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· Fachbeitrag · Verfahrensrecht

Eins, zwei oder drei ‒ wie viele Gutachten sind ein „erheblicher Aufwand“?

| Sozialgerichte können Widerspruchsbescheide aufheben und die Sache an die Behörde zurückverweisen, ohne selbst zu entscheiden. Nämlich dann, wenn umfassende Ermittlungen ausstehen, die die Behörde besser und schneller durchführen kann als das Gericht. Insoweit gelten jedoch strenge Grenzen; es muss dann schon um gravierende Ermittlungsdefizite gehen, sagt das LSG Berlin-Brandenburg. |

1. Der Ausgangsfall

Die Klägerin verlangte die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB). Sie hatte gegen den Widerspruchsbescheid am 28.4.21 Klage zum SG erhoben. Zugrunde lagen eine Diabetes-Erkrankung sowie psychische und orthopädische Leiden.

 

Später ging es darum, ob das Sozialgericht die Sache zu Recht zur erneuten Entscheidung an die beklagte Behörde zurückgewiesen hat. Das SG stützte sich auf § 131 Abs. 5 SGG, nachdem Gerichte hierzu berechtigt sind, wenn erhebliche Ermittlungen notwendig sind, die eigentlich zuvor Aufgabe der Behörde waren.

 

Dies war nach Ansicht des SG der Fall, da vorliegend mehrere Gutachten notwendig seien, dies zumindest auf zwei oder sogar drei medizinischen Gebieten. Auf die Berufung zum LSG Berlin-Brandenburg stellte dieses fest, dass die Zurückweisung nicht sachdienlich war und wies die Sache an das SG zur Entscheidung zurück (9.3.22, L 11 SB 205/21, Abruf-Nr. 229173).

2. Mehraufwand? ‒ Zurückverweisung nur unter strengen Voraussetzungen

Das LSG stellte auf die Rechtsprechung des BSG ab, nachdem auch die seit dem 1.1.09 geltende Fassung des § 131 Abs. 5 SGG eine Ausnahme kennzeichne und eine Zurückweisung auf besonders gelagerte Fälle beschränkt sei (13.5.20, B 6 KA 6/19 R).

 

a) Keine erheblichen Ermittlungen

Vorliegend seien die erforderlichen Ermittlungen nicht erheblich gewesen. Eine Erheblichkeit kann sich dabei aus Zeitdauer und Umfang ergeben sowie aus den sachlichen und personellen Möglichkeiten bei Gericht.

 

MERKE | Hieran orientiert stellt allein ein einzuholendes Gutachten regelmäßig keinen erheblichen Aufwand dar. Derartige Ermittlungen gehören zur typischen, alltäglichen Routine bei den Sozialgerichten und sind daher auch in § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG beispielhaft aufgezählt.

 

PRAXISTIPP | Ausnahmen stellen möglicherweise Verfahren dar, bei denen spezielle Ermittlungen mittels besonderer technischer oder anderer Hilfsmittel notwendig sind, die dem Gericht nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen.

 

b) Vorliegend kein Ausnahmefall

Davon konnte hier allerdings nicht die Rede sein, auch nicht angesichts von ‒ mindestens ‒ zwei notwendigen Gutachten. Der Aufwand ist nicht wesentlich höher, als wenn nur ein Gutachten eingeholt wird, da die Beweisfragen regelmäßig auch identisch sind.

 

Beachten Sie | Bestimmte Krankheitskombinationen ‒ etwa orthopädische Leiden, begleitet von psychischen Leiden in Form von Schmerzerkrankungen ‒ sind geläufig.

3. Fazit: Nicht so schnell zurückweisen, bitte!

Zwar mag im Einzelfall die Suche nach geeigneten Gutachtern aufwendig sein, dies ist aber nicht die Regel. Der den Gutachten folgende Ermittlungsaufwand ist nach dem LSG Berlin-Brandenburg ebenso nicht zwingend und gehöre zum typischen Aufgabenbereich der Sozialgerichte.

 

Weiterführende Hinweise

  • GdB ist auch höher anzusetzen, wenn psychische Gründe Behandlung verhindern, SR 22, 60

 

Quelle: Ausgabe 06 / 2022 | Seite 101 | ID 48307784