Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · AGG

Was darf der ArbG nach dem AGG bei Bewerbung und Einstellung heute noch fragen?

von Jan Alexander Linxweiler, Wedemark

| Oft sind ArbG verunsichert, welche Fragen und Formulierungen sie bei der Gestaltung von Stellenausschreibungen oder im Bewerbungsgespräch gemessen an den Vorgaben des AGG noch verwenden dürfen. Dieser Beitrag gibt anhand von Beispielsfällen eine Orientierungshilfe und weist auf mögliche Rechtsfolgen von Verstößen gegen das AGG hin. |

1. Der Ausgangsfall

Im folgenden Beispiel geht es um die Ausschreibung einer Stelle in einem christlich orientierten Verlag und deren spätere Besetzung.

 

  • Beispiel

A ist Inhaber einer christlich orientierten Druckerei, deren Tätigkeitsbereich insbesondere der Druck von religiösen Texten und Lehrbüchern ist. A beschäftigt zwei Angestellte in der eigentlichen Druckerei, zwei Angestellte im Vertrieb und die Angestellte B für den Buchhaltungs- und Marketing-Bereich. B scheidet altersbedingt aus, sodass A die Stelle ausschreibt. Die Stellenausschreibung umfasst neben einer Darstellung des Unternehmens folgenden Text:

 

Wir suchen einen Mitarbeiter (m/w) für den Bereich Marketing und Vertrieb.

 

Tätigkeiten:

  • Erstellung von Werbemitteln und Flyern
  • Telefonische Betreuung von Bestandskunden
  • Beantwortung von telefonischen und schriftlichen Kundenanfragen
  • Terminvereinbarung und -vorbereitung für den Vertriebsaußendienst
  • Erstellen von schriftlichen Angeboten und diesbezügliches Nachfassen
  • Aufbereitung von Kennzahlen sowie Erstellung von Vertriebsauswertungen
  • Zahlungsverkehr und Buchführung

 

Profil:

  • Sehr gute Kenntnisse im Bereich Marketing/Vertrieb
  • Ausbildung im Bereich Marketing/Mediengestaltung/Vertrieb
  • Vorkenntnisse aus Werbeagentur, Verlag, Druckerei o.ä.
  • Kenntnisse in den kaufm. Abläufen, Auftragserfassung
  • Vertriebliche Kenntnisse nach Möglichkeit im Innendienst

 

Wir bieten:

  • Übertarifliche Bezahlung
  • Familiäre Atmosphäre und christliche Werte

 

Auf die ausgeschriebene Stelle bewirbt sich nun die ausreichend qualifizierte und motivierte C.

 

 

Als Beschäftigte gelten auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist. Durch diese Definition in § 6 Abs. 2 AGG wird der personelle Anwendungsbereich des AGG erweitert. Eine Erweiterung erfährt er auch auf Personen nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses. Für das Beispiel bedeutet dies, dass sowohl die ausscheidende B als auch die sich bewerbende C vom personellen Anwendungsbereich des AGG erfasst werden.

2. Benachteiligungverbot und Entschädigungsanspruch

ArbN, Bewerber und ausgeschiedene Mitarbeiter können als Rechtsfolge aus Verstößen gegen das AGG Unterlassungs-, Schadenersatz- oder Entschädigungsansprüche geltend machen.

 

Benachteiligungsverbot

Dieses wird in § 7 Abs. 1 AGG geregelt. So darf ein Beschäftigter nicht wegen der in § 1 AGG genannten Gründe, nämlich Alter, Behinderung, Geschlecht, Herkunft, Rasse, Religion, sexueller Identität oder Weltanschauung, benachteiligt werden.

 

Entschädigungsanspruch gemäß § 15 AGG

Kommt es zu einer Verletzung des Benachteiligungsverbots, kann ein Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden nach § 15 Abs. 1 AGG geltend gemacht werden. Dabei ist die Exkulpation durch den ArbG nach § 15 Abs. 1 S. 2 AGG, also der Nachweis des Ausschlusses eines Verschuldens seitens des ArbG möglich. Für Ansprüche auf Entschädigung wegen immaterieller Schäden nach § 15 Abs. 2 AGG haftet der ArbG verschuldensunabhängig.

 

Ein Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses, beispielsweise im Falle einer Benachteiligung im Bewerbungsverfahren, ist gemäß § 15 Abs. 4 AGG ausgeschlossen.

 

(Keine) Anwendung auf Kündigungen

§ 2 Abs. 4 AGG regelt, dass im Zusammenhang mit einer Kündigung nur die Bestimmungen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes einschlägig sind. Zwar decken die Regelungen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes meist auch den Regelungsgehalt des § 1 AGG und somit das Diskriminierungsverbot ab.

 

Problematisch wird es jedoch, wenn diese Regelungen nicht einschlägig sind. Dies ist insbesondere bei nicht bestehendem Kündigungsschutz in Kleinbetrieben oder während der Wartezeit, bei Fristablauf der Kündigungsschutzklage, aber auch bei krankheitsbedingten Fehlzeiten oder der Sozialauswahl möglicherweise der Fall.

 

Hier wird z.T. ein Schutz über die mittelbare Wirkung der §§ 7, 1 AGG konstruiert. Das LAG Baden-Württemberg hat in einem Urteil vom 18.6.07 (4 Sa 14/07, Abruf-Nr. 144051) festgestellt, dass das Diskriminierungsverbot der §§ 71 AGG im Einklang mit verfassungs- und europarechtlichen Normen ausgelegt werden muss.

 

  • Beispiel

B geht im Ausgangsfall nicht in den Ruhestand, sondern wird aufgrund krankheitsbedingter Fehlzeiten entlassen. A stützt die Kündigung darauf, dass die Fehlzeiten der B über dem Durchschnitt der jüngeren Kollegen liegen würden. B wendet ein, die Fehlzeiten seien durch ihr im Vergleich zu den jüngeren Kollegen fortgeschritteneres Alter bedingt.

 

Ergebnis:

Es handelt sich um einen Kleinbetrieb i.S.d. § 23 KSchG, sodass der Anwendungsbereich des KSchG ausgeschlossen ist. Sollte es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen, müsste B darlegen, dass ihre Fehlzeiten im Rahmen ihres Altersdurchschnitts normal sind. Dieses würde dann zur mittelbaren Anwendung des Diskriminierungsschutzes des AGG führen. Eine Kündigung - basierend auf einem Vergleich mit jüngeren Beschäftigten - stellt eine Altersdiskriminierung dar und wäre unwirksam.

 

Das Arbeitsgericht Kiel entschied am 7.1.14 (2 Ca 1793a/13, Abruf-Nr. 140539), dass eine schwerwiegende Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 BGB eine Kündigung auch dann rechtfertige, wenn eine langjährige Betriebszugehörigkeit, eine Schwerbehinderung und ansonsten tadelloses Verhalten vorliege. Abzustellen sei auf die Schwere der Verfehlung und die Vorbildfunktion einer leitenden Angestellten.

  • Beispiel

Im Ausgangsfall geht B, die 20 Jahre in dem Betrieb arbeitet und seit etwa einem Jahr schwerbehindert ist, nicht in den Ruhestand, sondern wird entlassen. A meint, dass die Abrechnungspraxis der B rechtswidrig gewesen sei. Er könne nicht mehr decken, dass sie regelmäßig überhöhte Rechnungen herausgeschickt und den so erwirtschafteten Überschuss auf ihr eigenes Konto überwiesen habe.

 

Ergebnis:

Hier muss man davon ausgehen, dass eine zumindest zeitweilige Kenntnis des A vorlag. Weder diese Kenntnis noch die langjährige Betriebszugehörigkeit oder die Schwerbehinderung können die Schwere der Verfehlung aufwiegen, sodass die Kündigung rechtmäßig erfolgte.

 

In einem Urteil vom 23.1.14 (8 AZR 118/13, Abruf- Nr. 140538) stellt das BAG klar, dass gemäß § 15 Abs. 2 AGG Ansprüche auf Entschädigung gegen den ArbG zu richten sind. Dies gelte auch, wenn eine Arbeitsstelle über einen Personalvermittler ausgeschrieben werde.

 

In Abwandlung des Ausgangsfalls handelt es sich bei C um eine Dame in den 40ern. Die Stellenausschreibung des A erfolgte über die Schwestergesellschaft P der Druckerei, welche sich auf Personalvermittlung spezialisiert. Die Stelle wird für Berufseinsteiger ausgeschrieben. Innerhalb der Stellenausschreibung verweist P hinsichtlich weiterführender Informationen für Bewerber auf A. C bewirbt sich bei A und erhält per E- Mail eine Absage von P. C fühlt sich wegen ihres fortgeschrittenen Alters diskriminiert und verlangte von der P eine Entschädigung in Höhe von 16.000 EUR. P führte im Antwortschreiben die Bewerbungsablehnung inhaltlich weiter aus. Die Klage bleibt erfolglos. A ist als ArbG der richtige Anspruchsgegner, wohingegen P als Personalvermittler nicht in Anspruch genommen werden kann.

3. Zulässige Fragen bei der Einstellung?

Für den ArbG ist entscheidend, welche Fragen einer Bewerberin oder einem Bewerber im Einstellungsgespräch auch im Rahmen von Fragebögen gestellt werden dürfen. Dabei sind vor allem die folgenden Themen praxisrelevant:

 

Schwangerschaft

Die Entscheidung des BAG (6.2.03, 2 AZR 621/01, Abruf-Nr. 030446) führt aus, dass die Frage nach der Schwangerschaft einer Bewerberin in nahezu allen Fallkonstellationen unzulässig ist. Demnach ist eine Frage nach der Schwangerschaft eine unzulässige Diskriminierung. Dies gilt auch, wenn sich die Schwangere auf eine unbefristete Stelle bewirbt, diese aber bei Antritt aufgrund eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots zunächst gar nicht ausüben können wird. Hintergrund ist dabei, dass diese medizinisch gebotene Unterbrechung nicht zu einer dauerhaften Störung des Vertragsverhältnisses führt.

 

Wichtig ist aber, dass hiervon nicht die Fälle eines befristeten Arbeitsverhältnisses betroffen sind. Bewirbt sich eine Schwangere auf ein befristetes Arbeitsverhältnis, das sie aus mutterschutzrechtlichen Gründen über den gesamten Zeitraum nicht antreten kann, ist die Frage nach der Schwangerschaft zulässig. Wäre C im Beispielsfall schwanger, wäre eine Frage seitens des A nach einer Schwangerschaft ob der Natur der Arbeit und der nicht vorliegenden Befristung der Stelle unzulässig.

 

Krankheiten

Ähnlich verhält es sich in Bezug auf Krankheiten. Auch hier steht dem potenziellen ArbG nur ein eingeschränktes Fragerecht im Bewerbungsgespräch zu. Der Bewerber hat ein Recht zur Lüge im Hinblick auf Krankheiten.

 

Eine Ausnahme besteht, wenn die Erkrankung eine potenzielle und zeitnah auftretende Arbeitsunfähigkeit mit sich bringt oder von der Eignung für die Arbeitsstelle ausschließt. Dies ist oft der Fall bei chronischen Erkrankungen, wie Diabetes, wenn diese zu einer messbar geringeren Leistungsfähigkeit im Vergleich zu einem gesunden ArbN führen. Auch die Gefährdung von Mitarbeitern oder Kunden kann ein Fragerecht z.B. in Gefahrenberufen wie Busfahrer, Lokomotivführer oder Pilot konstituieren.

 

Bei einer AIDS-Erkrankung der C im Ausgangsfall wäre eine Frage seitens des A nach einer Erkrankung ob der Natur der Arbeit und der nicht vorliegenden Gefährdungslage der Stelle unzulässig.

 

Behinderungen

Die Benachteiligung einer schwerbehinderten Person ist gemäß § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX in Verbindung mit §§ 7, 1 AGG verboten. Es erscheint sachdienlich, dass die Frage nach einer Schwerbehinderung in einem Bewerbungsgespräch als unzulässig erachtet wird. Auf der anderen Seite treffen den ArbG im Hinblick auf die Schwerbehinderung eines potenziellen ArbN weitreichende Pflichten. Daher kann ein legitimes Auskunftsinteresse seitens des ArbG bestehen, das (auch) dem Wohl des oder der Schwerbehinderten dient. Überdies können die Anforderungen des Arbeitsplatzes eine Ausnahme nach § 8 AGG zulassen, wenn das konkrete Anforderungsprofil des ausgeschriebenen und zu besetzenden Arbeitsplatzes zwingend eine stabile Konstitution erfordert. Wenn C im Ausgangsfall schwerbehindert wäre, wäre eine Ablehnung der Bewerbung aufgrund der Schwerbehinderung unzulässig, da die Anforderungen des Arbeitsplatzes keine stabile Konstitution erfordern.

 

Vorstrafen

Nach einem Urteil des LAG Hamm (10.3.11, 11 Sa 2266/10, Abruf-Nr. 112583)darf innerhalb des Bewerbungsprozesses nicht uneingeschränkt nach einer Vorstrafe gefragt werden darf. Das BAG führt in diesem Zusammenhang aus, dass nicht jede Vorstrafe für jede Tätigkeit von Belang ist. Die Frage nach einer Vorstrafe muss sich als für den zu besetzenden Arbeitsplatz erforderlich erweisen. Bei einer Vorstrafe der C wegen Verkehrsdelikten wäre eine Frage seitens des A nach einer derartigen Vorstrafe unzulässig. Läge eine Vorstrafe im vermögensrechtlichen Bereich vor, könnte man eine zulässige Frage vor dem Hintergrund der Buchführung annehmen.

 

Konfession

Das LAG Berlin-Brandenburg (28.5.14, 4 Sa 157/14 und 4 Sa 238/14, Abruf-Nr. 141884) entschied, dass eine konfessionslose Bewerberin keinen Anspruch auf Entschädigung wegen Ungleichbehandlung im Rahmen einer erfolglosen Bewerbung bei einem kirchlichen ArbG hat. Dies sah das Arbeitsgericht Berlin erstinstanzlich anders (18.12.13, 54 Ca 6322/13). Zentral ist hier das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Art. 140 GG. Dieses schlägt bei der Anwendung des AGG in Form der zulässigen Ungleichbehandlung im Sinne des § 9 AGG durch. Es ist für kirchliche oder konfessionell orientierte ArbG wichtig, innerhalb des Ausschreibungsprozesses oder der Arbeitsprozesse auf die Loyalitätserwartungen aufmerksam zu machen. Das bedeutet, dass vom ArbG entweder eine bestimmte Konfessionstreue oder aber eine neutrale Haltung gegenüber der Religion oder Konfession erwartet wird.

  • Beispiel

Sollte C im Ausgangsfall Muslima sein, erscheint es fraglich, ob die Bewerbung wegen der Religionszugehörigkeit abgelehnt werden könnte. Nur wenn es sich bei der Druckerei um ein kircheneigenes Unternehmen handelt, kann ein größerer Spielraum bestehen. Abwandlung des Ausgangsfalls: A hat die Muslima C eingestellt. C trägt während der Arbeitszeit ein Kopftuch. Dies möchte A ihr untersagen.

Ergebnis: A steht ein solches Untersagungsrecht nicht zu. Anderes kann sich bei einer bestehenden Loyalitätsvereinbarung oder einem kirchlichen ArbG ergeben. Auch dort muss aber eine Abwägung im Einzelfall erfolgen.

Quelle: Seite 67 | ID 43256769