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· Fachbeitrag · Technische Hilfsmittel

MS-Erkrankung: Anspruch auf hochwertiges Fußhebesystem besteht bei besserem Gangbild

| Tritt zu einer progredient verlaufenden MS-Erkrankung eine starke Gangstörung hinzu, kann der Erkrankte das Fußhebesystem Ness L300 verlangen. Denn mit diesem Hilfsmittel wird die Gangstörung unmittelbar ausgeglichen, so das LSG Baden-Württemberg. Dabei ist der aktuelle medizinisch-technische Stand zu berücksichtigen. |

 

Sachverhalt

Die gesetzlich krankenversicherte Klägerin litt an MS mit Gangstörung, Lähmungen und ausgeprägter Gangunsicherheit. Seit 2007 bezog sie eine volle Erwerbsminderungsrente. Sie war schwerbehindert (GdB von 100), mit den Merkzeichen „aG“ und „B“ ausgestattet und in Pflegegrad 3 eingestuft.

 

2014 beantragte sie bei ihrer Krankenkasse, die Kosten für das Fußhebesystem Ness L300 (5.500 EUR) zu übernehmen. Der MDK erklärte, dass dieses System den im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten dynamischen Fußhebeorthesen nicht überlegen sei. Hierauf gestützt lehnte die Kasse daher die Kostenübernahme ab. Auf die Klage der Klägerin entschied das SG Stuttgart, dass das Hilfsmittel notwendig sei. Die gegen das Urteil gerichtete Berufung der Krankenkasse wies das LSG Baden-Württemberg ab.

 

Entscheidungsgründe

Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass das Fußhebeystem Typ Ness L300 die Einschränkungen der Klägerin unmittelbar ausgleicht (19.6.18, L 11 KR 1996/17, Abruf-Nr. 202131).

 

 

 

Im Gegensatz zum mittelbaren Ausgleich ist beim unmittelbaren Ausgleich die Behinderung vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen zu erreichen.

 

Daher kann die Krankenkasse ein fortschrittliches, technisch weiterentwickeltes Hilfsmittel nicht deshalb ablehnen, weil der bisher erreichte Versorgungsstandard ausreichend sei (BSG 16.9.04, B 3 KR 20/04 R). Ein vergleichbarer Ausgleich der Gangstörung wird durch eine dynamische Fußhebeorthese nicht vollständig erreicht. Durch die elektrische Stimulation der Muskulatur des Fußhebesystems wird eine Kontraktion bewirkt, sodass die Fußspitze beim Gehen angehoben wird. Hierdurch wird der Klägerin ein physiologischeres Gangbild ermöglicht und die Gefahr des Hängenbleibens und damit auch von Stürzen reduziere sich erheblich. Außerdem könne die Klägerin damit zügiger gehen. Bei dem Fußhebesystem handele es sich auch weder um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, noch sei das Hilfsmittel nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen.

 

Auch eine angeschaute Videodokumentation überzeugte das Gericht, dass die Gehfähigkeit der Klägerin mit diesem System Typ Ness L300 vergleichend mit einer dynamischen Fußhebeorthese erheblich verbessert wird.

 

MERKE | Das BayLSG hat ähnlich entschieden (23.10.17, L 4 KR 349/17) und wertete das Fußhebersystem „Walk Aide“ (www.iww.de/s1801) als Hilfsmittel für einen unmittelbaren Ausgleich. Es verhindert bzw. vermindert ein Hängenbleiben der Fußspitze beim Gehen und Treppensteigen. Die Gehgeschwindigkeit erhöht sich und die Sicherheit beim Gehen verbessert sich.

 

Relevanz für die Praxis

Die MS-Erkrankung ist die häufigste Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, deren Diagnose in Deutschland zunimmt (www.iww.de/s1802). Daher könnten auch die Konflikte mit Krankenkassen bezüglich Hilfsmitteln für MS-erkrankte Versicherte zunehmen. Dient ein Hilfsmittel direkt dazu, eine ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion auszugleichen, gilt: Grundsätzlich soll der Betroffene die Möglichkeiten eines gesunden Menschen haben. Daher besteht auch ein Anspruch auf leistungsfähige, hochentwickelte Modelle des verlangten Hilfsmittels, wenn diese die eingeschränkte Körperfunktion besser ausgleichen.

 

Bevollmächtigte sollten daran denken: Lassen sich die durch das Hilfsmittel verbesserten Körperfunktionen und motorischen Fähigkeiten durch ein Video nachvollziehbar zeigen (hier: Art und Weise des Gehens, Gangsicherheit), kann dies den Klagevortrag anschaulich stützen. Hier befürwortete schließlich sogar der MDK, die Kosten zu übernehmen, nachdem ihm eine erneute Videodokumentation und ein auswertendes Gutachten hierzu vorlag.

 

Weiterführende Hinweise

  • BU-Versicherung: Wenn nicht nach MS-Erkrankung gefragt wird, SR 18, 100
  • Blindenführhund als notwendiges Hilfsmittel: So kann es begründet werden, SR 17, 24
Quelle: Ausgabe 08 / 2018 | Seite 128 | ID 45377649