· Fachbeitrag · Agenturrecht/Ausgleichsanspruch
Verstoß gegen Interessenwahrnehmungspflicht kostet Vertreter den Ausgleichsanspruch
von Rechtsanwalt Kai-Uwe Recker, Dr. Heinicke, Eggebrecht & Partner mbB Rechtsanwälte, München, www.heinicke-eggebrecht.com
| Verstöße gegen die Interessenwahrnehmungspflicht können den Vertreter nicht nur den Agenturvertrag kosten. Im Rahmen einer fristlosen außerordentlichen Kündigung des Unternehmens kann der Vertreter auch den Ausgleichsanspruch verlieren, wenn die Pflichtverletzung einen wichtigen Grund abgibt. Das zeigt ein aktueller Fall vor dem KG Berlin. |
Fristlose außerordentliche Kündigung kostet Ausgleich
Das Unternehmen hatte dem Vertreter fristlos und außerordentlich gekündigt. Dabei hat sich das Unternehmen darauf gestützt, dass der Vertreter die Interessenwahrnehmungspflicht aus § 86 HGB verletzt habe, zu der er vertraglich verpflichtet gewesen sei.
Der Vorwurf lautete, dass der Vertreter das Unternehmen nicht rechtzeitig und unaufgefordert darüber informiert habe, dass seine Gattin, mit der er auch zusammenlebe und die davor Vertriebsleiterin des Unternehmens war, künftig für den Hauptkonkurrenten tätig werde. Dieser wichtige Grund lasse den Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB entfallen.
Das LG Berlin sah das genauso wie das Unternehmen. Das KG hat in der Berufung des Vertreters darauf hingewiesen, dass es sich dem anschließt. Dabei hat das KG die Bedeutung der Interessenwahrnehmungspflicht des Vertreters und die Verstöße des Vertreters herausgearbeitet (KG Berlin, Hinweisbeschluss vom 22.02.2021, Az. 2 U 13/18, Abruf-Nr. 222835).
Was sind Verstöße gegen Interessenwahrnehmungspflicht?
Die Interessenwahrnehmungspflicht nach § 86 HGB ist grundlegend für den Handelsvertretervertrag. Sie ist wesensbestimmend, zwingend sowie weitreichend. Verstöße können sich aus mehreren Tatbeständen ergeben.
Grund 1: Verstoß des Vertreters gegen Marktbeobachtungspflicht
Die Interessenwahrnehmungspflicht umfasst insbesondere die Pflicht, den Markt zu beobachten. Der Vertreter muss an das Unternehmen berichten, was objektiv für das Geschäft des Unternehmens von Bedeutung sein kann. Dazu können auch Informationen über neue Vertreter der Konkurrenz gehören, insbesondere wenn ‒ wie hier ‒ folgende Situation vorliegt:
- Das Konkurrenzunternehmen hatte jüngst mehrere Vertreter des Unternehmens abgeworben.
- Die Ehefrau des Vertreters ist eine neue Vertreterin der Konkurrenz.
- Die Ehefrau des Vertreters war zuvor Vertriebsleiterin des Unternehmens.
- Dem Vertreter war die Geschäftspolitik „seines“ Unternehmens bekannt, dass es keine Ehegatten als Vertreter der Konkurrenz duldet.
- Der Vertreter und seine Ehefrau nutzten gleichlautende Festnetz- und Telefaxnummern für das Unternehmen und das Konkurrenzunternehmen.
Auf einen Schaden für das Unternehmen aufgrund einer verspäteten oder fehlenden Information kommt es dabei nicht an. Es geht bei der Information nicht nur um die Schadensvermeidung.
Grund 2: Verstoß gegen Wahrung des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses
Als weiteren Verstoß gegen die Interessenwahrnehmungspflicht wertete das Unternehmen, dass die konkurrierende Ehefrau Zugriff auf die Betriebsräumlichkeiten in der gemeinsamen Wohnung hatte. Das sieht das KG genauso: Die Wahrung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Unternehmens sei schwerlich gewährleistet, wenn der Vertreter seine Handelsvertretergeschäfte von der privaten Adresse der Eheleute aus führe, unter der er gemeinsam mit der Ehefrau lebe. Zwar mag eine solche Gestaltung unbedenklich sein, wenn die Ehefrau nicht im Lager der Konkurrenz stehe. Genau dort stand sie aber, so das KG.
Abmahnung war entbehrlich
Die Abmahnung des Vertreters war entbehrlich, weil aus den tatsächlichen Gründen keine Abhilfe möglich gewesen wäre: Die Ehegattin wird kaum die neu aufgenommene Tätigkeit unmittelbar wieder beenden. Und der Vertreter wird kaum die Ehewohnung verlassen.
Überschreitung der Überlegungszeit ist hier unerheblich
Der Vertreter hatte in der Berufung vorgetragen, dass dem Verlust des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB entgegenstehe, dass die Kündigung erst nach Verstreichen einer angemessenen Überlegungszeit ausgesprochen worden sei. Dazu sagt das KG: Für den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB kommt es lediglich darauf an, dass das Unternehmen das Vertragsverhältnis gekündigt hat und ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Vertreters vorlag. Ob das Unternehmer dabei auch die formalen Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung einhält ‒ wie hier die Wahrung einer angemessenen Überlegungszeit ‒, ist für den Ausgleichsanspruch jedenfalls dann unerheblich, wenn die Beendigung des Vertragsverhältnisses außer Streit ist.
Konsequenzen für die Praxis
Für Sie als Vertreter gilt: Sie müssen Ihre Nebenpflichten ernst nehmen und gewissenhaft erfüllen. Die Einzelheiten dazu sind häufig im Agenturvertrag geregelt. Dort finden sich in der Regel auch Vereinbarungen über Konkurrenztätigkeiten naher Angehöriger und über die Wahrung der Geschäftsgeheimnisse. Achten Sie auch hier auf die Details. Trennen Sie die Daten und Geschäftsräume äußerst sorgfältig; und zwar auch dann, wenn Ihr Unternehmen von der Konkurrenztätigkeit weiß und diese akzeptiert. Verstoßen Sie gegen Ihre Pflichten, riskieren Sie eine Kündigung und strafrechtliche Verfolgung.