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· Fachbeitrag · Erwerbsminderungsrente

Bei kombinierter Anfechtungs- und Leistungsklage zählt der Zeitpunkt der letzten Verhandlung

| Klagt ein Versicherter eine Erwerbsminderungsrente ein, ist sein Gesundheitszustand so zu berücksichtigen, wie er sich zum Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung darstellt. Dies setzt aber voraus, dass die Rente mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage begehrt wird, so das LSG Rheinland-Pfalz. |

 

Der Fall des LSG

Der Kläger beantragte im April 2012 die Rente wegen Erwerbsminderung. Diagnostiziert waren u. a. ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit Zustand nach lumbaler Bandscheiben-OP und ein chronifiziertes Schmerzsyndrom. Gutachterlich schätzte man ihn für in der Lage, arbeitstäglich sechs Stunden und mehr tätig zu sein. Die Beklagte lehnte den Antrag daher ab.

 

Im Widerspruchsverfahren wurde ein Arztbericht einer Reha-Maßnahme beigezogen, die der Kläger im Oktober 2013 absolviert hatte. Demnach konnte er leichte Tätigkeiten ausüben. Irrtümlich bescheinigten ihm die Ärzte zunächst ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden, korrigierten dies aber anschließend auf sechs Stunden und mehr. In seiner dann erhobenen Klage bezog sich der Kläger auf den unkorrigierten Arztbericht und gab zudem eine Panikattacke im Dezember 2015 an. Das Gericht zog aktuelle psychiatrische Befundberichte (2016) bei, wies die Klage allerdings ab, da jedenfalls bis zum Ende des Verwaltungsverfahrens kein Anspruch bestand, die Rente zu gewähren.

 

Mit seiner Berufung verlangte der Kläger, dass hingegen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend sei. Das LSG wies die Berufung zurück, da die Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente nicht vorlagen (LSG Rheinland-Pfalz 7.6.17, L 6 R 55/17, Abruf-Nr. 195104).

 

Entscheidungsgründe

Das LSG gab dem Kläger jedoch Recht, was den Zeitpunkt der Beurteilung des Gesundheitszustands betrifft. Soweit das SG die Rechtsauffassung vertritt, bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG sei maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, mithin der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids ist dies nicht zutreffend.

 

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist in diesem Fall der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz (Keller: in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 54 Rn. 40b i.V.m. Rn. 34). Denn: Die Zulässigkeit dieser unechten Leistungsklage setzt lediglich voraus, dass der Sozialleistungsträger die begehrte Leistung versagt hat. Sie kommt daher vor dem Erlass einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung nicht in Betracht (BSG 17.12.15, B 2 U 2/14 R).

 

Dass der Kläger sein Klageziel indes nicht erreichte, lag daran, dass alle bis zum Ende der Verhandlung eingeholten ärztlichen Stellungnahmen übereinstimmend von einem Leistungsvermögen des Klägers von mehr als sechs Stunden arbeitstäglich ausgingen. Medizinisch notwendig ist allerdings, dass nicht mehr als sechs Stunden am Tag gearbeitet werden kann.

 

Relevanz für die Praxis

Eine Erwerbsminderungsrente sollte daher immer mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben werden. In diesem Fall müssen alle medizinischen Erhebungen und ggf. auch Gesundheitsstörungen, die sich erst nach dem ablehnenden Bescheid verschlechtern oder neu hinzutreten, berücksichtigt werden. Der Leistungsträger muss hier auch aktiv reagieren (ggf. neu entscheiden, die beantragte Leistung anerkennen). Hierauf hat der Bevollmächtigte zu achten und ggf. die Möglichkeiten von ärztlichen Begutachtungen im Rahmen des § 109 SGG auszuschöpfen (SR 14, 26).

 

Auch zu möglichen Schreibfehlern klärte das LSG einen wichtigen Punkt: Entscheidend sei nämlich die Leistungsbeurteilung, die im Text des Entlassungsberichts zum Ausdruck kommt.

 

MERKE | Wenn aus den medizinischen Erläuterungen klar hervorgeht, dass ein Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden gemeint ist (hier: „vollschichtig zumutbar“, „mehr als sechs Stunden“), kann der Kläger nicht verlangen, dass eine ggf. zusätzlich falsch angekreuzte Bewertung ausschlaggebend ist und nicht korrigiert werden darf. Oder anders: Was der Text deutlich aussagt, gilt auch, wenn ggf. formularmäßig eine widersprüchliche Spalte angekreuzt wird.

 

Weiterführende Hinweise

  • Viel Neues bei der Erwerbsminderungsrente, SR 17, 92
Quelle: Ausgabe 08 / 2017 | Seite 129 | ID 44781848