· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Missstände in der Krankenhausabteilung: Status quo Whistleblowing?
von RA, FA ArbR und MedR Marc Rumpenhorst, Bochum, klostermann-rae.de
| Wann müssen sog. Whistleblower ‒ also Mitarbeiter, die auf Missstände in einer Krankenhausabteilung aufmerksam machen ‒ eine Entlassung befürchten? Mit dieser Frage befasste sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der die Kündigung eines stellvertretenden Chefarztes für rechtens erklärte (Urteil vom 16.02.2021, Az. 23922/19). Dieser Beitrag fasst das Urteil zusammen, ordnet es mit Blick auf die Rechtsprechung in Deutschland ein und gibt Empfehlungen für betroffene (Chef-)Ärzte. |
EGMR: Fristlose Kündigung eines Whistleblowers ist rechtens
Ein im Landesspital Liechtenstein angestellter stellvertretender Chefarzt hatte gegen seine fristlose Kündigung geklagt. Zuletzt scheiterte er vor dem EGMR.
|
Dem Kläger war aufgefallen, dass in kurzer Zeit insgesamt 10 Patienten (bei nur 34 Betten im Spital) nach der Gabe von Morphin verstorben waren. Nach Sichtung der elektronischen Patientenakten vermutete der Arzt, dass sein Vorgesetzter, der behandelnde Chefarzt, aktive Sterbehilfe bei den Verstorbenen geleistet habe. Er wandte sich daraufhin an das parlamentarische Kontrollorgan Liechtensteins, das ihm zur Strafanzeige gegen seinen Vorgesetzten riet, die er dann erstattete. Die folgenden Ermittlungen ergaben, dass der Chefarzt keine aktive Sterbehilfe geleistet, sondern seine Patienten rechtmäßig qualitativ medizinisch behandelt habe. Die Informationen hierzu fanden sich jedoch nicht in der Krankenhaus-EDV, sondern ausschließlich in den Papierakten, die der Kläger nicht gesichtet hatte. Dem Arzt wurde fristlos gekündigt. Er unterlag in allen nationalen Instanzen. Auch der EGMR erachtete die Kündigung für rechtens. Der Kläger habe seine Anzeige nicht ausreichend verifiziert. So sei ihm bekannt gewesen, dass die elektronischen Patientenakten gelegentlich nicht vollständig seien, sodass er vor Erstattung der Strafanzeige auch diese hätte prüfen müssen. Allerdings ließ das Gericht offen, ob er seinen Verdacht zunächst intern hätte melden müssen. |
Rahmenbedingungen in Deutschland und in der EU
Die Loyalitäts- bzw. Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber genießt in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert. Nicht ganz zu Unrecht fürchteten und fürchten Whistleblower auch um ihren Arbeitsplatz. Schließlich fehlte es bis zum Jahr 2019 an einem das Whistleblowing bzw. den Whistleblower schützenden Gesetz. Ganz im Gegenteil stand nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vielmehr die Offenbarung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen unter Strafe, die auch den Whistleblower der Gefahr der Strafbarkeit aussetzte. Folge waren dann auch arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur (außerordentlichen, also fristlosen) Kündigung. Erst im Jahr 2019 wurden diese Konsequenzen durch das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) relativiert.
Die Ende Oktober 2019 verabschiedete EU-„Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (Hinweisgeber-Richtlinie), ist durch die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren umzusetzen. Die EU-Richtlinie sieht ein mehrstufiges System zur ‒ zunächst internen als auch dann externen ‒ Meldung von Missständen als auch dann zum Schutz der Whistleblower vor Repressalien vor. Der Schutz des Hinweisgebers bleibt nach der Richtlinie sogar auch dann erhalten, wenn er sich direkt an ‒ von den Mitgliedstaaten zu benennende ‒ externe Stellen wendet. Allerdings bleibt insoweit die Umsetzung in nationales Recht abzuwarten, da sich die Mitgliedstaaten für einen Vorrang der internen vor der externen Meldung einsetzen sollen. Vor diesem Hintergrund war die aktuelle Entscheidung des EGMR umso interessanter und vielleicht auch überraschender.
Bisherige Rechtsprechung in Deutschland
Whistleblowing ist auch in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte anerkannt, sodass Arbeitnehmer durchaus das Recht haben, Missstände im Betrieb anzuprangern und ggf. auch Strafanzeige zu erstatten. Gleichwohl müssen sie dabei ihre arbeitsrechtliche Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber sowie ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers in ausreichendem Maß beachten. Dabei ist anerkannt, dass ein interner Hinweisgeber und die dadurch erfolgte Aufdeckung von Missständen im Interesse der Unternehmen selbst liegen kann.
MERKE | Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), verschiedener Landesarbeitsgerichte (LAGs) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) rechtfertigt die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Regelfall keine Kündigung. Ausnahmen sind nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig gemachte falsche Angaben (BVerfG, Beschluss vom 02.07.2001, Az. 1 BvR2049/00; BAG, Urteil vom 15.12.2016, Az. 2 AZR 42/16) oder eine Anzeige in bewusst schädigender Absicht (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.11.2020 ‒ 9 Sa 426/20). |
Empfehlung für betroffene (Chef-)Ärzte
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass ein etwaig aufgekommener Verdacht soweit wie möglich ermittelt wird. Hierbei ist allerdings auch zu beachten, dass die „Kontrolle“ von Arbeitskollegen ohne entsprechenden Anfangsverdacht, insbesondere auch die Durchsicht von Unterlagen fremder Patienten, gegen datenschutzrechtliche Belange und die ärztliche Schweigepflicht sowie dann auch arbeitsrechtliche Treuepflichten verstoßen könnte.
|
|