFH-Rechtsprechung geprägt; somit sind Streitigkeiten vorprogrammiert. Grund genug die äußerst praxisrelevanten Rückstellungen für Gewährleistungen und für Pensionszusagen einmal näher in den Blick zu nehmen. |
1. Einführende Anmerkungen und aktuelle Diskussionen
Handelsbilanziell dokumentieren Rückstellungen nicht nur ungewisse Verbindlichkeiten, hinsichtlich drohender Verluste aus schwebenden Geschäften dienen sie auch dem Gläubigerschutz. Mitunter werden Rückstellungen auch als bilanzpolitische Instrumente genutzt. Zwar verlieren Fragen der steuerlichen Periodenzuordnung in Niedrigzinsphasen an Bedeutung; denn für Unternehmen verringert sich die Motivation, „den zeitlichen Anfall der Steuerbemessungsgrundlage steuerbarwertminimierend zu gestalten“ (Kahle, DStR 18, 976 m. w. N.). Unter Liquiditätsaspekten bleiben sie aber auch in einer Nullzinswelt von Bedeutung (vgl. Anzinger, DStR 16, 1773).
MERKE | Infolge von § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden. Die daraus resultierende Passivierungspflicht ist den GoB zuzurechnen und gilt aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips (§ 5 Abs. 1 S. 1 EStG) auch für die Steuerbilanz, wobei zahlreiche Ansatzverbote (z. B. § 5 Abs. 4a EStG; Drohverlustrückstellungen), Ansatzbeschränkungen (z. B. § 5 Abs. 4 EStG; Jubiläumsrückstellungen) und Bewertungsvorbehalte (z. B. § 6a EStG; Pensionsrückstellungen) das Maßgeblichkeitsprinzip durchbrechen bzw. einschränken. |
Insoweit wird gegenwärtig auch die Reichweite der Maßgeblichkeit bei der Bewertung steuerbilanzieller Rückstellungen diskutiert. Denn nach (umstrittener) Auffassung der Finanzverwaltung in R 6.11 Abs. 3 S. 1 EStR 2012 ist die Bewertung von Rückstellungen in der Steuerbilanz auf den zulässigen Ansatz in der Handelsbilanz beschränkt. Diese Auffassung beruht in erster Linie auf dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG, wonach sich die Formulierung „höchstens“ auf den handelsrechtlichen Wertansatz beziehen soll (vgl. Kahle, DStR 18, 979). Pensionsrückstellungen sind allerdings von dieser „Deckelung“ ausgenommen. Denn nach R 6a Abs. 1 S. 2 EStR 2012 bezieht sich die aus dem Maßgeblichkeitsgrundsatz resultierende Passivierungspflicht für Pensionszusagen nur auf den Ansatz, nicht aber auf deren Bewertung. Die steuerliche Bewertung von Pensionsverpflichtungen richtet sich vielmehr in abschließender Weise nach § 6a Abs. 3, 4 EStG. Da die steuerrechtliche Bewertung von Pensionsrückstellungen unabhängig von den handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften erfolgt, dürfen diese den handelsrechtlichen Rückstellungsbetrag folglich überschreiten (vgl. insgesamt Kahle, DStZ 17, 909 f. m. w. N.).
MERKE | Nach ständiger Rechtsprechung setzt „die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grund nach ‒ deren Höhe zudem ungewiss sein kann ‒ sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag“ voraus. Der Schuldner muss zudem ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (BFH 8.11.16, I R 35/15, BStBl II 17, 771). |
Hinsichtlich des Passivierungszeitpunktes stellt der BFH regelmäßig auf das sog. Doppelkriterium ab. Demzufolge ist eine Rückstellung dann zu bilden, wenn sie entweder rechtlich oder wirtschaftlich entstanden ist; im Zweifel ist auf den früheren der beiden Zeitpunkte abzustellen. Nach der jüngeren BFH-Rechtsprechung tritt allerdings „die wirtschaftliche Verursachung zeitgleich und vollständig mit der rechtlichen Vollentstehung der Verpflichtung ein“ (Kahle, DStZ 17, 905). Ist eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung also am Bilanzstichtag rechtlich entstanden, bedarf es insoweit keiner Prüfung der wirtschaftlichen Verursachung mehr. Der BFH verweist darauf, dass eine Verpflichtung „spätestens im Zeitpunkt ihrer rechtlichen Entstehung auch wirtschaftlich verursacht ist“ (BFH 17.10.13, IV R 7/11, BStBl II 14, 304). Angesichts dieser Entwicklung wird das Kriterium der wirtschaftlichen Verursachung erheblich relativiert, weshalb darin auch ein „Verstoß gegen die das geltende Bilanzrecht prägende wirtschaftliche Betrachtungsweise“ (Euler/Hommel, BB 14, 2479) gesehen wird.
2. Neue Rechtsprechung des BFH
2.1 Rückstellungen für Gewährleistungsverpflichtungen
2.1.1 Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Auch wenn die bilanzrechtssystematischen Grundlagen zur Bildung einer Gewährleistungsrückstellung hinlänglich geklärt sind, kommt es hierbei immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten. Ein aktuelles Beispiel liefert der Beschluss des BFH vom 28.8.18 (X B 48/18, BFH/NV 19, 113).
Im Sachverhalt ging es konkret um die Passivierung einer Rückstellung für Gewährleistungsaufwand im Jahresabschluss zum 31.12.07. Neben einer Pauschalrückstellung für Gewährleistungsverpflichtungen hatte der Steuerpflichtige auch eine Einzelrückstellung gebildet. Anlass hierfür war, dass der Kläger bei einzelnen, bis zum 31.12.07 erbrachten Werklieferungen nach Mängelanzeigen der Auftraggeber im Mai/Juni 2008 zeitnah Nacherfüllungsarbeiten mit entsprechendem Aufwand durchgeführt hatte (BFH 28.8.18, a. a. O.,Rn. 2). Die Finanzverwaltung lehnte nunmehr die Bildung der Einzelrückstellung ab, da der Steuerpflichtige am Bilanzstichtag (31.12.07) noch nicht ernsthaft mit einer Inanspruchnahme auf Nacherfüllung rechnen musste. Diese Sichtweise wurde vom FG Mecklenburg-Vorpommern (21.2.18, 3 K 53/15) bestätigt. Revision wurde nicht zugelassen, eine dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde vom BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Die Hauptargumentation des BFH in der Sache: Wurde der Werkmangel durch den Besteller bis zum Bilanzstichtag noch nicht gerügt und beruhte dies maßgeblich darauf, dass der (objektiv angelegte) Mangel bis zu jenem Stichtag noch keine erkennbare betriebsbeeinträchtigende Wirkung entfaltete und hatten folglich die Vertragsbeteiligten noch keine Kenntnis vom Mangel, liege es nahe, dass der Werkunternehmer am Bilanzstichtag noch nicht ernsthaft mit einer Inanspruchnahme zur Gewährleistung rechnen musste (BFH 28.8.18, a. a. O., Rn. 27).
2.1.2 Relevanz für die Praxis
Objektiver Anknüpfungspunkt für eine Verbindlichkeitsrückstellung (§ 5 Abs. 1 S. 1 EStG i. V. m. § 249 Abs. 1 S. 1 HGB) ist neben einem bereits zum Bilanzstichtag vorliegenden Mangel, dass der Steuerpflichtige bei einem noch nicht gerügten Mangel ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen muss. Diese Umstände sind im Einzelnen nachzuweisen. Für die Handels- und Steuerbilanzpraxis ist dies mit einer besonders sorgfältigen Dokumentation verbunden (vgl. Schiffers/Köster, DStZ 19, 752; Prinz, WPg 19, 980). Nach Auffassung von Schiffers/Köster ist im Rahmen von Gewährleistungsfällen die Kenntnis des Mangels zumindest dann entbehrlich, wenn eine Nachbesserung aufgrund der Art bzw. der Schwere des Mangels letztlich unausweichlich ist. Auch das Verhalten des Unternehmens in der Vergangenheit bei gleichgelagerten Sachverhalten oder einer konkreten Entscheidung ist in diesem Zusammenhang zu nennen (vgl. Schiffers/Köster, DStZ 19, 752).
2.2 Betriebliche Altersvorsorge: Pensionsrückstellung im Jahr ihrer Erteilung und neue Heubeck-Richttafeln
2.2.1 Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Unter Anwendung des § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind für unmittelbare Pensionszusagen Rückstellungen in der Handelsbilanz zu bilden. Diese Passivierungspflicht gilt unter Beachtung des § 6a EStG über den Grundsatz der Maßgeblichkeit auch für die Steuerbilanz. Insoweit enthält die steuerrechtliche Sondervorschrift des § 6a EStG einschränkende Voraussetzungen dem Grunde (§ 6a Abs. 1, 2 EStG) und der Höhe (§ 6a Abs. 3, 4 EStG) nach. Gemäß § 6a Abs. 3 S. 1 EStG sind Pensionsrückstellungen höchstens mit dem Teilwert anzusetzen; dieser wird über § 6a Abs. 3 S. 2 EStG näher bestimmt. Für nicht ausgeschöpfte Zuführungsteile gilt über § 6a Abs. 4 S. 1 EStG ein sog. Nachholverbot (Prinz, WPg 19, 981). Bei der Berechnung des Teilwerts der Pensionsverpflichtung sind neben einem Rechnungszinsfuß von 6 % auch die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden (§ 6a Abs. 3 S. 3 EStG).
Beachten Sie | Mit Blick auf das gegenwärtige Niedrigzinsumfeld wird die Höhe des Rechnungszinsfußes für die Barwertermittlung als problematisch angesehen. Gemessen am Marktzins erscheint ein Zinssatz von 6 % deutlich zu hoch, sodass Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz nicht sachgerecht erfasst werden, was verfassungsrechtlich mehr als zweifelhaft ist (vgl. Pradl, GStB 18, 293 ff.; anhängiges Verfahren beim BVerfG: 2 BvL 22/17).
Zur Bewertung von Pensionsrückstellungen werden in der Praxis vorrangig die sog. Heubeck-Richttafeln (aktuell: Richttafeln 2018 G) als eine biometrische Rechnungsgrundlage herangezogen. Da es bei Anwendung neuer bzw. geänderter Richttafeln zu Wertsprüngen im Rahmen des Teilwertverfahrens kommen kann, sieht § 6a Abs. 4 S. 2 EStG eine Ausnahme vom Nachholverbot vor. So bestimmt § 6a Abs. 4 S. 2 EStG, dass ein Unterschiedsbetrag der auf der erstmaligen Anwendung neuer oder geänderter biometrischer Rechnungsgrundlagen beruht, nur auf mindestens drei Wirtschaftsjahre gleichmäßig verteilt der Pensionsrückstellung zugeführt werden darf.
PRAXISTIPP | Neben den allgemein anerkannten Richttafeln 2018 G sind in der Regel noch Annahmen hinsichtlich des Fluktuationsverhaltens und des voraussichtlichen Altersrentenbeginns (sog. Bewertungsendalter) zu treffen. Nachdem die Fluktuationsraten in Deutschland zuletzt kontinuierlich gestiegen sind, könnte eine Anpassung bei der Bewertung von Versorgungsverpflichtungen in Erwägung gezogen werden (vgl. Geilenkothen/Rasch/Ricken, DB 19, 2813). |
In diesen Kontext reiht sich auch ein jüngst vom BFH (13.2.19, XI R 34/16) zu beurteilender Sachverhalt ein. Ausgangspunkt war die Pensionszusage einer GmbH an ihren zu einem Drittel beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer am 18.11.05; der Ausweis zum 31.12.05 erfolgte ohne einen Mehrbetrag aufgrund der Änderungen der erstmalig im Wirtschaftsjahr 2005 anwendbaren Heubeck-Richttafeln 2005 zu den ‚Heubeck-Richttafeln‘ 1998. Fraglich war nun, ob die dreijährige Verteilung auch im Jahr der erstmaligen Erteilung einer Pensionszusage vorzunehmen sei. Hinsichtlich dieser „Übergangsfrage“ verneinte der BFH die zwingende Verteilung auf drei Jahre. So sei weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des § 6a Abs. 4 S. 6 EStG zu entnehmen, dass generell in allen Fällen der erstmaligen Bildung einer Pensionsrückstellung § 6a Abs. 4 S. 2 EStG zur Anwendung kommt (BFH 13.2.19, a. a. O., Rn. 13).
2.2.2 Relevanz für die Praxis
Der BFH hat mit seiner Entscheidung für Rechtsklarheit gesorgt. Zwischenzeitlich hat auch die Finanzverwaltung auf den BFH-Beschluss reagiert (BMF 17.12.19, IV C 6 - S 2176/19/10001 :001, DStR 19, 2700): „Die Verteilungsregelung gilt nicht für Versorgungszusagen, die im Übergangsjahr erteilt werden. Die entsprechenden Pensionsrückstellungen sind zum Schluss des Wirtschaftsjahres in Höhe der Teilwerte unter Zugrundelegung der ‚Heubeck-Richttafeln 2018 G‘ anzusetzen. Aus Billigkeitsgründen wird es jedoch nicht beanstandet, auch die Pensionsrückstellungen für Versorgungszusagen i. S. d. S. 1 gemäß § 6a Abs. 4 S. 2 EStG zu verteilen. S. 3 kann nur einheitlich für alle Versorgungszusagen i. S. d. S. 1 angewendet werden.“
FAZIT | Die dargestellte Judikatur zur Passivierung und Bewertung steuerbilanzieller Rückstellungen bringt Erkenntnisgewinne und sorgt (vereinzelt) für Rechtsklarheit. Auch das BFH-Urteil vom 24.10.18 (I R 78/16, BStBl II 19, 570 ff.) mag hier genannt sein. Letztlich bleibt aber die Bilanzierung von Rückstellungen mit Unsicherheiten behaftet, die sich (wohl) nur durch eine grundlegende Reformierung des Steuerbilanzrechts vermeiden lassen. Hierfür kommt die Ausrichtung der steuerlichen Gewinnermittlung am Konzept einer vereinfachten Vermögensrechnung infrage (vgl. Kahle, DStZ 17, 913 und DStR 18, 982). |