· Fachbeitrag · Betriebsprüfung
Chance oder Schikane? Über Tax Compliance und Betriebsprüfung als Kommunikationsprozess
von Rechtsanwalt Thorsten Franke-Roericht, LL.M., Düsseldorf, und Dipl.-Finw. Andrea Köchling, Elmshorn
| „Wann haben Sie sich das letzte Mal in einer Betriebsprüfung nicht verstanden gefühlt oder die Vorgehensweise als nicht transparent und sachlich empfunden?“ ‒ diese Fragen formulierte kürzlich ein Betriebsprüfer anlässlich eines bevorstehenden Symposiums zur Betriebsprüfung. Sie stehen stellvertretend für einen anderen Blick auf die Prüfungssituation. Es lohnt sich daher, ausgehend vom Status quo auf neue Entwicklungen und Möglichkeiten vor und während einer Betriebsprüfung zu blicken. |
1. Ausgangslage: Lästige Pflicht und (steuerrelevante) Fehler
Steuerliche Betriebsprüfungen werden von vielen Unternehmen als lästige Pflicht und Störung des betrieblichen Ablaufs empfunden. Steuerrecht ist Eingriffsrecht, und als Eingriff empfinden Steuerpflichtige bereits die bloße Ankündigung einer Prüfung. Das provoziert von Anfang an eine Abwehrhaltung. „Warum bekomme gerade ich eine Betriebsprüfung? Muss das sein?“, ist eine gängige Reaktion. „Finanzamt“ und „Betriebsprüfung“ sind im alltäglichen Sprachgebrauch eher negativ besetzt. Die innere Haltung übernimmt dann nicht selten diese Vorprägung. Auch die prüfungsbegleitenden Berater versetzen sich in Alarmbereitschaft, denn: kaum eine Prüfung ohne steuerliches Mehrergebnis für den Fiskus. Hat der Berater das Unternehmen laufend steuerlich beraten, steht gleichzeitig seine Expertise auf dem Teststand.
Die Erfahrung lehrt: In nahezu jedem Unternehmen kommt es mal zu kleineren, mal zu größeren Fehlern im laufenden Geschäft und den steuerlichen Aufzeichnungen, allen voran der Buchführung oder den vorgelagerten Schnittstellen wie Kassen, Enterprise-Resource-Planning-Systemen (ERP) oder digitalen Umsatzsteuertools. Setzt sich ein Fehler bis in die Steuererklärungen und -anmeldungen fort, wird er steuerrelevant. Aus Sicht der Betriebsprüfung stellt sich dann die Frage: Ist es nur ein Versehen, leichtfertiges oder gar vorsätzliches Handeln, das dem Fehler zugrunde liegt?
Dabei ist der Blick des Fiskus auf einen solchen Betriebsprüfungssachverhalt zunächst neutral. Denn Zweck der Prüfung ist die „richtige Ermittlung und Würdigung der steuerlich bedeutsamen Sachverhalte, nicht die Erzielung von Mehrsteuern“, so formulierte es der Einführungserlass zur BpO einmal. Die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse seien „zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen zu prüfen“ (vgl. auch § 199 Abs. 1 AO).
Insofern ist ein Perspektivwechsel hilfreich: Kann eine Betriebsprüfung nicht auch als Chance verstanden werden, eigene Fehler zu korrigieren und organisatorische Abläufe zu optimieren? Schließlich handelt es sich auch um eine Standortbestimmung für das Unternehmen. Ist vielleicht sogar ein gegenseitiges Verständnis, ein kooperatives Miteinander zwischen Steuerpflichtigem und Betriebsprüfung möglich?
2. Tax Compliance und steuerliche Unschärfen
Auf Beraterseite nimmt jedenfalls der erste Punkt immer mehr Raum ein. Unternehmen werden ermutigt, ein Tax-Compliance-Management-System ‒ Tax CMS ‒ zu installieren. Als Katalysator dient der AEAO zu § 153 AO aus dem Jahr 2016 (IV A 3 - S 0324/15/10001, IV A 4 - S 0324/14/10001, BStBl I 16, 490). Habe der Steuerpflichtige ein „innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten“ diene, könne dies „ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann“ (AEAO zu § 153, Tz. 2.6). Ein solches Kontrollsystem ist Teil eines Tax CMS.
PRAXISTIPP | Ein Tax CMS kann im Einzelfall dazu führen, dass ein steuerrelevanter Fehler nicht steuerstraf- bzw. steuerordnungswidrigkeitenrechtlich eingeordnet wird. Es würden nach der abstrakten Definition nur steuerliche Konsequenzen gezogen, weil das „Wissen und Wollen“ bezüglich einer Steuerverkürzung fehlt. Wie der Text des Erlasses zeigt, ist die Entscheidung des Betriebsprüfers immer einzelfallbezogen und auch mit Ermessen verbunden. |
In einem Spannungsverhältnis hierzu steht allerdings eine andere interne Verwaltungsanweisung. Ergebe sich während einer steuerlichen Außenprüfung auch nur die bloße „Möglichkeit“, dass „ein Strafverfahren durchgeführt werden“ müsse, sei die Prüfung unverzüglich zu unterbrechen und die für das Strafverfahren zuständige Stelle zu unterrichten (§ 10 BpO). Fällt dieses Beil auf die Prüfungssituation herab, endet in aller Regel die Kooperation des Steuerpflichtigen, obwohl er selbst im Falle eines dann einsetzenden Steuerstrafverfahrens ‒ unabhängig von seinem strafrechtlichen Recht zu schweigen ‒ grundsätzlich zur steuerlichen Mitwirkung verpflichtet bliebe (vgl. § 393 Abs. 1 AO).
Hinzu kommt, dass das BMF in seinem Erlass zu § 153 AO keine Leitplanken für die Ausgestaltung, den Betrieb und die Frage der Wirksamkeit eines Tax CMS vorgegeben hat. Die Praxis wartet hier seit Jahren auf ein Follow-up. Da es dieses wohl nicht mehr geben wird, zieht man insbesondere einen Praxishinweis in Verbindung mit dem Compliance Prüfstandard PS 980 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) heran (siehe Praxishinweis 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax CMS gemäß IDW PS 980, Stand: 31.5.17, IDW Life 2017, 837 ff.).
Und schließlich: Auch die Unschärfe zwischen legaler Steueroptimierung, lediglich steuerlich nicht anzuerkennenden Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO), bußgeldbewehrter Steuerverkürzung und strafrechtlich relevanter Steuerhinterziehung (§ 370 AO) macht es dem steuerpflichtigen Unternehmen und dem Fiskus nicht einfach, sich auf eine durchgehend offene und vertrauensvolle Kooperation zu verständigen.
3. Prüfungsbeschleunigung
Dem Grunde nach zeigt sich jedoch, dass die Finanzverwaltung das Bemühen des Steuerpflichtigen um Fehlervermeidung und Steuerkonformität honorieren möchte. Ergänzend könnte hinzukommen, so wird es derzeit diskutiert, ob man derart aufgestellte Unternehmen nicht noch weiteren Goodwill in Form einer beschleunigten oder antragsgebundenen Betriebsprüfung gewährt.
Die bereits seit 2012 existierende Möglichkeit der zeitnahen Betriebsprüfung (§ 4a BpO) ist hier ein hilfreiches Instrument. Es findet allerdings bislang nur bei Großbetrieben und Konzernen Anwendung. Zeit, die Unternehmen in eine Betriebsprüfung investieren müssen, ist letztlich auch Geld. Die zeitnahe Betriebsprüfung für Unternehmen mit Tax CMS zu öffnen, ihnen also als „Incentive“ einen Verfahrensvorteil zu gewähren, der ihnen beschleunigt Rechts- und Planungssicherheit ermöglicht, wäre daher nur konsequent.
4. Perspektivwechsel: Steuerpflichtige und Fiskus im selben Boot?
Was kann ‒ so unser Statement ‒ einem Unternehmer Besseres passieren, als dass ein sachverständiger Dritter die Buchführung und mithilfe einer Verfahrensdokumentation (vgl. hierzu am Beispiel des Hotel- bzw. Gastronomiemandats Hässel, BBP-Sonderausgabe 2020, Abruf-Nr. 46525970) die Prozesse im Unternehmen überprüft?
Nimmt man eine andere als die gewohnte Perspektive ein, erkennt man: Unternehmer, Steuerberater und Prüfer sitzen grundsätzlich im selben Boot. Jeder möchte die Betriebsprüfung so schnell und komplikationslos wie möglich über die Bühne bringen. Ein weiteres gemeinsames Ziel, das leider immer vergessen wird: Die „schwarzen Schafe“ sollen gefunden werden. Daran hat nicht nur der Fiskus ein Interesse, sondern jeder ehrliche Unternehmer.
Diese Ziele können mit wechselseitigem Verständnis und mit unvoreingenommener Wertschätzung erreicht werden. Dazu gehört in erster Linie ein freundlicher, höflicher, verbindlicher und nicht-manipulativer Umgangston. Das aktive aufmerksame Zuhören und das bewusste Einsetzen von zugewandter nonverbaler Kommunikation sind genauso wichtig, da sie dem Gesprächspartner echtes Interesse und Respekt signalisieren.
Die Kommunikation sollte transparent und sachlich gestaltet werden, sodass sich auch der Unternehmer zu jeder Zeit verstanden fühlt. Sie sollte mit Blick auf die in Unternehmen und Behörden beschränkten Ressourcen auch zielgerichtet sein. Eine verbale Verhärtung der Fronten ist zu vermeiden, denn die Macht der Worte beeinflusst unser Handeln und Denken. Sehr hilfreich sind in diesem Fall emotionale Kompetenz (Empathie), d. h., ein Betriebsprüfer sollte auch von sich aus zur Kooperation motivieren und nicht zu einer Abwehrhaltung oder Konfrontation.
Es gilt aber auch, sich nicht provozieren zu lassen und stets eine deeskalierende Reaktion anzustreben. Das bedeutet nicht, dass der Betriebsprüfer bzw. der Berater sich alles gefallen lassen sollten ‒ Machtspielchen, unterschwellige beleidigende Äußerungen oder das Bloßstellen des Prüfers oder des Beraters sind gleichermaßen ein „No-Go“. Klare, wahrheitsgemäße Antworten bauen Vertrauen auf und führen das Prüfungsklima auf eine gute Bahn. Sicherlich, es gibt Ausnahmen. Ein offenes und respektvolles Miteinander kann auch bedeuten, auf die strittigen Punkte hinzuweisen, Haltung zu bewahren und auf die besseren Argumente zu setzen.
Geht man weg von der Abwehrhaltung und -beratung sowie dem Gedanken, dass das Finanzamt und der Betriebsprüfer scheinbar etwas Böses wollen und sowieso von „der dunklen Seite der Macht“ kommen, dann kann eine Betriebsprüfung tatsächlich als Chance betrachtet werden. Denn auch wenn etwas anderes behauptet wird: Es ist nicht das Ziel des Fiskus, bestehende Unternehmen durch die Nachzahlungen aus einer Betriebsprüfung in den Bankrott zu stürzen.
Nicht selten stellt man fest, dass Betriebsprüfer auch nur Menschen sind, und teilweise sogar richtig nette. So kann es durchaus passieren, dass sich ein Unternehmer im Nachhinein bei seinem Betriebsprüfer, der z. B. eine Umsatzsteuersonderprüfung für einen kurzen Prüfungszeitraum durchgeführt und einen Fehler entdeckt hat, bedankt. Denn: Wäre dieser Fehler über Jahre unentdeckt geblieben, würde die Nachzahlung bei einer Betriebsprüfung viel höher ausfallen, hinzu käme im Regelfall eine Verzinsung.
Beachten Sie | Es ist kein Geheimnis, dass Finanzbeamte seit längerer Zeit im Bereich Verhandlungs- und Konfliktmanagement geschult werden. Diese Dimensionen sollten auch Berater nicht außer Acht lassen. So kann beispielsweise eine Auseinandersetzung mit dem „Harvard Konzept“ ‒ eine weltweit praktizierte, universal einsetzbare Verhandlungsmethode ‒ hilfreiche Einsichten und Praxisansätze liefern (vgl. hierzu Fischer/Ury/Patton, Das Harvard Konzept, 3. Aufl., DVA 2019).
FAZIT | Gegenseitiger Respekt, Unvoreingenommenheit und ein freundlicher wie verbindlicher Ton dienen dem gemeinsamen Ziel: die Betriebsprüfung für alle Seiten effektiv zu gestalten. Eine veränderte Perspektive einnehmend, bieten Betriebsprüfungen Unternehmen gewissermaßen eine steuerliche Risikoanalyse ‒ und das ohne Verwaltungskosten. Immer mehr setzt sich das Bewusstsein durch, dass steuerliche Vorsorge ‒ hier in Form von Tax CMS und Verfahrensdokumentation ‒ der bessere Weg ist, statt retrospektiv im Wege einer Abwehrberatung schadensbegrenzend zu agieren. Im Bereich Tax CMS fehlt es weiterhin an konkreten Vorgaben des BMF, im Bereich GoBD ist eine Vielzahl von Einzelfragen noch klärungsbedürftig. Die damit verbundenen Herausforderungen, vor die Unternehmen und die Betriebsprüfung gleichermaßen gestellt sind, können kooperativ bewältigt werden. Das schließt nicht aus, dass im Einzelfall ein Rechtsstreit geführt werden muss. |
Beachten Sie | Der Artikel wurde von der Autorin in nicht dienstlicher Eigenschaft verfasst.
Zur Autorin | Andrea Köchling ist Betriebsprüferin in einem Hamburger Finanzamt und bundesweite Referentin auf den Gebieten Kassenführung, Verfahrensdokumentation und Umsatzsteuer. Mehr über die Autorin erfahren Sie unter https://andrea-koechling.de/ueber-mich/