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· Fachbeitrag · Betriebliche Altersvorsorge

Sind Arbeitnehmer mit 55 Jahren zu alt für einen Anspruch auf Betriebsrente?

von Ass. jur. Petra Wronewitz

| Es ist kein Geheimnis, dass die gesetzliche Rente nicht ausreichen wird, um die Versorgungslücke im Alter zu schließen. Aus diesem Grund erfreut sich die betriebliche Altersvorsorge großer Beliebtheit. Um ebenfalls an einer betrieblichen Altersversorgung teilhaben zu können, klagte eine bei der Gewerkschaft ver.di angestellte Arbeitnehmerin auf Anmeldung zur Unterstützungskasse des DGB. |

Sachverhalt

Die 1961 geborene Arbeitnehmerin war seit 2016 bei der Gewerkschaft beschäftigt. Zum Zeitpunkt der Einstellung war sie bereits 55 Jahre alt. Aus der für ver.di geltenden Versorgungsordnung 1995 (VO 95) ergibt sich, dass die Versorgungsregelungen nur für Beschäftigte gelten, die bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Aus diesem Grund verweigerte ver.di die Durchführung der begehrten Versorgung über die Unterstützungskasse des DGB.

 

Dagegen klagte die Beschäftigte vor allen Instanzen. Sie vertrat die Ansicht, dass § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 eine ungerechtfertigte Diskriminierung wegen des Alters sowie eine unzulässige mittelbare Benachteiligung von weiblichen Beschäftigten bewirke. Die in der Vorschrift geregelte Höchstaltersklausel, dass man nur bei der Unterstützungskasse angemeldet wird, wenn man das 55. Lebensjahr bei Beginn des Arbeitsverhältnisses noch nicht vollendet hat, sei daher nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Es sei zu berücksichtigen, dass Frauen typischerweise aufgrund von Erziehungszeiten weniger Zeiten zur Verfügung stünden, um eine angemessene Altersversorgung aufzubauen. Dass sie ‒ ausgehend von dem für sie maßgeblichen Renteneintrittsalter gemäß § 235 Abs. 2 S. 2 SGB VI von 66 Jahren und sechs Monaten ‒ mehr als 11 Jahre lang keine Versorgungsanwartschaften erwerben könne, betreffe demnach einen erheblichen Zeitraum des typischen Erwerbslebens einer Frau. Die Altersgrenze sei deshalb nicht angemessen.

Entscheidungsgründe

Das BAG hielt die zulässige Klage für unbegründet (21.9.21, 3 AZR 147/21, Abruf-Nr. 224810). Die Beschäftigte hat keinen Anspruch auf Anmeldung zur Unterstützungskasse des DGB, denn sie ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wirksam ausgeschlossen.

 

Die Höchstaltersgrenze in § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 ist nicht nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Sie führt weder zu einer ungerechtfertigten Diskriminierung wegen des Alters nach § 1, § 3 Abs. 1, § 7 AGG, noch bewirkt sie eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts.

 

Unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters

Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, etwa wegen des Alters und des Geschlechts, benachteiligt werden. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

 

§ 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 bewirkt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG. Die Regelung knüpft direkt an die Vollendung des 55. Lebensjahres an. Sie führt dazu, dass Beschäftigte, die bei Beginn ihres Arbeitsverhältnisses das 55. Lebensjahr bereits vollendet haben, keine Versorgungszusage mehr erhalten.

 

Beachten Sie | Nach § 10 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters aber zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.

 

Der Altersgrenze liegt ein legitimes Ziel zugrunde

§ 10 S. 3 AGG enthält eine Aufzählung von Tatbeständen, wonach derartige unterschiedliche Behandlungen insbesondere gerechtfertigt sein können. Nach § 10 S. 3 Nr. 4 AGG ist dies etwa der Fall bei der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für den Bezug von Altersrente. Indem der Gesetzgeber den in Nr. 4 geregelten Tatbestand in die Rechtfertigungsgründe des § 10 S. 3 AGG eingeordnet hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass die Festsetzung von Altersgrenzen für den Anspruch auf Leistungen aus der betrieblichen Altersvorsorge grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gemäß § 10 S. 1 AGG gerechtfertigt ist.

 

MERKE | Legitime Ziele im Sinne von § 10 S. 1 AGG sind Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen beteiligten Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu dienen. Dazu gehört auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen. Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Es hält sich demnach im Rahmen dieses legitimen Ziels, wenn in einer Versorgungsordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird.

 

Die konkret gewählte Altersgrenze muss angemessen und erforderlich sein. Dem Arbeitgeber steht bei freiwilligen zusätzlichen Leistungen wie der betrieblichen Altersversorgung ein von den Gerichten zu respektierender Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu. Dies ist seiner Bereitschaft geschuldet, sich freiwillig zu einer von ihm zu finanzierenden betrieblichen Zusatzversorgung zu verpflichten. Unter diesen Voraussetzungen ist die Altersgrenze in § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 auch angemessen und erforderlich.

 

Mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts

Eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG von Frauen wegen ihres Geschlechts konnte das BAG auch nicht erkennen. Der Argumentation, dass Frauen häufiger als Männer von der streitgegenständlichen Altersgrenze des § 2 Abs. 1 Nr. 4 VO 95 betroffen wären, folgte das BAG ausdrücklich nicht, denn mit dem Wiedereintritt in das Berufsleben ist nach Zeiten der Kindererziehung bereits vor der Vollendung des 55. Lebensjahres zu rechnen.

 

Ein durchschnittliches Erwerbsleben dauert ungefähr 40 Jahre und der durch die Altersgrenze betroffene Teil eines solchen Erwerbslebens darf nicht unangemessen lang sein. Nach den Statistiken der Deutschen Rentenversicherung lagen im Jahr 2019 den Versicherungsrenten in der Bundesrepublik Deutschland durchschnittlich 39,0 Versicherungsjahre zugrunde. Bei den Frauen belief sich diese Zahl auf 36,5, bei den Männern auf 41,9 Versicherungsjahre. Dieser Unterschied ist nicht so groß, dass Frauen durch die Auswirkungen der Altersgrenze unangemessen benachteiligt sind.

Relevanz für die Praxis

Wie alle eindeutigen Entscheidungen schafft auch dieses Urteil Rechtssicherheit. Der Wunsch von Arbeitgebern, betriebliche Versorgungleistungen zu beschränken, ist verständlich.

 

PRAXISTIPP | Allerdings ist angesichts des drohenden Fachkräftemangels Unternehmen anzuraten, für alle Mitarbeiter als attraktiver Arbeitgeber zu erscheinen. Dazu gehört auch eine solide betriebliche Altersvorsorge, die möglichst alle Mitarbeiter einbezieht.

 

 

Quelle: Ausgabe 03 / 2022 | Seite 44 | ID 47998893