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· Fachbeitrag · Arbeitsvertrag

Arbeitszeit und Umgang mit Überstunden regeln

von RA Joachim Schwede, Aichach

  • 1. Fehlt eine ausdrückliche arbeitsvertragliche Bestimmung hinsichtlich des Umfangs der Arbeitszeit, ist eine Klausel mit dem Wortlaut, der „Arbeitnehmer wird in Vollzeit beschäftigt“, so auszulegen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit 40 Wochenstunden nicht übersteigt.
  • 2. Steht zudem fest, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers hin geleistet wurden, kann aber der Arbeitnehmer seiner Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht vollständig genügen, darf der Mindestumfang dieser Überstunden vom Gericht geschätzt werden.
 

Sachverhalt

Der Kläger ‒ Arbeitnehmer (ArbN) ‒ forderte von seiner Arbeitgeberin (ArbG), der Beklagten, seine Überstunden zu vergüten. Der Arbeitsvertrag gab keine Stundenzahl für die Arbeitszeit an, regelte aber, dass der Kläger „in Vollzeit“ beschäftigt werde. Das ArbG wies die Klage ab. Das LAG hat auf die Berufung des Klägers der Klage teilweise stattgegeben. Es sprach ihm nach § 287 ZPO für 108 (von 650 geltend gemachten) Überstunden rund 1.100 EUR brutto zu. Das BAG wies die Revision der Beklagten ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Bestimmungen im Arbeitsvertrag zu Art und Dauer der Tätigkeit sind wie Allgemeine Geschäftsbedingungen nach §§ 305c Abs.  2, 306 bis 309 BGB zu behandeln. Dass „der Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt“ wird, wird so ausgelegt, dass er regelmäßig nicht mehr als 40 Wochenstunden arbeitet. Zugrunde gelegt werden eine Arbeitswoche von fünf Tagen und je ein Arbeitstag von acht Stunden (§ 3 S. 1 ArbZG).

 

Soll hingegen mit der Formulierung „in Vollzeit“ die nach geltendem Recht zulässige Höchstgrenze der Arbeitszeit ganz oder teilweise ausgeschöpft werden, muss dies klargestellt werden. Die Stunden müssen dann konkret benannt werden oder es muss hinreichend bestimmt genug Bezug auf den arbeitsschutzrechtlich eröffneten Arbeitszeitrahmen genommen werden.

 

Es kommt nicht darauf an, ob eine betriebsübliche Arbeitszeit existiert. Die maßgebliche Arbeitszeit lässt sich dadurch ermitteln, dass der Arbeitsvertrag ausgelegt wird. Eine betriebsübliche Arbeitszeit kann auch nicht dadurch rechtsverbindlich begründet werden, dass der Arbeitgeber sie einseitig anordnet.

 

Der Kläger durfte grundsätzlich erwarten, dass Überstunden vergütet werden. Dies ergibt sich jedenfalls daraus, dass es im betreffenden Wirtschaftszweig (Omnibusgewerbe) sogar tariflich vorgesehen ist, Überstunden mit einem Mehrarbeitszuschlag von 25 Prozent zu vergüten.

 

Die Vergütung von Überstunden setzt voraus, dass sie tatsächlich geleistet und vom ArbG veranlasst wurden oder ihm zurechenbar sind. Hierfür trägt der ArbN die Darlegungs- und Beweislast.

 

Allerdings kann das Gericht schätzen, wie viele Überstunden der ArbN gemacht hat, wenn er seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede Überstunde nicht genügen kann, aber feststeht, dass der ArbG sie veranlasst hat. Die Überstunden konnten hier ‒ wie vom LAG ‒ geschätzt werden.

 

Praxishinweis

Überstunden sind in Anwaltskanzleien nicht selten, und oft ist es üblich, dass sie weder vergütet noch in Freizeit ausgeglichen werden. Da meistens in kleineren Kanzleien auch die Zeiten nicht genau erfasst werden, wird dies oft erst problematisch, wenn zusätzliche Arbeitsstunden überhandnehmen. Der Fall des BAG macht deutlich, wie wichtig ein eindeutig formulierter Arbeitsvertrag ist. Dies gilt auch für Arbeitsverträge mit dem Kanzleipersonal. Etwas nicht zu regeln, bedeutet keineswegs, dass es im Endeffekt auch nichts kostet ‒ im Gegenteil!

 

Gerade die Wochen- und Monatsstunden, die der ArbN leisten muss, sollten beziffert werden. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitsvertrags. Zudem sollten die Vertragsparteien regeln, wie der ArbN für Überstunden entschädigt wird: Bis zu welcher Zahl? Freizeitausgleich oder Abgeltung? Zuschläge? Selbst der Umstand, dass Überstunden in gewissem Rahmen nicht zusätzlich abgegolten werden, ist im Vertrag ausdrücklich zu regeln, weil es erst bei „Gehaltsklassen“, in denen sich z.B. Kanzleipersonal selten befindet, verständlich ist. Bei unklaren Regelungen schützt die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit in der Regel den Arbeitnehmer. Bedenken Sie, die folgenden Punkte zu regeln, wenn Sie einen Arbeitsvertrag abschließen:

 

Checkliste / Das sollten Sie im Arbeitsvertrag regeln

  • 1. Vereinbaren Sie den Arbeitsvertrag stets schriftlich.
  • 2. Regeln Sie hierin schriftlich die wesentlichen Arbeitsbedingungen, z.B. die Arbeitszeit (hierauf hat der ArbN einen Anspruch, § 2 Abs. 1 Nr. 7 NachwG).
  • 3. Beziffern Sie die wöchentlichen/monatlichen Arbeitszeiten, die der ArbN leisten muss.
  • 4. Prüfen Sie, dass das Vereinbarte (Gehalt und Arbeitszeit) nicht gegen § 1 Abs. 2 MiLoG verstößt.
  • 5. Regeln Sie, wie Überstunden abgegolten werden. Werden sie in Freizeit ausgeglichen und/oder bezahlt?
  • 6. Legen Sie fest, wann es üblich ist, Pausen zu machen (z.B. „Die Mittagspause muss zwischen 12 Uhr und 14 Uhr in Anspruch genommen werden“).
  • 7. Regeln Sie, in welchem Zeitkorridor die Arbeit beginnen muss, wenn die Arbeitszeiten nicht ohnehin fix geregelt sind.
  • 8. Formulieren Sie die Aufgaben, die zu erledigen sind, nicht zu eindeutig. Nur so können Sie das Personal flexibel einsetzen.
  • 9. Legen Sie fest, ob die Mitarbeiter die Kanzleihard- und -software auch für private Zwecke nutzen dürfen, z.B. für Internetrecherchen.
  • 10. Regeln Sie, inwieweit eigene Mobiltelefone in der Kanzlei zu privaten Zwecken genutzt werden dürfen.
 

Einzelheiten zu Arbeitszeit und Überstunden formulieren Sie z.B. wie folgt:

 

Musterformulierung / Arbeitszeit und Überstunden

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden. Die Lage der Arbeitszeit wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abhängig von den Anforderungen des Arbeitsplatzes vereinbart (1).

 

Überstunden müssen vom Arbeitgeber ausdrücklich angeordnet werden (2).

 

Fallen Überstunden an, müssen diese dadurch ausgeglichen werden, dass Freizeit in Anspruch genommen wird. Ist dies über einen Zeitraum von drei Monaten, nachdem die Überstunden angefallen sind, nicht möglich, werden sie nach dem üblichen Stundensatz abgegolten (3).

 

 

MERKE | Zu (1): Wenn Sie als ArbG wie vorgeschlagen formulieren, können Sie die Arbeitszeit in absehbaren „Spitzen“, in denen mehr Arbeit anfällt, entsprechend anpassen. Bedenken Sie dabei jedoch, dass es für den ArbN in Grenzen möglich sein muss, seine Arbeitszeit zu planen (nicht von „heute auf morgen“!).

 

 

MERKE | Zu (2): Als ArbG können Sie Überstunden durchaus auch konkludent anordnen, z.B. wenn Sie Arbeitsaufträge erteilen, die den üblichen Zeitrahmen sprengen.

 

 

MERKE | Zu (3): Überstundenzuschläge müssen nicht sein. Der ArbG sollte sie keineswegs vorschnell in einem Arbeitsvertrag vereinbaren. Fallen zusätzliche Arbeiten an Wochenenden oder am späten Abend an, steht es ihm frei, diese zusätzlich ‒ freiwillig ‒ abzugelten. Damit der ArbN dies aber nicht als gegeben voraussetzt, sollte der ArbG stets den einmaligen Charakter solcher zusätzlichen Leistungen schriftlich hervorheben. So entsteht keine n„betriebliche Übung“.

 

 

Muss der ArbN bei den üblichen Arbeitsaufgaben regelmäßig Überstunden machen, kann dies daran liegen, dass

  • der ArbN mit seinen Aufgaben überfordert ist,
  • die vereinbarte Arbeitszeit grundsätzlich nicht ausreicht (z.B. bei Teilzeit) oder
  • die Arbeit schlecht geplant wird.

 

Arbeitsvertragliche Arbeitszeit und Überstunden müssen sich im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes halten (insbesondere §§ 3 ff. ArbZG).

 

Weiterführende Hinweise

  • Unentgeltliche Mehrarbeit als Werbungskosten? AK 14, 198
  • Zeiterfassung: Zeit ist Geld ‒ So halten Sie beides fest, AK 14, 106
Quelle: Seite 204 | ID 43632329