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· Fachbeitrag · Wiedereingliederung

Schadenersatz eines Schwerbehinderten wegen abgelehnter stufenweiser Wiedereingliederung?

| Bei begründeten Zweifeln an der Geeignetheit eines vom Arbeitnehmer (ArbN) vorgeschlagenen Wiedereingliederungsplans darf der Arbeitgeber (ArbG) berechtigterweise seine Zustimmung verweigern. |

 

Sachverhalt

Der schwerbehinderte ArbN ist bei einer Stadt als Technischer Angestellter beschäftigt. Von Mitte 2014 bis März 2016 war er arbeitsunfähig erkrankt. Im September 2015 fand eine betriebsärztliche Untersuchung statt. Die Betriebsärztin befürwortete eine stufenweise Wiedereingliederung zur vorsichtigen Heranführung an die Arbeitsfähigkeit mit bestimmten Einschränkungen in der Tätigkeit. Unter Vorlage des Wiedereingliederungsplans seines behandelnden Arztes im Oktober 2015 beantragte der ArbN die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben im Zeitraum von Mitte November 2015 bis Mitte Januar 2016. Der Wiedereingliederungsplan des behandelnden Arztes sah keine Einschränkungen in der Tätigkeit vor. Als absehbaren Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit gab der behandelnde Arzt den 18.1.16 an.

 

Der ArbG lehnte diesen Wiedereingliederungsplan ab. Der Einsatz des ArbN im bisherigen Aufgabengebiet/Tätigkeitsbereich sei wegen der Einschränkungen in der betriebsärztlichen Beurteilung nicht möglich. Dem vom ArbN vorgelegten zweiten Wiedereingliederungsplan, der eine Wiedereingliederung in der Zeit von Januar bis März 2016 vorsah, und dem ein Bericht der behandelnden Psychologin beilag, wonach Einschränkungen in der Tätigkeit nicht mehr bestanden, stimmte der ArbG nach erneuter ‒ nun positiver ‒ Beurteilung durch die Betriebsärztin zu. Diese Wiedereingliederung war erfolgreich. Der ArbN erlangte Anfang März 2016 seine volle Arbeitsfähigkeit wieder.

 

Nun fordert der ArbN Ersatz der Vergütung, die ihm in der Zeit von Mitte Januar bis Anfang März 2016 dadurch entgangen sei, dass der ArbG ihn nicht entsprechend den Vorgaben des 1. Wiedereingliederungsplans beschäftigt habe. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Hessische LAG (7.8.17, 7 Sa 232/17) gab der Klage auf die Berufung des ArbN im Wesentlichen statt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des ArbG war vor dem 8. Senat des BAG erfolgreich (16.5.19, 8 AZR 530/17, Abruf-Nr. 209458). Der ArbG sei nicht verpflichtet gewesen, den ArbN entsprechend den Vorgaben des ersten Wiedereingliederungsplans zu beschäftigen. Zwar könne er nach § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX in der bis 31.12.17 geltenden Fassung (a. F.) verpflichtet sein, so an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken, dass er den Beschäftigten entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans beschäftige.

 

Im Fall des ArbN lägen allerdings besondere Umstände vor, aufgrund derer der ArbG seine Zustimmung zum Wiedereingliederungsplan verweigern durfte. Es hätte aufgrund der Beurteilung der Betriebsärztin von Oktober 2015 die begründete Befürchtung vorgelegen, dass der Gesundheitszustand des ArbN eine Beschäftigung entsprechend diesem Wiedereingliederungsplan nicht zulassen würde. Die begründeten Zweifel an der Geeignetheit des Wiedereingliederungsplans ließen sich auch nicht bis zum vorgesehenen Beginn der Maßnahme ausräumen.

 

  • § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX a. F.

Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren ArbG Anspruch auf

  • 1. Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können.
 

Relevanz für die Praxis

Die wichtigste Botschaft zuerst: ArbG sind grundsätzlich verpflichtet, an Maßnahmen der Wiedereingliederung schwerbehinderter ArbN mitzuwirken, also eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nach einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan zu ermöglichen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der ArbG jeden vom ArbN vorgelegten Wiedereingliederungsplan ohne Weiteres akzeptieren muss und bei Weigerung stets Gefahr läuft, dennoch die vertragsgemäße Vergütung zahlen zu müssen. Besondere Umstände, zu denen vor allem die betriebsärztlich festgestellte Ungeeignetheit des vorgelegten Plans gehört, können in solchen Fällen die Wiedereingliederung in der vorgeschlagenen Form ungeeignet erscheinen lassen.

 

 

Weiterführender Hinweis

  • Wiedereingliederung nach Reha: Fahrtkosten werden erstattet: SG Berlin SR 19, 45
Quelle: Ausgabe 10 / 2019 | Seite 166 | ID 46149440