· Fachbeitrag · Arbeitsrechtliche Konsequenzen
Die wichtigsten sieben Kriterien des Betriebsübergangs
von Dr. Guido Mareck, stellv. Direktor des Arbeitsgerichts Dortmund
| Welcher Betrieb soll übergehen: ein Callcenter, Restaurant, Waschmaschinenhersteller, Friseurladen oder Dachdeckerbetrieb? Oft ist es in der Praxis problematisch, zu erkennen, ob eine bestimmte Transaktion einen Betriebsübergang nach § 613a BGB mit den sich hieraus für Erwerber und Veräußerer ergebenden Rechtsfragen darstellt. Dies gilt insbesondere dann, wenn bestehende Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber übergehen sollen. Um hier eine verlässliche Richtschnur zu geben, haben Literatur und Rechtsprechung Kriterien aufgestellt, die sich in ihrer Gewichtung unterschiedlich auswirken. Was dabei wesentlich ist, erfahren Sie im nachfolgenden Beitrag. |
1. Art des Betriebs oder Unternehmens
Zunächst muss betrachtet werden, welcher Betriebsart der zu übergebende Betrieb zugeordnet werden kann:
- Produktions-,
- Dienstleistungs-,
- Handels- oder
- Gastronomiebetrieb.
Entscheidend für einen Betriebsübergang ist nämlich die Wahrung der Identität einer wirtschaftlichen Einheit des Betriebs (Inhaberwechsel und Fortführung durch den Erwerber: so EuGH 26.11.15, C-509/14; BAG 25.8.16, 8 AZR 53/15). Dabei ist nicht jedes Kriterium, das für die eine Betriebsform entscheidend ist, dies auch für die andere.
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Für einen Produktionsbetrieb sind z. B. sächliche Betriebsmittel entscheidend, wie Maschinen, Werkzeuge und Schutzrechte für die Produktionsgüter, die notwendigerweise zur identitätswahrenden Fortsetzung der Produktion benötigt werden (hierzu: BAG 14.7.94, 2 AZR 55/94). Diese sind für Dienstleistungsbetriebe oft unerheblich und geben dort kein oder allenfalls ein schwaches Indiz für das Vorliegen eines Betriebsübergangs ab. |
1.1 Der Produktionsbetrieb
Allerdings ist auch in reinen Produktionsbetrieben nicht jede Übertragung von materiellen Betriebsmitteln auf Dritte, auch wenn sie in einem durchaus erheblichen Umfang stattfindet, ausreichend, um die Anwendbarkeit des § 613a BGB und damit dessen Rechtsfolgen zu bejahen.
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Die Übertragung jederzeit ersetzbarer Bestände eines Materiallagers (BAG 22.9.94, 2 AZR 54/94) ist ebenso wenig ausreichend wie die Übertragung einzelner Maschinen oder frei auf dem Markt beschaffbarer Rohstoffe. |
In Produktionsbetrieben ist hingegen, zumindest wenn sie reich an materiellen Betriebsmitteln sind, ein fehlendes freiwilliges Übernahmeangebot des potenziellen Erwerbers an die Belegschaft kein Ausschlusskriterium für den Betriebsübergang (vgl. BAG 22.7.04, 8 AZR 350/03). Ein solcher Übergang des Arbeitsverhältnisses vollzieht sich, sofern die Voraussetzungen des § 613a BGB vorliegen, ohnehin kraft Gesetzes.
1.2 Der Dienstleistungsbetrieb
Bei Dienstleistungsbetrieben kommt es für die Frage, welche Kriterien und Merkmale hier den Kern der betrieblichen Identität prägen, in erster Linie darauf an, ob der Veräußererbetrieb den „personalintensiven“ oder den „betriebsmittelreichen“ Dienstleistungen zuzurechnen ist (zu diesem Unterschied: BAG 13.12.07, 8 AZR 937/06). Für einen Großteil der Dienstleistungsbetriebe gilt, dass hier der Einsatz der Arbeitskraft des Personals, also der Arbeitnehmer, wichtiger sein dürfte als der der Betriebsmittel, die oft nur Hilfsfunktion haben. Damit sind die meisten Dienstleistungen also personal- und nicht betriebsmittelintensiv. Das bedeutet, dass ein potenzieller Betriebserwerber sich eine organisatorische Einheit bei diesen Dienstleistungsbetrieben nur zunutze macht, wenn er einen nach Zahl oder Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt (EuGH 12.2.09, C-466/07 ‒ Klarenberg). In diesem Fall bewirkt § 613a BGB, dass auch der nicht freiwillig übernommene Teil der Belegschaft kraft Gesetzes auf den Erwerber übergeht und die ursprünglichen Arbeitsbedingungen fortbestehen.
Beispiele für personalintensive Dienstleistungsbetriebe sind:
- Reinigungs- und Bewachungsdienste
- Hausmeister- und Kommissionierungstätigkeiten in einem Lager eines Dritten
- Telefon- und Callcenter-Arbeiten
- Hausverwaltungstätigkeiten
Kommt es für die Dienstleistung entscheidend auf die eingesetzten Betriebsmittel an, sind diese also bei objektiver, wertender Betrachtung nicht bloßes Objekt, sondern das Mittel der Dienstleistung. Diesem kommt somit auch bei einem Betriebsübergang wichtige Bedeutung zu.
Beispiele für betriebsmittelreiche Dienstleistungen sind:
- Durchleuchtungs- und Untersuchungsgeräte bei der Fluggastkontrolle (BAG 13.6.06, 8 AZR 271/05)
- Die aufwendigen Schlachtanlagen eines industriell geführten Schlachthofs (BAG 29.3.07, 8 AZR 519/06)
- Das Umschlags- und Transportgerät eines Hafenumschlagsbetriebs (BAG 22.8.13, 8 AZR 521/12)
1.3 Der Handelsbetrieb
Die Betriebe des Handels sind nach ähnlichen Kriterien wie die (sonstigen) Dienstleistungsbetriebe hinsichtlich der Prägung der betrieblichen Identität durch materielle Betriebsmittel einzuteilen. In der weit überwiegenden Zahl der Groß- und Einzelhandelsbetriebe sind nicht die oft nur gemieteten Betriebsmittel oder -räume, sondern die Übernahme des Kundenstamms und der Lieferbeziehungen entscheidend (BAG 2.12.99, 8 AZR 796/98).
Dabei kommt es auch darauf an, ob die betrieblichen Grundlagen für einen solchen Erhalt des Kundenstamms beim Erwerber gewahrt bleiben. Zu diesen gehören in der Regel bei Ladengeschäften die Geschäftsräume, ein gleichartiges Warensortiment und die Form des Betriebs, wie Fach- oder SB-Geschäft, also im Ergebnis gleichartiges Warensortiment in vergleichbarer Präsentation.
In Betrieben des Großhandels sind weniger die Lager der Geschäftsräume als vielmehr die Lieferbeziehungen und ggf. vorhandene gewerbliche Schutzrechte wichtig.
1.4 Der Gastronomiebetrieb
Hotels und Gaststätten sind vor allem auf die Beibehaltung des Kundenstamms und der Zweckbestimmung (Ferien-, Tagungs- oder Familienhotel etc.) angewiesen. Auf der anderen Seite spielt die Übernahme auch des gesamten Inventars eines Restaurants für die Beurteilung eines Betriebsübergangs nur eine völlig untergeordnete Rolle, wenn der Erwerber das Gastronomiekonzept ganz neu gestaltet, z. B. von gutbürgerlicher Küche zur „orientalischen Erlebnisgastronomie“, da dann gerade ein neuer Kundenstamm aufgebaut werden muss (BAG 11.9.97, 8 AZR 355/95).
2. Die Übernahme materieller (sächlicher) Betriebsmittel
Wie aufgezeigt kommt der Übertragung materieller Betriebsmittel vor allem in Produktions-, seltener in Dienstleistungsbetrieben starke Indizwirkung für das Vorliegen eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB zu. Diese Übertragung eines „gegenständlichen Substrats“ ist aber für das BAG seit 1997 kein zwingend notwendiges Kriterium für das Vorliegen eines Betriebsübergangs mehr (vgl. BAG 22.5.97, 8 AZR 101/96; 11.12.97, 8 AZR 729/96). Damit erkennt das BAG an, dass auch betriebsmittelarme Betriebe vor allem des Dienstleistungssektors unter Wahrung ihrer Identität auf einen neuen Inhaber übergehen können, wenn z. B. die Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Belegschaftsteils oder der vollständigen Kunden- und Lieferbeziehungen erfolgt.
Auf der anderen Seite kann aber auch bei Dienstleistungsbetrieben die Übernahme der für die Dienstleistung essenziellen Sachmittel ein starkes Indiz für den Übergang des Betriebs auf den Erwerber darstellen, z. B. Erwerb eines Transportschiffs, einer Krankenhausküche, Gebäude und Einrichtung eines Hotels.
3. Die Übernahme immaterieller Betriebsmittel
Als (oft entscheidende) immaterielle Betriebsmittel, die die Identität des übergehenden Betriebs ausmachen, werden vor allem Patent- und Gebrauchsmusterrechte, Schutzrechte und Lizenzen, aber auch das Know-how der Arbeitnehmer und der Goodwill auf dem Markt angesehen. Patente, Lizenzen und ähnliche Rechte bzw. deren Übertragung auf einen Erwerber sind stets als deutliche Indizien für einen Betriebsübergang anzusehen (BAG 13.11.97, 8 AZR 375/96).
Dagegen wird der Firmenname, anders als übernommene Güter- oder Warenzeichen, in dieser Hinsicht nur selten den Ausschlag geben (BAG 21.8.08, 8 AZR 201/07).
4. Übernahme der Hauptbelegschaft
Bei diesem Indiz ist Vorsicht geboten, weil der Übergang der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer des Veräußerers auf den neuen Betriebsinhaber nicht Voraussetzung, sondern nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB Rechtsfolge des Betriebsübergangs ist.
Wird durch den potenziellen Erwerber gezielt (nur) ein Teil der ursprünglichen Belegschaft z. B. durch „Abwerbung“ übernommen, kann aber hierin bereits ein vollendeter Betriebsübergang ‒ auch zugunsten des nicht übernommenen Belegschaftsteils ‒ liegen. Dabei gilt, dass, je geringer die Qualifikation ist, desto höher die Quote der vom Erwerber (freiwillig) übernommenen Arbeitnehmer sein muss (BAG 30.10.08, 8 AZR 397/07). So kann bei gering qualifizierten und jederzeit austauschbaren Arbeitnehmern selbst eine Quote von 75 % nicht als wesentliches Indiz für einen Betriebsübergang ausreichend sein (zum Reinigungspersonal und der besonderen Situation des Rückverleihs: BAG 21.5.08, 8 AZR 481/07).
Andererseits kann bereits die Übernahme einiger weniger Know-how-Träger und Spezialisten wie z. B. IT-Servicetechniker, Führungskräfte etc. wesentlich für einen Betriebsübergang sprechen (BAG 21.6.12, 8 AZR 181/11).
5. Übergang des Kundenstamms
Auch dieses Kriterium steht in der Regel bei klassischen Dienstleistungsbetrieben mehr im Vordergrund als bei Produktionsbetrieben.
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Bleibt bei klassischen Ladengeschäften, Textileinzelhandelsgeschäften, Hotels und Gaststätten der Kundenkreis durch Identität der Geschäftsräume, des Sortiments und der Betriebsform gewahrt, deutet dies auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs hin (BAG 13.7.06, 8 AZR 331/05). |
Insbesondere im Gastronomiebereich muss man hier aber genau hinschauen, denn auch die Übernahme des Standorts und der Ausstattung eines Lokals muss nicht automatisch den bisherigen Gästestamm ansprechen.
Auch die Übernahme von Patienten bzw. Mandanten bei Praxen oder Kanzleien von Ärzten, Rechtsanwälten oder Steuerberatern kann indiziell auf einen Betriebsübergang hindeuten, ist aber abgesehen von der insoweit vorhandenen datenschutzrechtlichen Problematik nur eines von mehreren Merkmalen (hierzu: BAG 30.10.08, 8 AZR 397/07).
6. Ähnlichkeit der Betriebstätigkeit vor und nach dem Übergang
Da die betriebliche Einheit automatisch ihre bisherige Identität verliert, wenn sie anders als bisher in wesentlicher Form vom potenziellen Erwerber weitergeführt wird, kommt auf der einen Seite diesem Kriterium Ausschlusswirkung zu (EuGH 11.3.97, C-13/95 ‒ Ayse Süzen). Auf der anderen Seite liegt in einer reinen Funktionsnachfolge ohne Übernahme der Betriebsorganisation des Vorgängers, z. B. bei der Auftragsnachfolge, gerade kein Betriebsübergang nach § 613a BGB. Dies gilt bspw. auch bei der Fremdvergabe zuvor vom Unternehmen selbst ausgeübter Tätigkeiten, wesentlichen Produktionsumstellungen oder Änderungen betrieblicher Abläufe in Produktionsbetrieben.
7. Dauer einer etwaigen Unterbrechung der Betriebstätigkeit
Auch bei diesem Kriterium handelt es sich, weil Betriebsstilllegung und -übergang sich generell ausschließen, um ein Ausschlusskriterium (BAG 30.10.08, 8 AZR 397/07). Unschädlich sind aber nur vorübergehende Einstellungen oder Unterbrechungen der Geschäftstätigkeit für wenige Tage oder Wochen. Wo die Grenze zu ziehen ist, ist nicht genau und allgemeingültig festzulegen. Bei Produktionsbetrieben dürften in der Regel drei, nicht aber sechs Monate problemlos sein.
PRAXISTIPP | Als Faustregel gilt, dass Unterbrechungen der Betriebstätigkeit, die über die längste vom (ursprünglichen) Inhaber einzuhaltende Kündigungsfrist für Arbeitsverhältnisse hinausgehen, gegen das Vorliegen eines Betriebsübergangs sprechen (BAG 22.5.97, 8 AZR 101/96).
Sind allerdings durch die Unterbrechung in Betriebsstätten mit relativ enger Kundenbindung, wie Kindergärten, Pflegeeinrichtungen oder Textilgeschäften mit speziellem Angebot die Bindungen zerstört, kann diese Unterbrechung auch schon nach zwei bis drei Monaten die Annahme eines späteren Betriebsübergangs ausschließen. |