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· Fachbeitrag · AWH-Verfahren zur Bewertung von Handwerksunternehmen

UN-Nachfolge: Spezifische Herausforderungen bei der Unternehmensbewertung im Handwerk

von Rolf Papenfuß, Leiter Referat Unternehmensführung ZDH, Berlin

| Das Thema Betriebsnachfolge spielt in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle im Handwerk, in dem der demografische Wandel besonders spürbar wird. Zur Unterstützung der Betriebsübergabe ist die Ermittlung des Unternehmenswerts unerlässlich. Sei es als Basis für Verkaufsverhandlungen oder zur Ermittlung der Steuer beim Schenkungs- bzw. Erbschaftsfall. |

1. Besonderheiten des Handwerks

Für die im Handwerk typischen inhabergeführten fachtechnisch orientierten Klein- und Mittelbetriebe gelten einige Besonderheiten, die bei der Ermittlung des Unternehmenswerts nach dem Ertragswertverfahren unbedingt zu berücksichtigen sind. Zu nennen sind vor allem

  • die starke Beeinflussung der Ertragslage durch die Inhaberpersönlichkeit,
  • die Haftungsverflechtung von Privat- und Betriebsvermögen,
  • die mangelnden betriebswirtschaftlichen Planungsmethoden.

2. Standardisiertes AWH-Bewertungsverfahren

Da die gängigen Bewertungsmethoden nach den Erfahrungen der rund 800 Betriebsberater in den Handwerksorganisationen oft zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen, wurde von den Bewertungsexperten im Beratungsnetzwerk des Handwerks eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines auf die handwerklichen Belange spezialisierten Verfahrens (AWH ‒ Arbeitsgemeinschaft der Wert ermittelnden Betriebsberater im Handwerk) eingerichtet. Mithilfe des inzwischen bundesweit eingesetzten standardisierten AWH-Bewertungsverfahrens wird auf Basis des Ertragswertverfahrens ein realistischer Wert für Handwerksunternehmen errechnet, der bei Käufern und Verkäufern, aber auch in der Finanzverwaltung und bei Kreditinstituten eine erfreuliche Akzeptanz findet.

3. Abweichungen vom Standard

Zur Bestimmung des Unternehmenswerts wird von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Finanzbehörden überwiegend das aus der Industrie stammende Ertragswertverfahren IDW S 1 oder das vereinfachte Ertragswertverfahren verwendet.

 

Diese Grundsätze zur Unternehmensbewertung zielen überwiegend auf die Bewertung von kapitalmarktorientierten Großunternehmen ab (vgl. z. B. Verband für die mittelständische Wirtschaftsprüfung, Hinweise für die Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen [Stand: 6.5.14], 2014, 1.), bei denen zur Wertermittlung regelmäßig auf beobachtbare Marktdaten und eine aussagefähige Informationsbasis zurückgegriffen werden kann.

 

Bei kleinen und mittleren Unternehmen treffen diese Eigenschaften häufig nicht zu (vgl. IDW, WP-Handbuch, 2014, II, Kap. A Rz. 423 ‒ 424). Die Bewertung von KMU ist daher regelmäßig mit Besonderheiten verbunden (vgl. Buchner, Friedl, Valuation Note ‒ Kennzeichnung und Erläuterung des AWH-Standards zur Unternehmensbewertung, Der Betrieb Nr. 17 vom 26.4.19), die u. a. aus der Einheit von Eigentum und Leitung sowie eingeschränkten Informationsquellen als auch fehlenden Planungsrechnungen resultieren (vgl. Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, 2013; Schütte-Biastoch, Unternehmensbewertung von KMU, 2011; Zieger/Schütte-Biastoch FB 2008 S. 590). Vor diesem Hintergrund ist das AWH-Verfahren i. S. v. § 11 Abs. 2 S. 2 BewG zu sehen: „… so ist er [gemeiner Wert] unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde“.

 

Für die Unternehmen des Handwerks sind berufsständische Wettbewerbs-, Markt- und Finanzrestriktionen zu beachten, die aus vorherrschenden Abhängigkeiten gegenüber einer Vielzahl an Parteien resultieren (vgl. Buchner/Friedl/Hinterdobler, DStR 2017 S. 1341/1342). Aufgrund eines geografisch begrenzten Betätigungsfelds wird die Wettbewerbsintensität und unmittelbare Konkurrenzsituation eines Unternehmens durch die regionale Betriebsdichte im Handwerk determiniert. Zudem kann aufgrund rechtlicher Vorgaben (z. B. Meisterpflicht) das betriebliche Leistungsangebot nicht beliebig über das betriebene Gewerk hinaus erweitert werden. Zudem fungieren Mitarbeiter oft als elementare Wissensträger, deren Ausscheiden ein erhebliches Risiko für den Fortbestand des Betriebs darstellt.

 

Insbesondere für die im Handwerk typischen inhabergeführten fachtechnisch orientierten Klein- und Mittelbetriebe gelten einige Besonderheiten, die bei der Ermittlung des Unternehmenswerts nach dem Ertragswertverfahren zu berücksichtigen sind, z. B.:

 

  • Die starke Beeinflussung der Ertragslage durch die Inhaberpersönlichkeit
  • Die Haftungsverflechtung von Privat- und Betriebsvermögen
  • Die mangelnden betriebswirtschaftlichen Planungsmethoden

 

Den aufgeführten Besonderheiten wird durch das AWH-Verfahren Rechnung getragen, das sich von den sonst eingesetzten Systematiken zur Unternehmensbewertung abhebt im Hinblick auf

  • die Herleitung der Planwerte aus den gewichteten Vergangenheitszahlen,
  • den Ansatz des kalkulatorischen Unternehmerlohns durch Herleitung von Tariflöhnen,
  • eine detaillierte Risikoermittlung anhand von Zuschlägen auf den Kapitalisierungszinssatz in zehn Risikokategorien, insbesondere durch die Berücksichtigung der Inhaberabhängigkeit durch eine hohe Gewichtung in der Risikoanalyse.

4. Vorgehen und Berechnungsschema beim AWH-Verfahren

Das AWH-Verfahren stellt eine Modifikation des IDW-Standards dar, ohne dessen wesentliche Grundkonzeption zu verletzen. Es stellt eine zielgerichtete Abwandlung des IdW S 1 dar, der in erster Linie für Kapitalmarktzwecke entwickelt wurde.

 

Beachten Sie | Der IDW-Praxishinweis KMU Bewertung 2014 (RN 58) bietet die Möglichkeit der Anwendung alternativer Bewertungsverfahren von KMU.

 

Der AWH-Standard nimmt eine Bewertung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten vor und stellt daher auch im Besteuerungsprozess gem. R B 199.1 Abs. 1 S. 3 ErbStR 2019 eine legitime Alternative zum „vereinfachten Ertragswertverfahren“ dar. Die Berechnung nach dem AWH-Standard erfolgt als Ertragswert auf finanzmathematischer Basis einer ewigen Rente. Hierzu ist als Zählergröße ein konstant nachhaltiger Überschuss zu ermitteln. Diese Ertragskomponente wird ausgehend von den handelsrechtlichen Gewinnen der zurückliegenden vier Geschäftsjahre ermittelt, die in jeder Periode um bestimmte Aufwendungen und Erträge (z. B. außerordentliche, nicht-marktübliche oder nicht von der Unternehmenswertdefinition des AWH-Standards umfasste Erfolgsbestandteile) zu bereinigen sind. Die vier normalisierten Vergangenheitsergebnisse sind anschließend anhand einer Trendgewichtung auf einen einzelnen Wert zu verdichten. Zudem sind diesem trendgewichteten Ergebnis zukünftig erkennbare Veränderungen, bestimmte kalkulatorische Wertansätze sowie Ertragsteuern auf Unternehmens- und Unternehmerebene gegenzurechnen.

 

Als Nennergröße ist für Zwecke der Diskontierung ein Kapitalisierungszinssatz zu ermitteln, der sich aus einem (quasi-)risikolosen Basiszinssatz sowie definierten Zuschlägen zusammensetzt. Der Basiszinssatz errechnet sich anhand von Zinsstrukturdaten der Deutschen Bundesbank, die verbleibenden Komponenten werden aufgrund einer betriebsspezifischen Risikoanalyse ermittelt. Dazu formuliert der AWH Kriterien zur Einschätzung der einzelnen Zinskomponenten. Das konkrete Ausmaß ist durch eine Einschätzung der Kundenabhängigkeit, des Produkt- und Leistungsangebots, der Branchen- und Konjunkturentwicklung, des Standorts und regionalen Wettbewerbs, der Betriebsausstattung, der Beschäftigtenstruktur, der Personenabhängigkeit sowie sonstiger betriebsspezifischer Risiken festzulegen. Es handelt sich hierbei um keine „zusätzlichen“ Risikozuschläge, sondern vielmehr ergibt sich der Kapitalisierungszinssatz als Summe der einzelnen Risikofaktoren. Der auf einer Bruttobasis verdichtete Kapitalisierungszinssatz wird in einem letzten Schritt um die persönlichen Ertragsteuern des Unternehmenseigentümers vermindert.

 

Mithilfe dieses bundesweit standardisierten AWH-Bewertungsverfahrens wird auf Basis des Ertragswertverfahrens ein realistischer Wert für Handwerksunternehmen errechnet. Dies führt u. a. dazu, dass bei Bewertungen nach dem AWH-Verfahren regelmäßig Kapitalisierungszinssätze nach Steuern zwischen 15 und 25 % verwendet werden (ZDH-Auswertung aus ca. 320 Datensätzen), was letztlich aber der tatsächlichen Risikostruktur eines Handwerksbetriebs Rechnung trägt.

5. Unterstützung des AWH-Verfahrens durch wissenschaftliche Untersuchungen

Das AWH-Verfahren ist sachgerecht und berücksichtigt nur die tatsächliche Ertragskraft eines Handwerksunternehmens. Dies belegen zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen. So wird in der Studie der Universität Leipzig (Prof. Carmen Bachmann, Konrad Richter und Thomas Wagner) „Vergleich des AWH-Standards mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren für erbschaftsteuerliche Zwecke“ 2018 das vereinfachte Ertragswertverfahren dem AWH-Standard gegenübergestellt. Auch wenn der AWH-Standard im Rahmen dieser Untersuchung teilweise kritisiert wurde, ist er laut dem Fazit der Autoren insgesamt deutlich besser geeignet, kleine Unternehmen zu bewerten als bisherige Modelle.

 

Übersicht / Bewertung des AWH-Verfahrens überwiegend positiv

  • Die relative Schätzgüte des vereinfachten Ertragswertverfahrens ‒ Eine empirische Analyse unter Berücksichtigung des AWH-Standards von Buchner und Friedl, TU München, NWB JAAAH-16903, BFuP vom 14.6.19
  • Eine kritische Würdigung der Bewertungsvereinfachungen im Rahmen des AWH-Standards von Dr. Buchner und Prof. Friedl, TU München, in: Der Betrieb, 10.11.17
  • Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen nach dem AWH-Standard, Dr. Buchner, Prof. Friedl, Hinterdobler, DStR 24/2017
 

6. Ziele: Neutralität und einheitliche Bewertungsqualität

Für die Beratungsstellen ist es unabdingbar, ein neutrales Bewertungsergebnis sicherstellen zu können, da die organisationseigenen Berater sowohl für den verkaufenden Altinhaber als auch den Erwerber tätig sind. Beide Parteien sind Mitglieder der jeweiligen Handwerksorganisation. Darüber hinaus ist die Handwerkskammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts ohnehin gehalten, sich neutral zu verhalten und keine Bevorzugung einzelner Interessenten vorzunehmen.

 

Ein von den Handwerksberatern einzusetzendes Bewertungsverfahren muss sicherstellen, dass, ganz gleich wer in der Handwerksorganisation eine Bewertung vornimmt, das Ergebnis weitgehend deckungsgleich ist. Diese Anforderung wurde erst mit der flächendeckenden Einführung des AWH-Bewertungsverfahrens erreicht. Bereits in der verpflichtenden Grundlagenschulung konnte festgestellt werden, dass die erstmals das AWH-Verfahren einsetzenden Berater in den ersten Übungsfällen schon zu erstaunlich gleich hohen Unternehmenswerten gelangten. Das AWH-Verfahren stellt also mit den vom AWH herausgegebenen Berechnungsinstrumenten sicher, dass die dem Bewertungsprozess unterliegenden subjektiven Einschätzungen zu großen Teilen eliminiert werden können.

7. Akzeptanz durch Käufer und Verkäufer

Der ermittelte AWH-Unternehmenswert wird regelmäßig als Basis für die Kaufpreisfindung bei der Unternehmensnachfolge eingesetzt. In der Praxis genießt das Verfahren hohe Akzeptanz. Vielfach entspricht der AWH-Wert dem endgültigen Verkaufspreis. Eine entsprechende Erhebung wurde 2015 durchgeführt. Dabei wurden 44 Werte gegenübergestellt. Bei diesen 44 Vergleichswerten lag der durchschnittliche AWH-Kapitalisierungszinssatz bei 18,7 %. Würde man die tatsächlichen Verkaufspreise umrechnen, käme man auf einen errechneten Kapitalisierungszinssatz von 18,1 %.

 

  • Ermittlung des Unternehmenswerts nach dem AWH-Standard (stark vereinfachtes Beispiel)
A) Ermittlung des Gewinns

Gewichteter Jahresüberschuss der letzten vier Jahre

130.000 EUR

  • ./. kalkulatorischer Unternehmerlohn

80.000 EUR

  • + steuerliche AfA

+

8.000 EUR

  • ./. kalkulatorische Abschreibung

4.000 EUR

  • = prognostiziertes betriebswirtschaftliches Ergebnis

=

54.000 EUR

  • ./. Einkommensteuer (mit 35 % pauschalisiert)

18.900 EUR

  • = prognostizierter Gewinn nach Ertragsteuern

=

35.100 EUR

B) Berechnung des AWH-Kapitalisierungszinssatzes
  • 1. Basis
  • 1.1 Basis-Zinssatz

0,07 %

  • 1.2 Immobilitätszuschlag

1,00 %

  • 2. Risikozuschläge
  • 2.1 Kundenabhängigkeit

1,00 %

  • 2.2 Produkt- und Leistungsangebot

2,00 %

  • 2.3 Branchenentwicklung und Konjunktur

2,00 %

  • 2.4 Standort und Wettbewerb

1,00 %

  • 2.5 Betriebsausstattung

1,00 %

  • 2.6 Beschäftigtenstruktur

1,00 %

  • 2.7 Personenabhängigkeit

0,00 %

  • 2.8 Sonstige oder betriebsspezifische Risiken

0,00 %

  • 3. Inhaberabhängigkeit

18,00 %

  • = Kapitalisierungszinssatz brutto

27,07 %

  • ./. Anrechnung d. pauschalen Einkommensteuer zzgl. SolZ 26,375 %

7,14 %

  • = Kapitalisierungszinssatz netto

19,93 %

gerundet

20,00 %

C) Ertragswert = (35.100 EUR × 100) ÷ 20 = 175.500 EUR
 

Zum Autor

  • Ansprechpartner im ZDH zum AWH-Verfahren: Rolf Papenfuß, Leiter Referat Unternehmensführung, papenfuss@zdh.de, Tel.: 030/20619-323
Quelle: ID 46812360