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· Fachbeitrag · Urlaubsrecht

Dürfen Arbeitnehmer im Fall der Quarantäne Urlaub nachholen?

von Assessorin jur. Petra Wronewitz, Bonn

| Ob sich eine behördliche Quarantäneanordnung auf den Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers auswirkt, musste kürzlich das Arbeitsgericht Bonn entscheiden. |

Sachverhalt

Ein Arbeitgeber gewährte einer Mitarbeiterin vom 30.11.20 bis zum 12.12.20 Erholungsurlaub. Am 27.11.20 erging eine städtische Quarantäne-Anordnung gegen die Arbeitnehmerin. Diese wurde mit schriftlicher Ordnungsverfügung vom 30.11.20 bestätigt. Das Ordnungsamt erließ am 5.12.20 eine Ordnungsverfügung, in der die häusliche Isolierung vom 4.12.20 bis zum 7.12.20 angeordnet wurde. Die Arbeitnehmerin wies jedoch keine Krankheitssymptome auf. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung legte sie für diesen Zeitraum nicht vor.

 

Zweimal forderte die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber schriftlich zur Nachgewährung von fünf Urlaubstagen auf. Für den Zeitraum vom 1.12.20 bis zum 7.12.20 sei sie an SARS-CoV-2 erkrankt, wodurch sie gehindert gewesen sei, ihre Arbeitsleistung zu erbringen.

 

Als der Arbeitgeber sich weigerte, klagte die Mitarbeiterin vor dem Arbeitsgericht. Mit Urteil vom 7.7.21 hat das ArbG Bonn die Klage abgewiesen (2 Ca 504/21, Abruf-Nr. 223859).

Entscheidungsgründe

Das Gericht lehnte eine Anwendung von § 9 BUrlG, auf den die Arbeitnehmerin ihren Anspruch stützte, ab.

 

§ 9 BUrlG besagt, dass einem Arbeitnehmer, der während des Urlaubs erkrankt, die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet werden.

 

Keine direkte Anwendbarkeit des § 9 BUrlG

Das ArbG folgte der Argumentation der Arbeitnehmerin nicht. Sie behauptete, dass es auf das fehlende ärztliche Attest nicht ankomme, denn die Beweisfunktion des ärztlichen Attests sei durch die amtliche Verfügung vom 5.12.20 ebenfalls gegeben. Diesem Bescheid komme kein geringerer Nachweiswert als einer ärztlichen Bescheinigung zu. Unter den gegebenen, außergewöhnlichen Umständen einer Pandemie sei es zugelassen, den Nachweis nach § 9 BUrlG auch durch ein anderes Zeugnis von gleich hoher Beweiskraft zu führen, so die Arbeitnehmerin.

 

Das Gericht ist der Ansicht, dass § 9 BUrlG wörtlich auszulegen sei und es eben auf die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ankomme. Hintergrund dieser Regelung ist nicht nur die Beweisfunktion des Attests:

 

MERKE | Der Arzt muss auch beurteilen, ob eine Erkrankung im Einzelfall aufgrund der Ausgestaltung des individuellen Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers zu einer Arbeitsunfähigkeit führt.

 

Deshalb kann es dahinstehen, ob die Arbeitnehmerin wirklich erkrankt sei oder nicht, denn es fehlt unstreitig die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ohne Attest bestehe kein Anspruch auf Nachgewährung der betroffenen Urlaubstage. Nur ein Arzt kann die Folgen einer Erkrankung auf den konkreten Arbeitsplatz beurteilen. Behördliche Anordnungen treffen darüber keine Aussagen.

 

Keine analoge Anwendung des § 9 BUrlG

Das ArbG Bonn verneint auch eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG. Es liegt bei einer Erkrankung mit SARS-CoV-2 und der daraus folgenden Isolationsanordnung keine zu einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Vorschrift vergleichbare Sachlage vor.

 

Eine analoge Anwendung setzt voraus, dass

  • eine vergleichbare Sachlage sowie
  • eine planwidrige Gesetzeslücke

vorliegen.

 

Nach Auffassung des Gerichts fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, weil der § 9 BUrlG eine eng begrenzte Ausnahmevorschrift von dem Grundsatz darstellt, dass urlaubsstörende Ereignisse grundsätzlich als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers fallen. Lediglich aufgrund eines Krankheitsfalls sieht der Gesetzgeber eine andere Risikoverteilung vor.

 

Da eine Erkrankung mit SARS-CoV-2 nicht unmittelbar und zwingend zu einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers führt, bestehe auch keine vergleichbare Sachlage zu einer Arbeitsunfähigkeit. Demgemäß sehen auch die Leitlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bei einem symptomlosen Verlauf die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vor.

 

PRAXISTIPP | Wenn ein Arbeitnehmer trotz Erkrankung mit SARS-CoV-2 und Isolationsanordnung weiterhin seine Arbeitsleistung von einem häuslichen Arbeitsplatz erbringen kann, bedarf es keiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

 

Beachten Sie | Der Zweck des BUrlG, nämlich die Erholung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitsleistung, kann trotz der Quarantäneanordnung erreicht werden.

Relevanz für die Praxis

Das ArbG Bonn hat die Berufung wegen der Bedeutung der Entscheidung zugelassen.

 

Die Entscheidung bietet aus mindestens zwei Gründen Diskussionsstoff:

 

  • Zum einen ist gegen die Arbeitnehmerin bereits am 27.11.20 eine mündliche Quarantäneanordnung verhängt worden, also bereits vor Beginn des Urlaubs. Am 30.11.20, am ersten Urlaubstag, war sie also schon freigestellt von der Arbeit. § 9 BUrlG geht in seinem Wortlaut jedoch davon aus, dass die Erkrankung während des Urlaubs auftritt.
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  • Beachten Sie | Selbst wenn von einer Fünf-Tage-Woche der Arbeitnehmerin auszugehen ist, hätte sich das Arbeitsgericht damit auseinandersetzen müssen, weil die Zeitangaben diese Fragen aufwerfen.

 

  • Zum anderen lassen sich Argumente dafür finden, dass eine behördliche Quarantäneanordnung einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gleichkommt. In beiden Fällen ist der Arbeitnehmer daran gehindert, seiner Arbeit nachzugehen und ist entsprechend freigestellt, sofern er nicht von zu Hause aus tätig werden kann.
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  • PRAXISTIPP | Eine Freistellung wegen einer Quarantäne kann durchaus dem Sinn und Zweck eines Erholungsurlaubs widersprechen. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 30.11.78 (III ZR 43/77) festgestellt, dass zu einer „echten Erholung eine Sphäre der Selbstbestimmung, der persönlichen Freiheit und des Lebensgenusses gehört“.

     
  • Eben diese Sphäre der Selbstbestimmung ist bei einer Quarantäneanordnung stark eingeschränkt, weil die betreffende Person ihre häusliche Umgebung nicht verlassen darf.
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  • Möglicherweise hätte das Arbeitsgericht Bonn daher ergründen müssen, inwieweit die Quarantäneanordnung die geplante Urlaubsgestaltung vereitelt hat.

 

PRAXISTIPP | Aufgrund dieser Rechtsprechung ist allen Arbeitnehmern zu raten, sich bei einer Quarantäneanordnung auch eine Krankschreibung vom Arzt zu besorgen, wenn das möglich ist.

 

Beachten Sie | Auch ältere Arbeitnehmer, denen tarifvertraglich mehr Urlaub zusteht, sind mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf der sicheren Seite.

Quelle: Ausgabe 10 / 2021 | Seite 170 | ID 47630602