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· Fachbeitrag · Arbeitsrecht

Arzt als kirchlicher Mandatsträger: Verstoß gegen § 19 MVG-EKD lässt Arbeitsvertrag unangetastet

von RA, FA MedR und ArbR, Benedikt Büchling, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, kanzlei-am-aerztehaus.de

| Gemäß § 19 Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD) üben Mitglieder der Mitarbeitervertretung (MAV) ihr Amt als Ehrenamt aus. Eine normative Wirkung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen kann indes kirchengesetzlich nicht angeordnet werden. Die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit hat nicht die Aufgabe, per Urteil die kirchliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Dies bleibt den zuständigen kirchlichen Autoritäten vorbehalten. § 19 MVG-EKD ist insoweit nicht geeignet, die Nichtigkeit oder die Sittenwidrigkeit eines Arbeitsvertrags herbeizuführen (Arbeitsgericht [ArbG] Aachen, 26.03.2021, Az. 6 Ca 3433/20 ). |

Sachverhalt

Der spätere Kläger, ein Gefäßchirurg, war seit 1981 bei einem Krankenhaus ‒ einem Mitglied des Diakonischen Werks ‒ beschäftigt. Seit 1988 war der Arzt Mitglied und seit 1992 Vorsitzender der MAV. Zuletzt war er als Oberarzt in der Gefäßchirurgie tätig. Der Krankenhausträger plante, ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) zu gründen. Der Arzt sollte als Gefäßchirurg ins MVZ wechseln, aber Vorsitzender der MAV im Krankenhaus bleiben. Beide Seiten vereinbarten u. a. eine Bestandsschutzgarantie: Der Arzt sollte durch seinen Wechsel in das MVZ keine Nachteile erleiden. Er wurde für seine Tätigkeit in der MAV freigestellt, seine vertragsärztliche Tätigkeit wurde entsprechend reduziert und die arbeitsvertraglich geschuldete Vergütung orientierte sich an den Vorgaben des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte ‒ Kirchliche Fassung (TV-Ärzte-KF). Diese Vereinbarungen galten ab April 2009.

 

Nach einem Wechsel des Vorstandsvorsitzenden stellte der Träger im August 2020 sämtliche Zahlungen an den Gefäßchirurgen ein. Er erlaubte dem Arzt, das Krankenhaus nur noch in seiner Eigenschaft als MAV-Vorsitzender zu betreten. Zudem beantragte er ein kirchengerichtliches Verfahren. Darin sollte das Erlöschen der Mitgliedschaft des Arztes in der MAV festgestellt werden. Begründung war u. a., dass die geschlossenen Vereinbarungen gegen § 19 MVG-EKD verstießen und die Verträge damit nichtig seien. Der Arzt klagte gegen den Träger. Er begehrte die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis als ärztlicher Mitarbeiter und Gefäßchirurg bestehe und er als solcher zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen sei. Ferner verlangte er die Zahlung der ausstehenden arbeitsvertraglich geschuldeten Vergütung i. H. v. rund 52.000 Euro. Das ArbG gab der Klage statt.

Entscheidungsgründe

Das Gericht war der Auffassung, dass zwischen dem Kläger und dem Krankenhausträger ein Arbeitsverhältnis als ärztlicher Mitarbeiter und Gefäßchirurg bestehe. Dies sei bereits aus der Bezeichnung der Verträge als „Arbeitsverhältnis“ zu erkennen. Schon nach der bisherigen Rechtsprechung sei das Vertragsverhältnis in einem solchen Fall in aller Regel als Arbeitsverhältnis einzuordnen. Dies ergebe sich umso mehr aus einem Umkehrschluss zu § 611a Abs. 1 S. 6 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Denn daraus gehe hervor, dass ein Vertrag, der als Arbeitsvertrag bezeichnet werde, auch ein Arbeitsverhältnis begründe. Nichts anderes ergebe die Auslegung der Verträge nach den §§ 133, 157 BGB. Danach sei es der wirkliche Wille der Vertragsparteien gewesen, ein Arbeitsverhältnis im MVZ zu schließen.

 

Gewollt sei keine Umgehung des kirchengesetzlichen Erfordernisses eines Arbeitsverhältnisses, sondern allenfalls eine Umgehung der Vorgabe der kassenärztlichen Vereinigung (KV), dass man nicht gleichzeitig am MVZ und bei dem Gesellschafter desselben beschäftigt sein kann. Hier ‒ nicht beim Arbeitsverhältnis ‒ sei also gewissermaßen das „Scheingeschäft“ zu suchen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sollte der KV nur vorgespiegelt werden. Sie war zwischen den Parteien gerade nicht gewollt. Folglich bestehe auch ein Anspruch auf ordnungsgemäße, arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung als ärztlicher Mitarbeiter und Gefäßchirurg.

 

§ 19 MVG-EKD sei nicht geeignet, eine Nichtigkeit des Vertrags der Parteien herbeizuführen. Das BAG habe mehrfach entschieden, dass eine normative Wirkung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen kirchengesetzlich nicht angeordnet werden könne und sich daher kirchengesetzliche Regelungen gegenüber privatautonom abgeschlossenen Arbeitsverträgen nicht durchsetzen.

 

Der Gefäßchirurg habe daher auch Anspruch auf Zahlung des ausstehenden Annahmeverzugsentgelts. Dies folge aus § 611a Abs. 2 BGB oder jedenfalls aus § 615 S. 1 BGB. Soweit der Gefäßchirurg im Zeitraum Tätigkeiten als MAV-Vorsitzender verrichtet habe, sei die Vergütung bereits nach § 611a Abs. 2 BGB fortzuzahlen. Davon gingen auch §§ 19, 20 MVG-EKD aus. Soweit dies nicht der Fall sei, sei dem Gefäßchirurg jedenfalls Hausverbot erteilt worden. Damit sei jedenfalls eine Ablehnung der Arbeitsleistung zwingend verbunden (§ 293 BGB). Insoweit bestehe in diesem Zeitraum dann ein Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung gem. § 615 S. 1 BGB.

 

FAZIT | Jeder angestellte Arzt ‒ so auch der Chefarzt ‒ hat grundsätzlich einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung durch den Arbeitgeber. Denn bei einem Arbeitsverhältnis handelt es sich um ein gegenseitiges Austauschverhältnis. Daher muss sich keiner der Vertragsparteien darauf verweisen lassen, eine Leistung ohne gleichwertige Gegenleistung zu erhalten. Dieser Anspruch ist grundsätzlich seit 1955 anerkannt und heute arbeitsrechtlich unumstritten. Dabei muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer entsprechend der getroffenen Vereinbarungen beschäftigen. Nicht vertragsgemäße Arbeit kann der Arbeitnehmer verweigern. Statt die Arbeit zu verweigern, kann der Arbeitnehmer aber auch auf Erfüllung gegen den Arbeitgeber klagen und auf diese Weise erzwingen, dass ihm Gelegenheit zur vertragsgemäßen Arbeit gewährt wird. Die Vergütungspflicht folgt aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. Vorgaben zum Annahmeverzug gemäß § 293 ff. BGB. Das vorliegende Urteil belegt, dass ein vermeintlicher Verstoß gegen kirchenrechtliche Vorgaben (hier § 19 MVG-EKD) an diesen Grundsätzen nichts ändert.

 
Quelle: Seite 12 | ID 47442589